Eco-Museum: Elsässisches Landleben und Störche
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
Am 09.05.2017 besuchten wir zu viert das Eco-Museum in Ungersheim (Elsass). Es ist das grösste lebendige Freilichtmuseum Frankreichs und ein Pedant zum Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof.
Schon im Vorfeld orientieren wir uns im Internet und lasen Bemerkenswertes: „Das Museum lässt das ländliche Kulturerbe aufleben und präsentiert seinen Besuchern die volkstümliche Kunst und Tradition des Elsass: Gebäude und Sammlerobjekte, Handwerker bei der Arbeit, Ausstellungen, tägliche Animationen und grosse Veranstaltungen …“ Das Museum wurde am 01.06.1984 eröffnet.
Als wir im modern gestalteten Eingangsbereich das Billet (Erwachsene 15 Euro, Pensionäre ab 60 Jahren 10 Euro) und einen Dorfplan in Empfang nahmen, studierten wir schon mal diesen Plan und waren über die Grösse des Eco-Museums überrascht. Es ist wie ein Dorf Anfang des 20. Jahrhunderts mit 74 traditionellen Gebäuden aufgebaut. Dazwischen befinden sich Strassen und Plätze. Etwas ausserhalb entdeckten wir natürliche Kanäle und einen See mit einem Naturlehrpfad.
Dann ging es los. Als erstes Gebäude inspizierten wir das Haus des Coiffeurs bzw. Barbiers. Als wir die Inneneinrichtung mit alten Stühlen, Waschbecken, Haarschneidegeräte, altertümlichen Trockenhauben sahen, waren wir entzückt, zumal wir uns an diese Gegenstände aus der Nachkriegszeit erinnerten.
Die alten Gebäude waren vom Abriss bedroht und wurden im Museum wieder aufgebaut. Da steckte eine Menge Arbeit drin. Unglaublich sind auch die 40 000 Museumsstücke, die von Elsässern gestiftet wurden. Wir sahen Möbel, Alltagsgegenstände, Werkzeuge, landwirtschaftliche Maschinen, Bilder und an den Wänden historische Fotos. Hier wurde elsässisches Landleben im Zeitraum von 1850 bis 1950 präsentiert.
Unentbehrliche Berufe
In mehreren Gebäuden werden die Berufe in ihren eigenen Werkstätten vorgestellt. Wir sahen einen Schmied bei der Arbeit. Er fertigte gerade ein Messer. Das erhitzte Eisen wurde dann mit einem schweren Hammer plattgedrückt. Der mit Ohrenschützern ausgestattete Schmied überprüfte immer wieder, ob das Messer plan ist. Nach jeweiligem Erhitzen, bearbeitete er den Rohling mit dem grossen Hammer weiter. Ein ohrenbetäubender Schlag war jedes Mal zu hören.
Wir bekamen dann Infos über den Bäcker, den Stellmacher („Wagner“), den Schuster, den Fischer, den Töpfer, den Sattler, den Küfer und den Korbflechter.
Ausserhalb der Werkstätten und vor den meisten Häusern konnten sich die Besucher in französischer, deutscher und englischer Sprache schriftlich oder durch Drucktasten akustisch informieren. Hier ein Beispiel über den Töpfer: 1181 bekam Sufflenheim das Recht, Erde abzubauen. Dies wurde von Friedrich II. Barbarossa zugebilligt. „Der Legende nach wurde dieser bei der Jagd von einem Töpfer gerettet, worauf er beschlossen haben soll, der gesamten Innung durch Zubilligung dieses Recht zu danken.“
Der Barbier widmete sich ausschliesslich der männlichen Kundschaft. Bis ins 18. Jahrhundert war er auch chirurgisch tätig. Er betätigte sich als Schröpfer, Aderlasser, Zähnezieher und Behandler von Knochenbrüchen.
Der Fischer besass ein ganzes Arsenal an Fallen und Netzen. Diese wurden aus Hanfseilen gefertigt. Sie betätigten sich auch als Goldwäscher im nahen Rhein.
Ein altes Foto im Fischerhaus zeigte eine Gesellschaft von Fischern und einen Zigarette rauchenden 12jährigen Knaben. Der präsentierte Fisch wurde von diesem Jungen erstmalig geangelt. Dafür durfte er seine 1. Zigarette rauchen.
Die Handwerker mussten alle Bedürfnisse der Dorfgemeine gerecht werden. Ihre Berufe waren unentbehrlich.
Alte Herde und Sprüche
In den Wohnhäusern erblickten wir nicht nur alte Herde, schmale Betten, Küchengeräte, Kachelöfen, sondern auch Sprüche auf Bildern und auf Tüchern. Hier einige Beispiele:
„E Frau ohne Mann isch e Hüs ohne Dach.“
„Liebes Männchen, ich bitte dich, ärgre dein liebes Weibchen nicht.“
Häusliche Tugenden:
Des Hauses Zier ist Reinlichkeit,
Des Hauses Ehr` Gastfreundlichkeit,
Des Hauses Segen Frömmigkeit,
Des Hauses Glück Zufriedenheit.
Interessant fanden wir die Besichtigung einer Schule von anno dazumal. Hier konnten wir alte Schulbänke mit den eingebauten Tintenfässern erblicken. Vor einer Schiefertafel stand ein Pult mit einem langen Stab. Ein Wanderfreund nahm ihn zur Hand und sagte: „Das ist aber ein langer Schlagstock.“ Die anwesende Lehrerin in traditioneller Kleidung sagte jedoch, dieser wäre ein Stock zum Zeigen. Da waren alle beruhigt.
Wehrturm und Storchennester
Besonders imposant ist das Wehrhaus von Mulhouse. Der turmartige Bau wurde 1985 bis 1987 wieder aufgebaut. Das ursprüngliche Haus war in der Stadtmauer von Mulhouse integriert. Von hier oben hatten wir einen sehr schönen Blick auf das Museumsdorf, auf den Renaissance-Garten und auf einige Storchennester.
So konnten wir in so manche Nester hineinblicken. Der Storch ist das elsässiche Wappentier. 1980 begann die Wiederansiedlung. Heute beherbergt das Museum mit ca. 40 Storchenpaaren eine der grössten Storchenpopulation des Elsass.
Ein vorwitziger Storch hatte sich sogar auf der Spitze des Wehrhauses kurz ausgeruht. Den waghalsigen Storch konnte ich auf Foto bannen.
Im Dorf sahen wir Tiere vom Bauernhof, wie Pferde, Esel, Vogesen-Kühe, Vogesen-Rinder, Kaninchen, Ziegen, Schafe, Schweine und Geflügel (Hühner, Gänse, Puten). Wir hörten nicht nur das Geklapper von Störchen, sondern auch andere Tiergeräusche wie das „iah-iah“ eines Esels. Just als wir den Eselstall passierten, führte ein Eselfräulein den 15jährigen Esel hinaus. Er wirkte ziemlich müde, war aber ruhig. Ein Wanderfreund sagte, der alte Esel passe gut zu uns.
Besonders neugierig waren die Ziegen. Ein Ziegenbock präsentierte sich genau vor uns, während eine junge Ziege vor einer Tür stand, sich hochreckte und ins Haus wollte. Im Fenster daneben lockte ein nettes Fräulein die Ziege mit Rufen an. Pech für die Ziege, sie kam nicht rein, Pech für uns, das Fräulein machte das Fenster zu und ward nie mehr gesehen. Was blieb uns? Ein nettes Foto. Bei einer Vergrösserung des Bildes sieht man ein verschmitzt grinsendes Fräulein.
Nach der 3-stündigen Begehung belohnten wir uns mit einer Bootsfahrt und Kutschenfahrt. Diese waren kostenlos.
Das Museum bietet noch viel mehr, wie zum Beispiel tägliche Veranstaltungen, Wechselausstellungen, eine Führung durch die Felder und die Randgebiete des Dorfes oder eine kommentierte Besichtigung der Rotunde und des Museumsviertels Bàuistella, Festival für experimentelles Bauen, auf einem traktorgezogenen Anhänger.
Am Dorfrand wurde ein neuer Museumsbereich gegründet. Er widmet sich mit dem „Wohnen im 21. Jahrhundert im Elsass“.
In unserer 3-stündigen Wanderung durch das Eco-Museum sahen wir natürlich nicht alles. Aber wir werden wieder kommen. Der Besuch ist jedem zu empfehlen.
Adresse
Ecomusée D`Alsace
Chemin Grosswald
68190 Ungersheim
Öffnungszeiten: 19.03. bis 5.11. 10 bis 18 Uhr (Hauptsaison)
Alle weiteren Angaben im Internet
Internet
www.ecomusee.alsace
de.wikipedia.org
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