Textatelier
BLOG vom: 18.03.2014

Leonardo da Vinci, lebenslanges Lernen und Motivation

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
Vor einigen Wochen habe ich über ein Museum in Rom berichtet, das Erfindungen von Leonardo da Vinci zeigt und für mich überraschende Erkenntnisse brachte. So fand ich die Konstruktion seines Fahrrades genial modern. Leonardo war ein Universalgelehrter, Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph; er lebte von 1452–1519. Sein bekanntestes Werk ist das Gemälde „Mona Lisa“ im Louvre in Paris.
 
Er hat nicht nur künstlerisch gearbeitet, geforscht und konstruiert, sondern war auch schriftstellerisch tätig. Vor einigen Tagen stiess ich auf „Philosophische Tagebücher“ aus seiner Feder.
 
Ein Satz von ihm lautet: „Jede unserer Erkenntnisse beginnt bei den Empfindungen.“
 
Leonardo ging von der Natur aus, denn: „Natura non rompe sua legge.“ – „Die Natur bricht nie ihr Gesetz.“ Sie ist nach seinen Worten uns wohlwollend, ihre Wirkungen werden von unseren Sinnen wahrgenommen und führen zu Erfahrungen.
 
Er schrieb: „L’acquito di qualunque cognizione e’ sempre utile alle intelletto.“ – „Der Erwerb von Wissen ist dem Intellekt immer hilfreich“, denn „La sapienza è figiola della sperienza“: „Die Weisheit ist die Tochter der Erfahrung.“
 
Um sie zu erlangen, ist ein gewisser innerer Antrieb erforderlich: „Ogni azione bisogna che s’sercita per moto.“ – „Jede Aktion muss trainiert werden, wozu Bewegung notwendig ist.“
 
„Siccome il fero s’arrugginisce sanza esercizio e l’acqua si putrefa o nel freddo s’addiaccia, così lo ´negno sanza esercizio si guasta.“ – „Eisen rostet, Wasser fault und friert in der Kälte, wenn es nicht gebraucht wird, so verdirbt der Geist, wenn er nicht geübt wird.“
 
Leonardo hat sich also Gedanken über Motivation gemacht, über die Menschen, die Ansporn angesichts des Lernumfangs benötigen und Geduld, mit den Studien fortzufahren.
 
Leonardo hat viele Fabeln geschrieben, mehr als 60 davon sind bis heute bekannt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn er zur Bekräftigung seines Einsatzes für Wahrheit und Wissen, die zu einem weiten Urteilsvermögen führen, auch diese Literaturgattung einbezogen hat.
 
Stahl und Stein
Ein Stein, der von einem Feuerstahl geschlagen wurde, verwunderte sich sehr und sagte zu diesem mit strenger Stimme: "Warum bist du so unverschämt und plagst mich in dieser Weise? Tue mir kein Leid an; denn du hast mich irrtümlich genommen. Ich habe noch nie jemandem missfallen."
 
Darauf antwortete der Feuerstahl: "Wenn du geduldig bist, wirst du sehen, dass etwas Wunderbares aus dir hervorgeht."
 
Nach diesen Worten war der Stein friedlich, hielt die Marter geduldig aus und sah, wie aus ihm ein wunderbares Feuer geschlagen wurde, das man in zahllosen Dingen wirken sehen kann.
 
Das ist zu denen gesagt, die am Anfang ihrer Studien erschrecken. Aber wenn sie beginnen, sich selbst in Zucht nehmen, und sich geduldig und mit Ausdauer ihren Studien widmen, gelangen sie zu erstaunlichen Leistungen.
 
Das Rasiermesser
Als das Rasiermesser eines schönen Tages aus seinem Griff, der ihm als Scheide diente, herauskam und sich ins Fenster legte, sah es die Sonne sich in seinem Leibe spiegeln.
 
Da fühlte es sich von ungeheurem Glanz durchströmt und in Gedanken an sein Handwerk sprach es zu sich selber: „Niemals will ich wieder in die enge Stube zurück, aus der ich kam! Mögen die Götter verhüten, dass meine leuchtende Schönheit so erniedrigt wird. Welcher Unsinn, die eingeseiften Knasterbärte dummer Bauern zu rasieren, was ist das für Hausknechtsarbeit! Ist dieser blitzende Leib dazu geschaffen? O bei Gott nein, ich will mich an einem verborgenen Ort verstecken und dort in stiller Ruhe mein weiteres Leben verbringen." Und so tat das Rasiermesser.
 
Als es nun einige Zeit in seinem Versteck zugebracht hatte, kehrte es eines Tages an die Luft zurück. Aber o Schreck! Es merkte, dass es aussah wie eine alte, verrostete Säge, die Sonne blitzte nicht mehr auf der stumpfen Fläche. Vergebens war alle Reue, nutzlos alles Klagen. „Wie viel besser hätte ich getan", sprach das Rasiermesser bei sich, „meine scharfe, nun verdorbene Schneide beim Barbier zu üben! Wo ist mein glänzender Leib? Weh mir, der tückische Rost hat ihn zerfressen."
 
Ganz so, meine Lieben, wird es denen ergehen, die sich dem Müssiggang hingeben, anstatt zu arbeiten. Sie werden, wie unser Rasiermesser, ihre scharfe Schneide verlieren, und der Rost der Unwissenheit wird ihre Form verderben.
 
Da Vinci hat entdeckt, dass das Gehirn unmotiviertes Lernen ohne Wissbegier nicht speichert.
 
Er hat auch erkannt, dass etwas mit Zwang Getanes wenig Sinn hat: „Nimm dir nichts vor und tue nichts, wovon du einsiehst, dass es dir, falls du dein Ziel nicht erreichst, Qualen verursachen würde.“
 
Dennoch: Nichtsnutze und Taugenichtse müssen ihm ein Gräuel gewesen sein. Er nennt sie Personen, die man nicht anders als Durchgang von Speisen, Vermehrer von Kot und Benutzer von Abtritten bezeichnen müsse.
 
„La vita bene spesa lunga è.“ „Lang ist ein vollbrachtes Leben.“ „Sicome una giornata bene spesa dè lieto dormire, cosi una vita bene usata dè lieto morire.“ „So wie ein gut verbrachtes Tagewerk einen angenehmen Schlaf gibt, so gibt ein wohl angewandtes Leben einen heiteren Tod.“
 
Angesichts der übergrossen Fülle seines Schaffens ist das gut nachzuvollziehen. Er muss sein Leben geliebt haben. Denn er war der Auffassung, dass Lernen auch beinhaltet: „Quando io crederò imparare a vivere, e io imparerò a morire.“ – „Wenn ich glauben werde, dass ich gelernt habe zu leben, dann werde ich auch gelernt haben zu sterben.“
 
Von Leonardo da Vinci können auch heutige Zeitgenossen noch lernen, dass reges Tätigsein lebenserfüllend und beglückend sein kann und dazu beiträgt, ein hohes Alter zu erreichen. Denn man lernt nie aus, und das ist gut so!
 
 
Quellen
Da Vinci, Leonardo: „Philosophische Tagebücher, Italienisch und Deutsch“, Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, Hamburg 1958.
 
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