Textatelier
BLOG vom: 02.05.2013

Das Kinder-in-die-Welt-Setzen und die falsche Hypothese

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D

 
Da ich nun einmal existiere, versuche ich, das Beste daraus zu machen“, sagte er.
 
Wir sprachen über das Kinder-in-die-Welt-Setzen, über das Leben. Er erwähnte das „Geworfensein in die Welt“ des deutschen Philosophen Martin Heidegger.
Wir werden gezeugt und haben keinen Einfluss darauf, geboren zu werden; ob wir später darüber nachdenken können, wollen oder nicht, ändert nichts daran.
 
Man kann sich nicht vorstellen, nicht zu existieren“, sagte er.
Wer nicht existiert, kann sich schon gar nichts vorstellen“, bestätigte ich.
Wir haben auch keine Erinnerung an das Nichts vor der Zeugung“, sagte er.
Mich gab es schon vor deiner Zeugung“, sagte ich, „ich bin älter als du.“
Aber ohne mich“, antwortete er, „mich gab es nicht.“
Noch nicht!“, korrigierte ich.
Das konntest du vor meiner Zeugung nicht sagen, du wusstest nicht, dass es mich einmal geben wird“, sagte er.
Ich nickte zustimmend.
 
Jetzt, wo ich weiss, was das Leben als Mensch und die Menschheit ist, wünschte ich mir, nie geboren worden zu sein“,  sagte er, „leider kann ich es nicht rückgängig machen.“
So schlimm?“, fragte ich.
Vielleicht ein wenig Glück, aber meist Elend, wer hat darauf schon Lust, insgesamt sinnlos!“, bekannte er.
Das Leben als Mensch oder deine Existenz?“ bohrte ich nach.
Das Leben überhaupt“, antwortete er.
Ja, ja, die Evolution!“, sinnierte ich.
Eine Fehlentwicklung!“ konkludierte er.
Nur ein Mensch kann so etwas denken!“, sagte ich.
Die Evolution ist so etwas wie ein Entwicklungsroman“, sagte er.
Erkläre!“, forderte ich ihn auf.
Evolutionäre Prozesse, sind sie einmal in Gang gekommen, sind nur unter Umständen zu stoppen“, antwortete er.
Unter welchen Umständen?“ fragte ich.
Totale Vernichtung“, sagte er.
Atomare?“, fragte ich.
Auch das würden Lebewesen oder Mikroben überleben, dann würde es wieder von vorne losgehen!“, erläuterte er.
Eine Supernova?“, fragte ich.
Das würde gehen“, meinte er.
 
Vertraust du nicht auf die Vervollkommnung des Lebens?“ fragte ich.
Evolution strebt nicht danach“, antwortete er, „Evolution ist blind!“
Der Mensch auch nicht?“ Ich dachte an den Humanismus.
Jedenfalls ist es nicht feststellbar“, sagte er.
Und was ist Evolution?“ fragte ich weiter.
’Evolution ist die Veränderung der Eigenschaften von Gruppen von Organismen über den Lauf von Generationen’, sagt Douglas J. Futuyama“, kam als Antwort.
 
Die Individualentwicklung (Ontogenese) sei explizit kein Bestandteil der Evolution, sagt er aber auch!“ betonte ich.
„Wer weiss das so genau! Als ob ich als Embryo oder Kleinkind die Wahl hatte, was aus mir wird und wie ich mich entwickeln würde! Erst vor ganz kurzer Zeit hat man festgestellt, dass dieselben Gene für ganz verschiedene Ausprägungen verantwortlich sind, also quasi neu programmiert werden. Den Vorgang versteht noch keiner so richtig“ , erklärte er.
 
„Der ‚Evo-Devo’-Ansatz (‚evolutionary developmental biology’), und den meinst du doch, sagt auch, dass die embryonale Entwicklung sehr sprunghaft verlaufen kann“, ergänzte ich.
Ja“, bestätigte er.
Sprünge können zu unerwarteten Ergebnissen führen“, behauptete ich.
Und die wären?“, fragte er.
Dass die von dir so konkludierte Fehlentwicklung aufgehoben wird!“ triumphierte ich.
Möglich wäre es“, gab er zu. „Aber auf die vage Aussicht hin soll ich neues Leben ‚in die Welt hineinwerfen’?, zweifelte er.
Es könnte ja sein, dein Kind lebt ein überwiegend glückliches Leben“, sagte ich.
Mit mir als Vater?“ Er machte ein ungläubiges Gesicht.
Und wenn du irrst?“ fragte ich.
 
Novalis schrieb einmal: Irrtum ist das notwendige Instrument der Wahrheit,“ zitierte er.
Der Mensch ist lernfähig“, behauptete ich.
 
Und wie schrieb Walter E. Richartz in seinem Roman ‚Reiters westliche Wissenschaft’ ganz richtig? ‒ Die Vermehrung des Wissens, wie die Menschenvermehrung, macht hoffnungslos", kam als Antwort.
 
Darauf kann ich nur noch Marcel Proust zitieren, der Decartes’ Wahrheitsfindung (‚Ich denke, also bin ich!’) so kommentierte: ‚Klar nennt man Ideen, die dasselbe Mass an Verwirrung haben wie unser eigener Geist.’“
 
 
Quellen
Douglas J. Futuyma: „Evolution. Sinauer“, Sunderland 2005, S. 10 ff.
Hans Lenk: „Kritik der kleinen Vernunft“, Suhrkamp, Frankfurt/M., 1987, S.55 ff.
 
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