Textatelier
BLOG vom: 25.02.2014

Das verordnete Feiern: In Deutschland ist Karneval

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
Es sind die Tage vor Rosenmontag und Aschermittwoch. Vor allem im Bundesland Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen deutschen und ausländischen Landen, wird Fastnacht, Fasnet, Fasnet, Fastelavend, Karneval gefeiert. Es ist nicht ganz sicher, ob diese Tage wirklich vom Ursprung her christlich sind oder ob das Christentum sie, wie schon die Tage, an denen wir heute Weihnachten feiern, von vorchristlichen Bräuchen übernommen und christianisiert hat. Auch der Ursprung des Namens Karneval ist nicht sicher. In manchen Gegenden sind diese Tage bereits vom christlichen Brauch abgekoppelt. Ich habe gelernt, dass sie vor Beginn der Fastenzeit begangen werden und dem Volk die Gelegenheit geben, aus sich heraus zu gehen, die Obrigkeit zu belachen, und zu feiern, bevor die christliche Zeit 6 Wochen lang vor den Gedenktagen des Todes und der Auferstehung Jesu christlich streng reglementiert wird.
 
In diesen Tagen lässt man das Volk lustig sein, bis Aschermittwoch, dem Tag, an dem in den Gottesdiensten der Priester als Zeichen dessen, dass der Mensch sündig und des Todes ist, den Gläubigen ein Aschekreuz auf die Stirn malt. Damit wird daran erinnert, aber auch ein wenig der Teufel ausgetrieben, denn der ist für Narretei zuständig, nicht der Gegenpart im Himmel.
 
Es sind also mehr oder weniger gesteuerte, sogenannte närrische Tage. Ein Geschenk der Herrschenden, und damit sind nicht nur die weltlichen, sondern auch die kirchlichen Oberen gemeint.
 
Diese tollen Tage sind in Deutschland streng ritualisiert und organisiert. Da wird auf monarchisches ebenso wie auf militärisches Gedankengut zurückgegriffen, betrachte man nur die Karnevalsprinzen und -prinzessinnen und die streng uniformierte Kleidungsordnung bei den Veranstaltungen, jedenfalls für die selbsternannten „Würdenträger“. Das Volk darf, ja soll sogar eine Verkleidung wählen. So wird dann sorgsam überlegt, als was man denn erscheinen will, Hexe, Teufel, Gerippe, Pastor, Nonne oder was einem sonst so noch einfällt. Nicht die Verkörperung wird übernommen, sondern nur die Kluft, nur Schein, identifizierbar soll es sein. Wer will, darf sich mit einer Maske anonymisieren, das erlaubt dann umso mehr „die Sau herauszulassen“, natürlich nur, soweit es im gesetzlich erlaubten Rahmen bleibt.
 
Wenn dem Volk Gelegenheit gegönnt wird, aus sich heraus zu gehen, fliesst selbstverständlich auch Geld für die Gastronomie, für die Beförderung der zu den Hochburgen strömenden Gäste, die Hotels usw. Karneval ist also auch ein Wirtschaftsposten, vor allem für die Veranstalter und Organisatoren, und nicht zuletzt für den Staat als Steuereinnehmer.
 
So wird dann Fröhlichkeit und Ausgelassenheit verordnet. Der Tusch bei den Büttenreden schreibt den Feiernden sogar vor, wann sie zu applaudieren haben. Bei der Musik muss geschunkelt werden, ob das gefällt oder nicht. Dass dabei und auf den Wagen der Karnevalszüge und -prozessionen (auch das riecht nach christlichem Brauchtum) über die Herrschenden und ihre Politik hergezogen werden darf: Was soll’s, damit wird Unmut und Wut ein Ventil gegeben, und am Aschermittwoch, wenn alles vorbei ist, können alle getrost so weitermachen wie bisher; die Angriffe werden eh bald ad acta gelegt und vergessen.
 
Sind es die berühmten „panem et circensis – Brot und Spiele“, die sich seit den Römern durch die Jahrhunderte ziehen? Das Brot wird hier durch die Geschosse der Bonbons und sonstigen billigen Kleinteile, die von den Wagen dem Volk zugeworfen werden, und durch Alkohol ersetzt; die Spiele durch die Musikkapellen, die Märsche, die Büttenreden und Karnevalsfeiern. Das Volk wird darauf fixiert, die Zügel werden ein wenig schleifen gelassen. Verbale Beleidigungen, die den Herrschenden entgegenschallen, tun nicht weh, sie sind bald Schall und Rauch und konsequenzenlos. Ja, man überlässt dem Normalbürger sogar nach strengen Vorgaben nach „dem Stürmen“ das Zepter im Rathaus, was dann „die Regierung übernehmen“ genannt wird, es aber natürlich nicht ist. Die Verwaltung macht auf Kosten des Steuerzahlers „blau“. Alles Schein!
 
Und so gibt es alljährlich am Aschermittwoch wieder genug Arbeit für die Strassenreinigung und Müllabfuhr und für den Kassensturz, denn es hat sich wieder gelohnt. Nicht zuletzt auch für die Pharmazie, denn sie hat bestimmt etwas gegen den nachkarnevalistischen Kater und die Kopfschmerzen. Die sind verkraftbar und gehören zum „zünftigen“ Feiern dazu!
 
 
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