Das Derwisch-Kloster „Tekija“ in Blagaj (Bosnien und Herzegowina)
Autor: Dr. H. L. Wessling, Osteuropahistoriker und Slawist, Deutschland
1. Das Kloster
Das Derwisch-Kloster „Tekija“ liegt am östlichen Rande des bosnischen Kleinstädtchens Blagaj, etwa 10 Kilometer von Mostar entfernt. Das landschaftliche Ambiente mit Baumriesen und Kalksteinklippen, oberhalb der Felsenquelle des tiefgrünen Flusses Buna gelegen, hat schon etwas Atemberaubendes. Die Buna-Quelle zählt mit einem Wasseraufkommen von durchschnittlich 43000 Litern pro Sekunde zu einer der stärksten Quellen Europas.
Buna-Quelle
Die Klosteranlage ist wohl in der ersten Hälfte des 15. Jhd. entstanden. Möglicherweise kamen die ersten Sufi-Derwische im Tross mit den auf dem Balkan vorrückenden osmanischen Truppen. Die geografische Abgelegenheit des Klosters hat mit den Regeln der Sufi-Bewegung zu tun und kann nicht als Gegenmodell zu den Eroberungsinteressen der Osmanen interpretiert werden. Trotz der eher kriegsfernen Welt der Sufis hatten die Osmanen ein großes Interesse, in den eroberten Regionen möglichst viele Aspekte islamischer Kultur zu implementieren.
Bei meinem ersten Besuch des Tekija im Jahre 1985, damals im religionsfernen Jugoslawien der Nach-Tito-Ära, fand ich einen ruhigen, verschlafenen Ort ohne Touristen vor, damals noch eine Art Geheimtipp. Die Kustoden, ein einfaches muslimisches Ehepaar, hatten noch Zeit, einen türkischen Mokka für den seltenen Gast zuzubereiten. Der obere größere Raum war noch mit Teppichen, die angeblich vom persischen Schah Reza Pahlewi gespendet worden waren, ausgelegt. Die auffällige Deckenkonstruktion mit zahlreichen bunten Glasbausteinen, die ein verwirrendes Farbenspiel bei Sonneneinfall auslösten, ist als Folge der teilweisen Zerstörung des Klosters durch prokroatische Einheiten während der jugoslawischen Sezessionskriege leider nicht mehr vorhanden.
Heute ist Tekija zu einem Wallfahrtsort, vor allem für islamischen und in einigen Teilen auch islamistischen Tourismus geworden. Zahlreiche Gäste aus arabischen Staaten bewegen sich an einer langen Reihe von Verkaufsständen vorbei, die nicht immer hochwertige orientalische Produkte anbieten. In den kleinen Räumen des Klosters herrscht, insbesondere während der Hochsaison, starkes Gedränge. Zwei Restaurants, ein Café und ein Stand mit türkisch-arabischen Leckereien sind zu Stosszeiten überfüllt.
Überhaupt fällt im heutigen Bosnien die erhebliche Zunahme von vollverschleierten Frauen im Strassenbild auf. In vielen Städten sieht man neue moderne Moscheen, die überwiegend mit Geld aus Saudi-Arabien finanziert wurden. Der ursprünglich laizistische und liberale Islam in Bosnien unterliegt aktuell einem deutlichen Wandel in eine fundamentalistische Richtung.
2. Der Orden
Moderne Koran-Ausgabe im Eingangsbereich des Klosters
Eine Tekke (osmanisch tekye; bosnisch tekija; albanisch teqe; arabisch zāwiya; persisch dargāh , bzw. chāneqāh, Mehrzahl: Tekken) ist ein Zentrum einer Sufi-Brudeschaft (Derwisch-Orden, bzw. tariqa) und bedeutet „Rückzugsort“, „Schutz“ oder „Asyl“. Seltener ist von einem Konvent die Rede, denn man kann eine Tekke nicht mit der christlichen Vorstellung eines Klosters vergleichen.
Es finden dort hauptsächlich Dhikr-Zeremonien statt, wobei Derwische Gott mit seinen schönsten Namen anrufen. Der Ort kann aber auch zum Studium oder zu anderen Arbeiten dienen. Derwische, die der Dhikr-Kultur anhängen, haben sich ausschliesslich meditativ-mystizistisch betätigt und sind nicht mit den Derwischen zu verwechseln, die ekstatische Rituale und wilde Tänze aufführten oder gar Selbstverstümmelung als Kasteiung betrieben. Grundlage dafür ist die Sure 33,41 des Koran mit dem Gebot „Oh Ihr Gläubigen! Gedenkt Gott mit vielen Gedanken“ (dikran katiran).
Der persische Sufi Nadschm ad-Din al-Kubra hat im frühen 13. Jhd. diese Haltung mit den Worten beschrieben: „Versenkt euer Dasein in Gottgedanken“ und drei Stufen dieser Versenkung beschrieben, die mit einem „Hineinfallen des Gottgedenkens ins Geheimnis“ endet, also eine Mystifizierung auslöst. Beim Dhikr wird ein bestimmter Gottesname mehrfach wiederholt. Dabei werden Körperhaltungen und Atemtechniken verwendet, die permanent trainiert werden müssen. Das kann in bestimmten Fällen zu einer Art Trance oder Hypnose führen. Ziel ist das Erreichen eines Zustandes, in dem man Gott näher ist.
Bereits im sogenannten „goldenen Zeitalter“ zu Lebzeiten des Propheten Mohammed gibt es erste Hinweise auf Aktivitäten von Derwischen. Allerdings entstehen die ersten Bruderschaften der Sufis erst während der islamischen Eroberungszüge in Nordafrika und Asien, sozusagen als Protestbewegung gegen Kriege zieht man sich auf eine asketische Lebensweise zurück. Die Gründung der ersten Tekke fand wohl im Jahr 767 n. Chr. In Damaskus statt.
Klosterraum im „Tekija“ mit Kamin
Der Aufbau und Stil einer Tekke ist spartanisch und anspruchslos. Das soll die Konzentration auf das Wesentliche fördern. In einigen größeren Tekken gibt es auch Wohnräume für Scheichs, ihre Ehefrauen und Familienmitglieder. In der Iskinler Tekesi in Istanbul gibt es sogar ein Leprosorium, eine Art Quarantäne-Raum für Leprakranke.
Literaturempfehlung:
Y.N. Öztürk „The Eye of the Heart”, Redhouse Press, Istanbul, 1988
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