Textatelier
BLOG vom: 18.10.2015

Kleine Abenteuer mit einer grossen Sprache

Autor: Fred Casadei


Beim aufmerksamen Zuhören und Lesen der französischen Sprache kann man immer wieder schöne kleine Überraschungen erleben. Im Folgenden sind ein paar meiner Erlebnisse dieser Art aufgezeichnet.

Ganz erstaunlich für einen Deutsch Sprechenden ist die enorme Vielfalt von Bedeutungen, die der Franzose einem Wort zuordnen kann. Ich kenne eigentlich nur ein einziges Wort, das meines Wissens nur eine Bedeutung hat: vasistas, ausgesprochen wie: was ist das. Es stammt aus dem Deutschen und bedeutet Oblicht, Fenster gegen oben hin. Die skurrile Wendung entstand während einer der vielen Kriege zwischen Deutschland und Frankreich, bei dem deutsche Soldaten beim Eindringen in französische Häuser sich vor Heckenschützen, die von diesen versteckten Fenstern aus schossen, fürchteten. Die verängstigte Deutsche schätzte das natürlich nicht und wollte wissen, was sich hinter diesen Fenstern versteckte und fragte: "Was ist das?" und zeigte auf das Fenster. Der Franzose fasste diese Frage als Deutschlektion auf und interpretierte die Frage als Name des Fensters. Die meisten realisieren noch heute nicht, dass es sich um eine Frage handelt, die mit drei Worten und anderer Orthografie geschrieben wird.

Ein anderes Beispiel betrifft das Wort louche. Es bedeutet Schöpfkelle, und die wird beim Verteilen von Suppe benützt. Wenn der Franzose allerdings sagt: "C'est un filou, il est louche", dann meint er nicht, dass der Tunichtgut nun zum Suppenlöffel degradiert wurde. Nein, denn louche bedeutet auch verdächtig. Wenn ich, wie tatsächlich passiert, an einem Flohmarkt eine schöne Bosch-Bohrmaschine für einen Euro gekauft habe, so war etwas dabei louche. Es zeigte sich natürlich erst zu Hause beim Öffnen der nicht laufenden Maschine: sie war innen völlig verbrannt. Der Verkäufer hat sich die Entsorgungskosten nicht nur gespart, sondern zahlen lassen. Weitere Bedeutungen sind in der verbalen Form: über den Daumen peilen und schielen.

Vor der gemeinsamen Gruppenreise nach Italien traf ich zufällig das Apothekerehepaar, das mit von der Partie war. Er schaute sich mit forschendem Blick in der Gegend um und sagte schliesslich: "Je pense, il nous faut des pépins demain". Ich nickte, hatte aber keine Ahnung, was der Gute meinte. Auf meinem Heimweg dachte ich, vielleicht kennen die Apotheker ein gutes Mittel, das sich in Form von Kernen einnehmen lässt und dem Schlechtwerden im Bus vorbeugt. Pépins waren mir als Kerne von Trauben oder Äpfeln bekannt. Bei Apothekern weiss man nie ... Zuhause angekommen setzte ich mich hinter die beiden "petits", gemeint sind der Larousse und der Robert, beide dicke Französisch Diktionäre und suchte nach pépin. Das Wort gibt's in vier Ausgaben: 1. als Name, der Vater Karls des Grossen hiess so, 2. als Teil des Kernobstes wie erwähnt, 3. als Ungemach, Ärgernis, Schwierigkeit und als 4. als kleiner, faltbarer Regenschirm. Damit war das Rätsel gelöst. Im übrigen sind Robert und Larousse -ohne petit- x-bändige Werke mit allen Vokabeln der französischen Sprache. Der Anblick ist für jeden Französisch Studierenden reinste Frustration.

Bei gewissen Themata ist der Wortschatz der Franzosen sehr reich und mit den Doppeldeutigkeiten ums Zweifache reicher, wie folgende Liste zeigt:

Un gars : ist ein junger Mann

Un courtisan : gehört zum Hof des Königs

Un masseur : ist ein Therapeut

Un coureur : ist ein Jogger

Un professionnel : ist ein Sportler auf hohem Niveau

Un homme sans moralité : bedeutet Politiker

Un entraîneur : trainiert eine Mannschaft

Un homme à femmes : ist ein Verführer

Un homme public : ist eine bekannte Persönlichkeit

Un homme facile : stellt ein Mann dar, mit dem es einfach zu leben ist.

Un homme qui fait le trottoir : ist ein Maurer, der Strassenbeläge repariert

Un péripatéticien : war ein Schüler von Aristoteles.

Man glaubt es kaum, aber sobald die obigen männlichen Begriffe durch die entsprechenden weiblichen ersetzt werden, handelt es sich bei allen "Persönlichkeiten" um Nutten.

Es ist unverkennbar, wie stark die französische Sprache vom Hof der Könige Frankreichs geprägt wurde. Hier wurden Eleganz, verwundene Wendungen und zum Teil auch absichtlich umständliche Formulierungen gepflegt. Alles Gewöhnliche und Abschätzige war verpönt. Ein schönes Beispiel bildet der folgende Begriff: "Se présenter dans son plus simple appareil". Ich habe ihn in einem Brief gefunden und natürlich gar nichts verstanden. Was könnte mit dem einfachsten Apparat gemeint sein? Elektronische Geräte kamen nicht in Frage. Sie gab es damals nicht und ausserdem sind sie nicht einfach. Ich suchte nach einer Art Kiste, in die man sich begeben konnte, fand aber nichts Passendes, und so blieb die Passage für einige Zeit unverstanden. Schliesslich wurde klar, dass der appareil nicht Apparat, sondern Erscheinung (von apparaître) bedeutet. Sich in seiner einfachsten Erscheinung zu zeigen, bedeutet also nichts anderes, als nackt zu sein. Füdleblutt wie man in der Schweiz sagt.

Ernst gemeint und keinesfalls für eine Modernisierung vorgesehen, sind die ausschweifenden Höflichkeitsfloskeln, die hier in Frankreich immer noch das Ende der Briefe zieren. Ich habe einmal den Fehler gemacht, eine E-Mail an eine gute Freundin mit "beste Grüsse" zu beenden. Sie hat mir darauf hin beinahe die Freundschaft aufgekündigt. Einige bises müssten unter Freunden schon dabei sein, sonst sei die Formulierung für unzufriedene Geschäftskunden reserviert. Hier ein paar Beispiele für Geschäftsfälle:

"Empfangen Sie bitte, Herr Präsident, die Versicherung meiner hervorragenden Achtung."

(Veuillez recevoir, Monsieur le Président, l'assurance de ma considération distinguée.)

"Ich bitte Sie, Frau Gemeinderat, den Ausdruck meiner riesigen und tiefen Unterwerfung anzunehmen." (Je vous prie d'agréer, madame le conseiller, l'expression de mon immense et profonde dévotion.)

"Ich bitte Sie, Herr Müller, meine geachteten und aufrichtigen Grüsse entgegenzunehmen."

(Je vous prie d'agréer, Monsieur Müller, mes respectueuses et sincères salutations.)

Das Gegenteil vom höfischen Vokabular sind die familiären Wortbildungen und speziell diejenigen mit einfacher Silbenwiederholung. Es gibt unzählige davon: papa, maman, titi (Strassenjunge), caca (Stuhlgang), pipi (Harn), tata (Tantchen), nounou (Tagesmutter), mémé (Oma), lolo (Milch), pépé (Opa), tonton (Onkel), coucou, coco (Kommunist), bibi (ich), zizi (Penis), bébé, néné (Titte), tutu (Ballettröckchen) etc.

Der Umgang mit menschlichen Ausscheidungen gehört viel stärker noch als im Deutschen zum täglichen Umgang. So heisst der Löwenzahn, wegen seiner diuretischen Wirkung, pisse-en-lit.

Wenn etwas völlig unnötig ist, sagt der Franzose: il vaut mieux pisser dans un violon. Kein Mensch weiss warum. Und schlimmer, wenn einer einen Affentanz aufführt, sagt man: chier une pendule. Aus den Därmen eine Standuhr pressen. Anatomisch schwer vorstellbar!

An einer Villa in Le Lavandou fand ich folgenden Hinweis: "Attention, chien monte la garde!". Auch nach der sexuellen Befreiung der Menschheit scheint mir die Warnung, dass die wachhabende Frau hier von einem Hund bestiegen wird, reichlich gewagt. Geschlechtsverkehr zwischen Tieren und Menschen ist auch heute noch unmoralisch. Ich habe mich gefragt, warum das hier auch noch öffentlich bekannt gemacht wird, und wenn schon ein Hund existiert, wozu braucht es dann noch eine Wächterin. Es ist nur zu hoffen, dass die wörtliche Übersetzung hier nicht legitim ist.

Der Gipfel französischer Frech- und Unwissen-heit aber manifestiert sich in einem französischen Kreuzworträtsel: Hier wurde gefragt: "französischer Käse, eine Sorte Gruyère?". Die richtige Antwort, zumindest nach Ansicht des Rätselstellers, ist: "Emmental". Schwer zu ertragen für einen Schweizer ...

 


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