Textatelier
BLOG vom: 24.12.2017

Markt und Strassen stehn verlassen - Weihnachten auf nasskalten Gassen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Es ist alle Jahre wieder die Woche vor Weihnachten. Meine Frau überredete mich zu dem Besuch eines Weihnachtsmarktes. Dieser ist um das Schloss Neersen herum aufgebaut. Parkplätze waren nicht zu bekommen. Also fuhren wir wieder ortsauswärts, und mussten gute 10 Minuten durch das nasskalte Wetter laufen, bis wir über ohrenbetäubende Lautsprecher einen Weihnachtschor singen hörten. Er war am Hintereingang platziert. Immer wieder wurden die Besucher aufgefordert, die bekannten Lieder zur Weihnachtszeit mitzusingen. Nur wenige liessen sich dazu überreden. Die Verkäufer in den Buden fröstelten. Vor dem Glühwein- und dem Imbiss-Stand standen die Menschen an und warteten auf ein warmes Getränk oder auf die Reibekuchen oder Würstchen. Ein paar Stände mit angeblich handgefertigten Dingen zu überhöhten Preisen wurden nur selten frequentiert. 

Ich fröstelte, trotz des warmen Getränks. Nach kaum 30 Minuten waren wir an den Ständen vorbei und liefen wieder zum Auto. Meine Frau hatte von dem aufgewärmten Punsch Magenschmerzen.

Das Weihnachtsgedicht, das ich in der Kinderzeit vor der Bescherung immer aufsagen musste, lagert immer noch in einer der Hirnwindungen und lässt sich nicht entrümpeln.

Markt und Strassen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus ...

Bis auf einzelne Häuser und natürlich in den Läden konnte ich keine Festbeleuchtung feststellen.

Subversive Gedanken kommen mir in den Sinn. Weihnachten ist nichts anderes als Kosumrausch, Geschenke-machen-Konsum-Zwang. Ich kann dem Ganzen so gut wie nichts abgewinnen. Na, den Enkelkindern kann man die Freude ja noch machen, obwohl deren Kinderzimmer von Spielzeug nur so überquellen, entstehen immer wieder neue Wünsche. Und die sollen gefälligst vom Weihnachtsmann, vom Christkind, von den Eltern oder Grosseltern erfüllt werden, letztendlich ist es egal, von wem, Hauptsache, es gibt etwas.

Ach so, das Familiäre darf ich nicht vergessen, schliesslich sieht man sich alle zusammen nicht mehr so oft im Jahr, für etwas müssen diese Tage ja gut sein! Dazu kommt noch das gute Essen, wenigstens etwas!

Wir wünschen Euch gesegnete, besinnliche Weihnachtstage!

Regen bringt, so lautet doch der Spruch, Segen. Und Regen ist angekündigt, auf jeden Fall reichlich Niederschlag. Und: besinnlich? Mein Kreuzworträtsel-Wörterbuch zeigt Synonyme auf, wie idyllisch, beschaulich, kontemplativ, nachdenklich. Und wenn mir das alles nur negative Gedanken erzeugt? Das Wörterbuch geht zum nächsten Begriff: ein besinnliches Ende mit 8 Buchstaben? Das klingt schon besser: Ausklang! Und weiter geht es mit besinnungslos. Das wäre so wie ohnmächtig und trifft den Kern schon ziemlich genau!

Markt und Strassen stehn verlassen
Bei dem Wetter jagt man noch nicht einmal
den Hund auf die dunklen nasskalten Strassen.
Fröstelnd muss man mit ihm Gassi gehn.
Er bleibt auch noch an jeder Ecke stehn...
Sinnend verflucht man diese Jahreszeit,
Versteh nicht, dass man sich drauf freut.....

Gab es da nicht einen Grund für dieses Fest? Ach ja, die Christen haben den so genannten Heiden ihre Jahresendfeier vermiesen wollen und das Fest der Geburt Jesu auf Ende Dezember gelegt! War das nicht echt fies?

Da stosse ich auf ein hübsches Gedicht von Robert Gernhardt:

Die Geburt
Als aber in der finsteren Nacht
Die junge Frau das Kind zur Welt gebracht,
Da haben das nur 2 Tiere gesehn,
Die taten grad um die Krippen stehn.

Es waren ein Ochs und ein Eselein,
Die dauerte das Kindlein so klein,
Das da lag ganz ohne Schutz und Haar
Zwischen dem frierenden Ehepaar.

Da sprach der Ochs: Ich geb dir mein Horn.
So bist du wenigstens sicher vorn.
Da sprach der Esel: Nimm meinen Schwanz,
Auf dass du dich hinten wehren kannst.

Da dankte die junge Frau, und das Kind
Empfing Hörner vorn und ein Schwänzlein hint.
Und ein Hund hat es in den Schlaf gebellt.
So kam der Teufel auf die Welt.

*

Jetzt verstehe ich den Hund und kapiere endlich:

Warum der Köter heute so jämmerlich jault:
Der Teufel ist’s, vor dem ihm graut!

Ich wünsche Ihnen ein baldiges besinnliches Ende dieses Monats!
(Sich besinnungslos zu besaufen wäre auch eine Lösung!)

Quelle:
Robert Gernhardt, Reim und Zeit, Gedichte, Reclam, Stuttgart, 2009, S. 103

 


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