Wieder einmal ein durchsichtiger Kompromiss – Der Literaturnobelpreis 2024 für die Südkoreanerin Han Kang
Autor: Dr. H. L. Wessling, Osteuropahistoriker und Slawist, Deutschland
Nach einigen gelungenen Vergaben des Nobelpreises für Literatur in den letzten Jahren (2022 Annie Ernaux, 2023 Jon Fosse) hat das Stockholmer Nobelpreiskomitee in diesem Jahr mit der Südkoreanerin Han Kang wieder einmal in die politisch motivierte Kompromiss- und Proporzkiste gegriffen.
Offenbar durfte der Preisträger nicht weiss sein und auch nicht aus einem westlichen Land kommen. Auch gilt seit einigen Jahren das Prinzip bei der Vergabe, dass auf Mann immer eine Frau folgen soll. Darüber hinaus war Asien wieder einmal an der Reihe. Der letzte asiatische Literaturnobelpreisträger war Mo Yan im Jahr 2012, ein systemtreuer chinesischer Vertreter eines modernisierten sozialistischen Realismus.
Nun also Han Kang, eine 53-jährige Südkoreanerin, die erste Preisträgerin für ihr Land überhaupt. Natürlich entzieht sich dem Nichtkenner des Koreranischen ein fundiertes Urteil über die Sprache der Autorin. In der deutschen Übersetzung ihrer beiden wichtigsten Werke „Menschenwerk“ (2017) und vor allem „Die Vegetarierin“ (2007) dominiert eine experimentelle, melancholisch-traumatisierende Diktion, die den Leser vor ziemliche Herausforderungen stellt. Eine „intensive poetische Prosa“, die die Stockholmer Akademie der Autorin attestiert, das erscheint mir doch sehr euphemistisch.
Einsamkeit, Trauer, Gewalt und Traumatisierung sind die Themen in Hang Kans Werken, die eine depressive Wirkung auf den Leser ausüben können.
Die Vermutung liegt nahe, dass die besondere Würdigung des Romans „Die Vegetarierin“ ein Reflex der Schwedischen Akademie auf den internen Skandal um sexuellen Missbrauch im Jahre 2018 darstellt, der zu einer Aussetzung der Preisvergabe in diesem Jahr geführt hatte.
In „Die Vegetarierin“ beschreibt Han Kang das Martyrium einer Koreanerin, die kein Fleisch konsumiert und daraufhin sexualisierter und physischer Gewalt durch Männer ausgesetzt ist. Das mag in den sehr traditionellen und patriarchalischen Gesellschaften Asiens, in denen die Rechte von Frauen eingeschränkt sind, durchaus ein berechtigtes und nachvollziehbares Aufbegehren widerspiegeln.
Han Kang stand in den Jahren 2013-2017 auf einer Schwarzen Liste von Kulturschaffenden, die Kritik an der Regierung von Park Geun Hye geübt haben.
Im europäischen Kontext, insbesondere in Staaten, in denen ein Diktat aufoktroyierter political correctness immer mehr dominiert, Gendersprache zur Vorschrift gemacht wurde, Arbeitsplätze nach Quote vergeben werden und die LGBTQ-Community sich überproportional in den Mittelpunkt schiebt, fällt die Rezeption der „Vegetarierin“ aus meiner Sicht anders aus.
Im Gegensatz zur sozialen Situation in Südostasien gewinnt man hierzulande eher den Eindruck, dass Vegetarier- und Veganer*Innen aggressive Feldzüge gegen verhasste „Fleischfresser“ betreiben und ihre hasserfüllte Gutmenschen-Weltschau dem (vor allem natürlich männlichen) unverbesserlichen Fan von Schweineschnitzel und Rumpsteak permanent um die Ohren hauen müssen. Der von den deutschen Grünen zur Vorschrift erhobene „Veggie Day“ dokumentiert diese Haltung mehr als eindeutig. Während es in Asien um den berechtigten Kampf für Frauenrechte geht, geht es in besagten europäischen Ländern eher darum, das Recht auf freie Selbstbestimmung zu verteidigen, auch bei scheinbar so profanen Themen wie beim Essen.
Frau Han Kang wäre wahrscheinlich bereits froh, wenn Vegetarierinnen in Südkorea einfach als gleichberechtigte, normale Bürgerinnen akzeptiert würden, die von Männern einfach korrekt und mit asiatischer Höflichkeit behandelt werden.
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