Textatelier
BLOG vom: 12.06.2015

Die Ehe, die Lebensgemeinschaften und der Gesetzgeber

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hatte 33 „Väter“ und 4 „Mütter“.
 
Direkt nach dem Krieg gab es noch keine Emanzipation im heutigen Verständnis. Nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes brauchte das deutsche Volk eine Verfassung. Sie wurde Grundgesetz genannt, weil der Eintritt in die Souveränität und Autonomie für das ganze deutsche Volk abgewartet werden sollte.
 
Einige Grundrechte unterliegen der „Ewigkeitsklausel“, andere, wie z. B. auch der Artikel 6 könnten mit je einer 2/3 Mehrheit des Bundestags und des Bundesrats geändert werden. Der Absatz 1 dieses Artikels besagt:
 
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“
 
Es wird im Grundgesetz nicht definiert, was die Ehe beinhaltet, gemeint ist aber eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Bigamie ist nach § 1306 des BGB unzulässig.
 
Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist in den letzten Jahren enorm gestiegen, oftmals gehen die Partner nach dem Scheitern einer Ehe keine neue standesamtlich gebundene Ehe mehr ein.
 
Es bestehen also neben den Ehen inzwischen gesellschaftlich anerkannte Lebensgemeinschaften. In den ersten 7‒10 Jahren werden ca. 50 % der traditionellen Ehen geschieden. Die Kinder der danach entstehenden neuen Beziehungen stammen sowohl aus den vorher bestandenen Ehen als auch erst durch die neue Verbindung. Man benutzt gern den englischen Ausdruck „patchwork-family“, gemeint ist „ein Fleckenteppich“ unterschiedlicher Herkunft der Kinder und Erwachsenen.
 
Rechtlich bestehen solche Stieffamilien aus 2 Familien mit allein erziehenden Elternteilen. Inzwischen sollen es 7‒13 % aller Haushalte sein. Es fehlt an der rechtlichen Einordnung und Definition der Mischfamilien.
 
Immer häufiger schliessen sich Paare oder auch Gruppen mehrerer Personen zu Lebensgemeinschaften zusammen; überwiegend könnte man sie „eheähnlich“ bezeichnen. Rechtlich existieren sie nicht. Das Recht betrachtet die Partner als Fremde. Der Partner hat keinerlei Rechte im Krankheits- oder Todesfall, der sozialen Absicherung, bei der Rückzahlung von Krediten, wenn dies nicht durch einen Notar in einem Partnerschaftsvertrag vereinbart worden ist. Das Sorgerecht für die Kinder steht übrigens immer der Mutter zu.
 
Seit 2001 gibt es die eingetragene Lebenspartnerschaft, die rechtlich der Ehe gleichgestellt ist, allerdings nur für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Die Partner verpflichten sich zur gemeinsamen Lebensführung, zu gegenseitigem Beistand sowie zu lebenspartnerschaftlichem Unterhalt. Homosexualität ist übrigens nicht Bestandteil oder Voraussetzung dieser Gemeinschaft, nur die Gleichgeschlechtlichkeit. Ein Adoptionsrecht wie in einer Ehe ist allerdings nicht vorgesehen, ausser wenn ein Partner ein Kind mit in die Lebenspartnerschaft mitbringt. Seit 2013 ist eine sukzessive Zweitadoption möglich. Übrigens können die diesbezüglichen Gesetze im Bundestag durch einfache Mehrheit geändert oder abgeschafft werden, sie sind nicht dem Grundgesetz gleichgestellt.
 
In den nächsten Jahrzehnten wird immer mehr infrage gestellt werden, ob das Geschlecht eines Menschen unabdingbar feststeht. Immer häufiger werden in den Medien Geschlechtsumwandlungen beschrieben, ebenso wie Bi- und Polysexualität. Geschlechterrollen können sich im Laufe eines Lebens ändern, Personen entdecken ihre Homosexualität und umgekehrt und wollen sie auch ausleben.
 
Der Soziologe Georg Simmel hat sich 1895 dem Thema „Soziologie der Familie“ gewidmet. Er schreibt:
 
„Feste Ordnungen, beschränkende Normen erscheinen uns allenthalben erst als spätere Stadien von Entwicklungen, die mit sinnlosem Chaos begonnen haben, und so schienen die dauernden Beziehungen, die wir als Ehe und Familie bezeichnen, erst das Resultat sozialer Zucht, erprobter Zweckmässigkeit sein zu können; denn als das Minimum von Ehe muss man doch diejenige Beziehung zwischen Mann und Weib bezeichnen, welche über die Geburt des Sprösslings hinausreicht und in der eine Gemeinsamkeit der Lebensfürsorge stattfindet.“
 
Simmel untersuchte unterschiedliche Formen des Zusammenlebens, der Polygamie, des vorehelichen oder ehelichen Geschlechtslebens. Er stellt aber fest, dass …
 
… „der feste Kern, um den die Familie herumgewachsen ist, nicht das Verhältnis zwischen Mann und Weib, sondern zwischen Mutter und Kind ist.. Das Kind gehört der Mutter; dem Vater nur insoweit, als ihm die Mutter gehört – wie die Früchte des Baumes dem gehören, der der Eigentümer des Baumes ist.“
 
Über das letzte Argument sind wir im Zuge der Gleichberechtigung zwar noch nicht ganz, aber zu einem grossen Masse hinaus, bei dem vorher gehenden allerdings entspricht das immer noch dem meist praktizierten Recht, das Sorgerecht der Mutter zu zuschreiben, wenn eine Ehebeziehung scheitert.
 
Gesellschaftliche Kräfte haben den Gesetzgeber aufgefordert, für nichteheliche Lebensformen, wie sie in der Patchwork-Family bestehen, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen. Er kann sich zwar immer noch darauf berufen, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, aber nicht darauf, an der Lebensrealität vorbei zu gehen und diese Lebensform nicht zu beachten. Meines Erachtens haben diese Familien ein Recht auf einen juristisch festgelegten Rahmen.
 
 
Quellen
Simmel, Georg: Individualismus der modernen Zeit“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2008.
Venger, Sonja: „Gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse nichtehelicher Lebensgemeinschaften“, Juristische Reihe TENEA, www.jurawelt.com, Bd. 81, zugleich Universität Konstanz, Dissertation 2004.
 
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