Textatelier
BLOG vom: 04.05.2015

Deutschland: Das Elend mit den heutigen Politik-Ideen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache,
Viersen/Westdeutschland
 
 
Die politische Leitidee in Europa ist die repräsentative Demokratie. Die Volksvertreter und Parteien geben Wahlversprechen ab. Oft werden diese nach der Wahl aber überhaupt nicht umgesetzt, oder sie werden bei unterschiedlichen Mehrheiten und Koalitionen durch Kompromisse verwässert.
 
Durch die Machtverteilung zwischen den europäischen und nationalen Parlamenten sind die Meinungsbildungsprozesse und die daraus resultierenden Gesetze vielen Bürgern nicht mehr einsichtig.
 
Es gibt sicher eine grosse Zahl von Menschen im Lande, die mit der Politik nicht einverstanden sind. Sie fühlen sich durch die etablierten Parteien nicht oder ungenügend vertreten. Wenn sie Gleichgesinnte finden, gründen sie Bürgerinitiativen, Wählergemeinschaften, und andere Organisationen. Damit gehen sie an die Öffentlichkeit. Das kann durch Demonstrationen und Protestmärsche geschehen oder durch andere, teilweise nicht immer gesetzlich erlaubte Aktionen, die Aufmerksamkeit hervorrufen. Entweder die alternative Meinung kommt an, findet Anhänger und mündet in eine Parteigründung oder sie bleibt klein oder geht wieder unter.
 
Beispiele einer solchen Entwicklung sind die Piratenpartei, die Alternative für Deutschland (AfD) und die Organisation, die sich „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) nennt.
 
Die Initianten dieser Gruppierungen fühlten sich von den Abgeordneten des deutschen Bundestags nicht mehr vertreten. So waren auch „Die Grünen“ vor über 30 Jahren angetreten, inzwischen ist aus ihnen eine etablierte Partei geworden, die die 5-%-Hürde, die kleinere Parteien hindert, in die Landtage und in den Bundestag zu kommen, erfolgreich überwunden hat und sogar teil- und zeitweise Koalitionspartner mit Regierungsbeteiligung geworden ist.
 
Diese Alternativen haben es nicht leicht. Oftmals werden sie auch einfach ignoriert. Dafür wurde der Begriff „Schweigekartell“ gebildet. Schon Kurt Tucholsky schrieb: „Der geschickte Journalist hat eine Waffe: das Totschweigen ‒ und von dieser Waffe macht er oft genug Gebrauch.“
 
Die 3 oben genannten Initiativen haben es geschafft, die Waffe stumpf zu machen. Mit dem Internet gibt es unzählige Möglichkeiten mehr, neue Ideen zu verbreiten, zu posten, wie es neudeutsch heisst.
 
Man sieht bei allen Neugründungen ähnliche Entwicklungen. Je nach Kontext versuchen Menschen unterschiedlichster Meinungen, sich Einfluss zu verschaffen. Die Anfangsidee reicht oft nicht aus, die genaue Position des Programms darzustellen und auch festzuschreiben. Folglich kommt es zu Richtungskämpfen, oft genug geben Mitglieder der Führungsriege Statements ab, die eher als Einzelmeinungen gelten müssten, aber dann als zugehörig für die Partei oder Gruppierung gewertet werden. Wenn die Führungsriege nicht genug Rückhalt durch die Mitglieder hat, droht der Anfangsimpuls unterzugehen.
 
Die Piraten: Zum Zustand seiner Partei äusserte sich der Bundesvorsitzende Thorsten Wirth mit den Worten: „Die Verunsicherung ist spürbar und droht uns zu zerreissen“ (FAZ-net).
 
Infolge der Flügelkämpfe kommt es zu Streitigkeiten, Ausschlüssen und Austritten.
 
So auch in der AfD. Sie entstand 2012 aus einer Bürgerinitiative („Wahlalternative 2013“) in Bad Nauheim in Hessen/D. Schon im Februar 2013 wurde die Partei in Berlin gegründet. Die Gründungsmitglieder sahen den Euro als gescheitert an.
 
Auffällig war, dass unter ihnen bisherige CDU-Mitglieder waren, aber besonders einige Wirtschaftsprofessoren, die sich gegen die Finanzpolitik der EU wandten. Es waren ernstzunehmende Überlegungen, ausgelöst durch die Schuldenpolitik. So verortete sich die Partei im Links-Rechts-Spektrum rechts von der CDU.
 
Nicht lange nach den ersten Anfangserfolgen, 2013, fehlten bis zum Einzug in den Bundestag nur wenige Prozentpunkte, kam es auch in dieser Partei zu massiven Richtungs-, Meinungs- und Führungskompetenz-Kämpfen. Einzelne Parteimitglieder manövrierten sich nach Meinung der Medien immer stärker in eine rechtsradikale Richtung, mit Ressentiments gegen Ausländer in Deutschland. Kommentare einzelner Parteimitglieder in Führungspositionen und damit auch die Parteiausrichtung werden in unabhängigen Gutachten als rechtspopulistisch eingestuft, was durch die Nähe zu anderen rechtspopulistischen europäischen Parteien auch demonstriert wird.
 
Die Pegida-Bewegung erfasste Bürger in Deutschland, die aufgrund internationaler islamistischer Vorkommnisse wie Attentate und das Erstarken des „Islamistischen Staats“, sich durch die öffentliche Diskussion, ob denn der Islam ebenso zu Deutschland gehöre wie das Christentum, durch die Einwanderungspolitik, durch Ängste und Vorurteile gegen Ausländer entwickelte. Das geschah angeblich aus Sorge um die christlich geprägte Kultur in Europa und einen befürchteten Niedergang der deutschen Nation bei einem Erstarken islamischer Einflüsse. Die Demonstrationen zogen schnell auch rechtsradikale NPD-nahe Teilnehmer an. Ein Führungsmitglied mit Vorstrafen, ausländerfeindliche Parolen anderer, führten auch hier zu Rücktritten einiger Organisatoren und einflussreicher Bewegungsmitglieder. Pegida wird mit undifferenzierter Ausländerfeindlichkeit in Verbindung gebracht, die in massiven Bedrohungen von Flüchtlingen und Migranten ausarteten. Häufig münden Protestbewegungen in die Gründung einer Partei mit entsprechenden Programmatiken. Allerdings scheint mir die jetzige Führungsriege der Bewegung kaum dazu in der Lage zu sein.
 
Ich vermute, dass viele Bürger in Deutschland die Entwicklungen und die Aktivitäten mithilfe der Medien und im Internet beobachten und verfolgen. Einerseits sind sie besorgt um die Zukunft: Sie sehen die Globalisierung, den Einfluss der USA, die europäische und nationale Gesetzgebung mit Einflüssen auf das tägliche Leben sehr skeptisch bis ablehnend, andererseits ist ihnen aber das Aussenbild, das von den neuen Parteien und Bewegungen gezeigt wird, so diffus und ungefestigt oder einseitig ausgerichtet, dass sie darin keine Alternative zu den etablierten Parteien erkennen.
 
Deshalb sehe ich für die oben erwähnten und anderen jungen Parteien wenig Zukunftschancen. Aber ‒ es gilt, rechts- wie linksradikalen Richtungen Einhalt zu gebieten, allerdings unbedingt, ohne demokratische Grundsätze oder die Meinungsfreiheit zu verletzen. Die Entwicklung in der Weimarer Republik zwischen 1919 und 1933 ist noch in wacher Erinnerung! Sie endete mit der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler.
 
 
Quelle
 
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