Textatelier
BLOG vom: 16.07.2015

Winkelzüge im menschlichen Verkehr

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London


Als Jüngling habe ich verschiedentlich in Muttenz (BL) beobachtet, wie leere Güterzüge im Rangierbahnhof neu zusammengekoppelt wurden. Die Waggons, von der Rangierlokomotive gezogen, fanden auf der Drehscheibe ihr Anschlussgleis. Dieses Manöver verhinderte Winkelzüge und Zusammenstösse.

Ganz anders verhalten sich die Winkeladvokaten und Politiker: Auf ihrer Drehscheibe wird gemeinhin das Recht verdreht und Versprechen gebrochen. Die meisten Düpierten merken das zu spät – sie wurden zum Narren gehalten.

 
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In diesem Aufsatz greife ich eine Fallstudie auf, die sich im Berufsleben immer wieder in vielen Variationen abspielen kann: Die Jagd nach Statusgewinnen.

Fallstudie

Der hoch qualifizierte Georg wirkte als Berater in einer Grosspraxis zum finanziellen Vorteil von Grossfirmen. Dank einem Netzwerk von Spionen wurde er mit Informationen gefüttert, die ihm als Berater dienlich waren und ihm Erfolg einbrachten. Er hoffte seit 5 Jahre vergeblich, als Partner in dieser Praxis gewürdigt zu werden.

Georg plante in der Folge seine eigenen Winkelzüge und wurde zum Spion in eigener Sache. Georg hatte freien Zugang zur Direktion im obersten Stock. Eines Tages schnüffelte er frühmorgens im Büro des Personalchefs. Verblüfft fand er in der Ablage Unterlagen, die ihm – in seinem Wahn, persönliche Vorteile zu ergattern – sehr gelegen kamen.

Ein von der Firma bestimmter Stellenvermittler wurde aufgefordert, einen neuen Partner mit internationaler Erfahrung zu finden, der in Marketing beschlagen war. Eben wie er die Dokumente fotokopiert hatte, erschien die Sekretärin mit einer Giesskanne Wasser, womit sie Topfpflanzen bewässern wollte. Wie sie sich der Pflanzenpflege hingab, legte Georg die streng vertraulichen Dokumente in den Ablagekorb zurück und empfahl sich schleunigst mit dem Hinweis, dass er heute noch einen Vortrag halten müsse. Er entkam unbehelligt. “Viel Erfolg!” schickte ihm die Sekretärin nach. Was Georg nicht wusste: sie informierte nebenbei den Personalchef, dass Georg hier aufgetaucht war. “Was zum Teufel hat er hier zu suchen?”, brummte er und kratzte seine kahle Kopfhaut.

Georg musste rasch handeln. Er telefonierte und sprach mit dem Inhaber der Stellenvermittlung und stellte sich wortgewandt als idealen Kandidaten für den Partnerposten vor. Er vereinbarte ein Treffen mit ihm anderntags in einem Luxushotel. Erst dann könne er ihm sein streng vertrauliches Curriculum vitae (Lebenslauf) unterbreiten, flocht er ein.

Stracks telefonierte der Stellenvermittler recht aufgebracht dem Auftraggeber und fragte: “Wie kommt es, dass Sie meinen mir exklusiv erteilten Auftrag an andere Vermittler weitergeleitet haben?”

“Das habe ich keinesfalls getan“, versicherte ihm der Personalchef.

Beide hatten Lunte gerochen und beschlossen, das Leck zu stopfen.

Vielverheissend begann ihr Gespräch. Zuckersüss bemerkte der Stellenvermittler: “Sie sind wirklich hochqualifiziert und genau der Mann, den wir suchen.”

Aber Georg geriet in die Klemme, als der Stellenvermittler darauf bestand, dass er ihm vornweg den Namen seines Arbeitgebers und seine Beweggründe für den beabsichtigten Stellenwechsel preisgeben müsse, ehe er seine Bewerbung bearbeiten könne.

“Das kann ich erst, wenn sie mir hoch und heilig versprechen, seinen Namen niemanden preiszugeben. Ich dachte, meine Referenzen würden Ihnen genügen“, wandte Georg verdattert ein.

“Einen Augenblick bitte”, sein Gegenüber zückte das Handy und tippte Georgs vollen Namen bei Google ein. “Aha, da haben wir es, Sie sind wirklich international bekannt. Letzte Woche haben Sie an einer wichtigen Konferenz einen Vortrag über die letzten Errungenschaften in der IT-Technologie im Namen einer namhaften Firma gehalten. Wollen Sie mehr wissen?”

Ausgerechnet er, der in der IT bewandert ist, hatte die allmächtige IT-Präsenz ausser Acht gelassen! Georg flehte um Nachsicht. Doch nichts konnte ihm aus der Patsche helfen. “Nein, ich kann und will meinem Auftraggeber nichts vertuschen, auf Winkelzüge lasse ich mich nicht ein”, sagte er, stand auf und verliess Georg, ohne ein weiteres Wort zu sagen, nachdem er dessen Curriculum vitea als Indiz in seine Brieftasche versorgt hatte.

Fristlos entlassen, scheiterten Georgs Versuche, eine neue Stelle in seinem Fachgebiet zu finden. Er war wirklich auf dem Abstellgleis gelandet. Selbstverschuldet.

 


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