Textatelier
BLOG vom: 10.03.2015

Diminutive: Herrchen und Männlein, Frauchen und Fräulein

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
„Folgt meinem Beispiel: das Glas zur Hand,
und jeder sing' zum Nachbar gewandt:
Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein
wollen alle wir sein,
stimmt mit mir ein!“
(Aus der „Fledermaus“ von Johann Strauss)
 
Die Diminutive von Bruder und Schwester sind in der Umgangssprache in der Regel „Brüderchen und Schwesterchen“, ein älteres Geschwisterkind würde nicht die „-lein“-Form wählen, nur in der Lyrik wird sie ab und an benutzt, aber nicht immer, wie man an dem Beispiel des Kinderlieds „Brüderchen, komm’ tanz mit mir“ feststellen kann. Es ist unschwer zu erkennen, dass „-chen“ den Reim im Vers der obigen Operette sprengen würde.
 
In der hochdeutschen Sprache gibt es vor allem diese 2 Formen, das „-chen“ und das „-lein“. Auf die Dialektformen, z. B. ‚l’, ‚li’, ‚ke(n)’ oder ‚le’ und andere will ich hier nicht eingehen.
 
Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich bei Nomen beide Formen anwenden. Eine Ausnahme ist, wenn sie mit dem danach entfallenden ‚e’ enden, dann bleibt es beim „-chen“: „Teilchen, Händchen, Löffelchen“. Ist der Auslaut ‚g, ch, ng’ (auch hier entfällt ‚e’), wird in der Regel ein ‚-lein’ ergänzt: „Äuglein, Zünglein, Zicklein, Büchlein“, wobei auch eine Änderung des Stammvokals zu einem Umlaut erfolgt.
 
Männliche Hundebesitzer nennen sich selbst bei „Gesprächen“ mit ihren Vierbeinern „Herrchen“, weibliche „Frauchen“. Hundebesitzerinnen gehen, auch wenn das grammatikalisch nicht ganz korrekt ist, mit ihrem „Hündilein aufs Gassilein“.
 
Im Kinderlied „Ein Männlein steht im Walde“ ist allerdings kein menschliches Wesen, sondern ein Fliegenpilz gemeint, aber kleine Jungen werden auch gern so genannt, um zu betonen, dass sie „erwachsene“ Verhaltensweisen zeigen.
 
Die Diminutive lassen sich als Koseform verwenden: „Schätzchen und Schatzilein, Liebchen, Mäuschen, Schnuckelchen“ usw., können aber auch abwertend sein, wie etwa bei „Bürschchen“ und „Jungchen, Jüngelchen“.
 
Die moderne „geschlechtergerechte“ Sprache verlangt bei Mädchen und Frauen die entsprechende Anredeform oder den Titel durch „-in“ zu verlängern. Darüber habe ich mich bereits in einem Blog ausgelassen, dort habe ich eine fiktive Rede zu einem offiziellen Anlass in einer Schule verfasst. Es funktioniert aber nicht bei allen Berufsbezeichnungen.
 
Im Artikel „Feministische Linguistik“ bei Wikipedia lese ich folgenden Satz: „So setzten sich zum Beispiel in den 1970er- und 1980er-Jahren Feministinnen für die Nichtbenutzung des Wortes ,Fräulein‘ ein, weil dadurch eine Asymmetrie beseitigt werde, die darin bestehe, dass es kein männliches Gegenstück zu der diminutiven und insofern abwertenden Anredeform ,Fräulein‘ gebe.“
 
Wie rufen Sie die weibliche Bedienung in einem Restaurant? Einen Mann würden Sie mit „Herr Ober“ oder „Kellner“ herbeizitieren, „Frau Kellnerin“ ist allerdings unüblich, und die „Oberin“ arbeitet nicht in einem Restaurant, sondern ist die Vorsteherin eines Klosters.
 
Früher – als das „Gender-Mainstreaming“ noch nicht so fortgeschritten war – rief man einfach „Fräulein“. Es war ebenso die Anrede für eine Lehrerin, die in vergangenen  Zeiten nicht verheiratet sein durfte. Auch heute benutzt man sie noch, aber diese Anrede ist verpönt, denn Frauen wollen sich nicht „verkleinern“, sprich: demütigen lassen.
 
Im Lokal gibt es keine direkte Anrede! Also begnügt sich der Gast („eine Gästin“ gibt es ebenso wenig!) mit dem Ausruf „Bedienung“, „Service“, „Hallo“ oder einem Handzeichen bei Blickkontakt, ein nicht immer einfaches Unterfangen in einem grösseren Saal. So ist es in Deutschland und in der Schweiz.
 
Verboten ist es nicht, und wenn man die Anrede „Fräulein“ benutzt, kann man dafür juristisch nicht belangt, nur „bestraft“ werden mit dem abwertenden Blick der Frau oder deren Missachtung der Ansprache. Ja, ich kenne auch unverheiratete ältere Damen, die sogar Wert darauf legen, mit „Fräulein“ angesprochen zu werden!
 
Auf ihrer Website schreibt eine Bloggerin: „Eine Studie (von 2008) besagt auch, dass fast die Hälfte der Befragten das Wort ‚Fräulein’ noch verwendet und der verbleibende Rest stört sich nicht an dieser Anrede. Was für mich zu klären bleibt: wurden Männer oder Frauen befragt? Und würde das Ergebnis einer Umfrage heute anders ausfallen?
 
Für mich steht nach dem Brief und dem dadurch ausgelösten Ausflug in die Etymologie fest: Die Anrede ‚Fräulein’ kann sogar ‚eine kleine private Freude’ sein, sie kann als Provokation oder Abwertung empfunden werden, und sie kann auch eine humorige Besinnung auf vergangene höfliche Umgangsformen ohne diskriminierende Absicht sein.“ http://www.inge-schlueter.de/
 
Wie ist das in anderen Sprachen und Ländern?
 
Mein Bloggerkollege und Korrektor Rolf P. Hess schreibt mir:
 
„Lieber Richard,
diese komischen Entwicklungen sind an mir vorbeigegangen. In Asien – und auch in Amerika – adressiere ich Fräuleins (Miss) genauso, wie wir das früher immer getan haben.“
 
In offiziellen Dokumenten, die aus dem Thailändischen ins Deutsche übersetzt werden, wird vermerkt, ob die Dame bei der Eheschliessung oder bei der Scheidung ihre Anrede „Fräulein“ weiterführen oder in „Frau“ geändert haben will und umgekehrt.
 
Die Formulierungen lauten beispielsweise:
Über die Anrede: die Verlobte will, dass die Anrede in ‚Frau’ geändert wird.“
„Über die Anrede: die weibliche Scheidungspartei will ihre Anrede ‚Fräulein’ weiterführen.“
„Nach der Scheidung will die weibliche Scheidungspartei ihre Anrede ‚Frau’ weiterführen.
„Fräulein Jiranat P. beabsichtigt, ihre Anrede ‚Fräulein’ weiterzuführen, und sie will ihren Geburtsnamen wieder annehmen.“
 
Das hört sich seltsam an, ist aber genau genommen ein Übersetzungsproblem: Im Englischen bzw. im Amerikanischen wird unterschieden zwischen Ms., Miss, und Mrs., lautschriftlich: „ˈmɪz“, ein stimmhaftes weiches „s“ bei Ms.; „mɪs“, ein stimmloses hartes „s“ bei Miss und „mɪsɪz“ bei Mrs.
 
Übersetzt werden die ersten Formen im Deutschen beide zu „Fräulein“, obwohl „Ms.“ sich nicht darauf festlegt, sondern eher neutral ist, weil man nicht weiss, ob die Dame verheiratet ist oder nicht.
 
So treibt die Emanzipation (der Feminismus, der Genderismus?) ihre Blüten, im täglichen Leben und in der Sprache!
 
 
Quellen
 
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