Textatelier
BLOG vom: 24.10.2017

Schlummern

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Heute ist mir ein Kalenderblatt in die Hände gefallen. Es enthält ein Gedicht von
Friedrich Hebbel (1813-1863).

Abendgefühl
Friedlich bekämpfen
Nacht sich und Tag.
Wie das zu dämpfen,
Wie das zu lösen vermag!

Der mich bedrückte,
Schläfst du schon, Schmerz?
Was mich beglückte,
Sage, was war’s doch, mein Herz?

Freude wie Kummer,
Fühl’ ich, zerrann,
Aber den Schlummer
Führten sie leise heran.

Und im Entschweben,
Immer empor,
Kommt mir das Leben
Ganz wie ein Schlummerlied vor.

Der Schlummer, so wird uns hier suggeriert, lässt uns Probleme, Schmerzen, Freude wie Kummer für eine Zeitlang vergessen. Das In-den-Schlummer-fallen ist ein Ablauf, den wir kaum bewusst erfahren, die Sinne schwinden, die bewusste Hirntätigkeit setzt langsam aus. Schlummern und Schlafen sind gesund, sie fördern und unterstützen das Immunsystem, regenerieren die Kräfte, die wir für die Wachphase benötigen.

Für die wichtigen Dinge im Leben gibt es in jeder Sprache Wort-Varianten, so auch für den Schlummer. Das Verb zu im Schlummer liegen ist schlummern.

Verbleibe ich erst einmal bei der Grundbedeutung des Wortes: Das Verb ist durch Martin Luther in die Schriftsprache gelangt. Die Bedeutung des mitteldeutschen slummen aus dem 15. Jahrhundert ist eine Weiterentwicklung des älteren slummen, in der Bedeutung von schlafen und schlaff gehen, erschlaffen. Man findet Abwandlungen in vielen Sprachen.

Um den Schlaf und um schlafen herum existieren in der deutschen Sprache viele Begriffe, die teilweise umgangssprachlich sind:
- dämmern, ruhen, ratzen, dösen, pofen, ein Nickerchen machen, bäisere (aargauisch/Schweiz), knacken, an der Matratze horchen.

So ist die Umschreibung des Endes des Sterbeprozesses auch entschlummern.

Aber so weit sind wir noch nicht! Vor dem Schlummern genehmigen wir uns erst einmal einen Schlummertrunk! Vielleicht sind wir gerade im Hotel, das wir im Schlummer-Atlas-Verzeichnis gefunden haben! Und: Schlummern ist ein singulares Wort, es gibt keinen Plural, denn wir schlummern jeder für sich!

Auch der Wecker hat häufig eine Schlummer-Einstellung. Nach dem ersten Weckruf erfolgt der nächste erst einige Minuten später, wenn diese Funktion eingestellt worden ist.

Schlummern wird meistens mit leichtem Schlaf in Verbindung gebracht und steht synonym für den Halbschlaf, nicht für die Tiefschlafphase in der Nacht.

Die Reihenfolge, die manche Hotelarragements anbieten, ist dann
Schlemmen, schlummern, Schampus schlürfen und himmlisch schlafen!

Noch ein Gedicht, jetzt von Gottfried Benn (1886-1956)

Auf deine Lider senk ich Schlummer,
auf deine Lippen send ich Ku
ss,
indessen ich die Nacht, den Kummer,
den Traum alleine tragen mu
ss.

Um deine Züge leg ich Trauer,
um deine Züge leg ich Lust,
indes die Nacht, die Todesschauer
weben allein durch meine Brust.

Du, die zu schwach, um tief zu geben,
du, die nicht trüge, wie ich bin -
drum mu
ss ich abends mich erheben
und sende Ku
ss und Schlummer hin.

Ich wünsche Ihnen einen süssen Schlummer, ohne schwere Gedanken, locker und leicht, die Sie weg tragen von den Sorgen des Alltags und entspannt Hinübergleiten lassen ins Nichts!

Doch aufgepasst! Sie sollten nicht im fahrenden Auto am Steuer sitzen, da kann das Schlummern schon sehr gefährlich werden!

Apropos Hinübergleiten! Können Tiere auch schlummern? Die Wissenschaftler Niels Rattenborg und sein Kollege Bryson Voirin haben ihre Forschungsarbeit dieser Frage gewidmet. Besonders Vögel, die oft tage- und nächtelang über das Meer fliegen ohne zu landen, haben es Ihnen angetan.

Als ein besonderes Objekt haben sie den Binnenfregattvogel (Fregatta minor) ausgesucht, ein Seevogel, mit einer Flügelspannweite von mehr als 2 m und einem Gewicht von bis zu anderthalb Kilogramm gehört er zu den grösseren ihrer Art.

 


 

Sie haben Vögel mit einem EEG-Messgerät ausgestattet, mit dem sie das Wach- und Schlafverhalten der Vögel untersuchen konnten. Die EEGs zeigen während des Fluges einen langsamwelligen Schlaf.

Aber obwohl sie mit beiden Hirnhälften schlafen können, schläft meistens nur eine Seite, und zwar diejenige, die mit dem in Flugrichtung blickenden Auge in Verbindung steht. So vermeiden die Vögel vermutlich Kollisionen mit Artgenossen, die mit der selben Luftströmung segeln. - Meist schlummern die Tiere am frühen Abend. Der kurze Schlaf am Abend ist eine Art powernapping (Nickerchen): Er könnte ausreichen, um das Schlafdefizit während des Tages auszuhalten. Am Tag sind die Vögel hellwach und verwenden ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Nahrungssuche.

Wie wohltuend kann auch für uns Menschen der kurze Schlummer nach dem Mittagessen sein!

Quellen:
https://www.mpg.de/10784095/schlaf-fregattvogel
Das Foto ist auf wikipedia unter dem Stichwort Fregattvögel zu finden.
Das Kalenderblatt: Fliegende Wörter, Postkartenkalender 2015, 21. Jahrgang, Daedalus Verlag, Münster, 2014

 


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