Textatelier
BLOG vom: 27.09.2012

Wenn sprachlicher Wissensdurst durch die Kehle(n) rinnt ...

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Eine sprachliche Denksportaufgabe: Eine 10 Personen umfassende Wandergruppe hat Durst, kehrt ein, trinkt etwas, wandert weiter.
 
Im Nachgang zu meinem Besuch auf der Alp Flix GR stand ich vor der Aufgabe, solch einen Sachverhalt zu beschreiben:
 
„Nachdem wir im Gasthaus unsere Kehle mit einem Apfelschorle aus einheimischer Produktion benetzt hatten, wagten wir uns bei federleichtem Schneefall wieder hinaus.“
 
Oder muss es wohl heissen:
 
„Nachdem wir im Gasthaus unsere Kehlen mit einem Apfelschorle aus einheimischer Produktion benetzt hatten, wagten wir uns bei federleichtem Schneefall wieder hinaus.“
 
Beim 1. Beispiel (Kehle in der Einzahl) könnte man meinen, wir (als Gruppe) hätten nur eine einzige Kehle, sozusagen eine Gruppenkehle.
 
Beim 2. Beispiel aber (Kehle in der Mehrzahl) sieht es so aus, wir alle hätten mehrere Kehlen gehabt.
 
Solche Fragen sind Anlass für häufige Diskussionen mit meinem Bruder Rolf, der unser bloggerisches Schaffen kritisch begleitet und akribisch auf inhaltliche, stilistische und sprachliche Fehler oder Verbesserungsmöglichkeit absucht.
 
In der 1. Fassung des Berichts hatte ich geschrieben: „Nach der Benetzung unserer Kehlen mit einem Apfelschorle ...“.
 
Dazu schrieb mir Rolf aus Cebu (Philippinen): „Das ist zwar genau so, wie ich es ebenfalls geschrieben hätte. Aber vor einiger Zeit hast Du mir am Beispiel von Baumkronen erklärt, dass jeder Baum nur eine Krone habe. So, nachdem Ihr Ausflügler wahrscheinlich auch jeder nur 1 Kehle habt, werde ich plötzlich unsicher. Sollte das nun nicht doch ,Nach der Benetzung unserer Kehle mit einem Apfelschorle’ heissen?
 
Ist es möglich, dass einer eine künstliche Kehle hatte, und damit verschiedene Typen von Kehlen beschrieben sind?“
 
Wir hatten ein ähnliches Problem tatsächlich schon einmal diskutiert. Heisst es: 
  • die Krone der Bäume – oder:
  • die Kronen der Bäume. 
In aller Regel haben ja die Bäume nur 1 Krone, aber 10 Bäume haben 10 Kronen. Spricht man aber von den „Kronen der Bäume“ kann das bedeuten, ein Baum habe mehrere Kronen (vom Astwerk gebildeter oberster Teil der Bäume).
 
SVDS-Sprachauskunft
Die Frage:
Natürlich kann man die Ansicht vertreten, das seien Erdnüsse (Peanuts = Kleinigkeiten). Doch zur Sprachpflege gehört, dass man sich mit dem Sprechen und Schreiben gründlich auseinandersetzt. Und so erinnerte ich mich an die Sprachauskunft des Schweizerischen Vereins für deutsche Sprache (SVDS), bei dem ich Mitglied bin und der die bemerkenswerte Zweimonatsschrift „Sprachspiegel“ herausgibt (Redaktion:Daniel Goldstein, CH-3067 Boll). Die Sprachauskunft (E-Mail: sprachauskunft@compendio.ch) ist kostenlos und erfolgt in der Regel innerhalb von 2 Arbeitstagen.
 
So stellte ich also meine Frage, aufs Wesentliche reduziert:
 
„Was ist richtig?
Nach der Benetzung unserer Kehle wanderte die Gruppe weiter ...
oder:
Nach der Benetzung unserer Kehlen wanderte die Gruppe weiter .
 
Das Problem: Jeder hat nur 1 Kehle, in der Gruppe aber sind viele Kehlen zu finden.“
 
Prompt, innert zweier Tage, antwortete Anuschka Pfammatter vom Korrektorat der Compendio Bildungsmedien AG, Neunbrunnenstrasse 50, CH-8050 Zürich:
 
Die Antwort:
Sehr geehrter Herr Hess
Besten Dank für Ihre Frage an die Sprachauskunft.
 
Das „unser“ in Ihrem Beispiel bezieht sich auf ein Subjekt im Sinne von „wir“, hier liegt jedoch das Subjekt „die Gruppe“ vor, was den Eindruck erweckt, es könnte sich bei dem geschilderten Ereignis auch um zwei beteiligte Personengruppen handeln. In der Fachliteratur finden wir leider nur unzureichend Informationen zu diesem Fall.
 
Damit beim Lesen keine Unklarheit entsteht, würden wir ein Subjekt wie „wir“ oder „die Gruppenmitglieder“ vorziehen: „Nach der Benetzung unserer (ihrer) Kehle wanderten wir (die Gruppenmitglieder) weiter.“ Es liegt ein distributiver Singular vor, das heisst, die Bezeichnung einer Sache, die sich auf eine Mehrzahl von vor allem Personen bezieht, steht im Singular („alle hoben die Hand“), siehe Duden 9, „Richtiges und gutes Deutsch“, Kongruenz (1.2.9). Auch die Pluralform ist korrekt: „Nach der Benetzung unserer (ihrer) Kehlen wanderten wir (die Gruppenmitglieder) weiter.“

Wir hoffen, Ihnen mit diesen Angaben zu dienen, und grüssen Sie freundlich
Sprachauskunft SVDS
 
Anuschka Pfammatter 
 
Soweit die kompetente Antwort, die ich gebührend verdankt habe. Daraus ist zu entnehmen, dass der Sprache nicht immer mit reiner Logik beizukommen ist, oft eindeutige Regeln fehlen, man also aus verschiedenen Möglichkeiten wählen kann. Die Sprache entwickelt sich ja aus dem Gebrauch heraus, der ebenfalls keine feste Grösse ist. Am Schluss muss man froh sein, wenn der Leser weiss, was gemeint ist. Und darauf kommt es ja schliesslich an.
 
Der angesprochene Duden 9 ist das „Wörterbuch der Hauptschwierigkeiten“ und trägt den Titel „Sprachliche Zweifelsfälle“. Solche gibt es tatsächlich, wie fleissige Schreiber fast täglich erfahren ... noch vermehrt seit der missglückten Reformen der Sprachreform.
 
Mein angegilbter Duden 9 stammt aus dem Jahr 1965. Dem Begriff Kongruenz sind 26,5 Seiten (ab Seite 358) gewidmet. Kongruenz bedeutet Ebenmässigkeit, Gleichförmigkeit, Übereinstimmung. Aus diesem Kapitel lernt man, dass sich das Prädikat (Aussage über ein Subjekt) im Allgemeinen nach der Zahl des Subjekts (Satzglied, über das eine Aussage gemacht wird) richtet: 
  • Die Rose blüht.
  • Die Rosen blühen. 
Das ist klar. Doch Schwankungen entstehen, wenn der Numerus (= Anzahl, Menge) des Subjekts nicht eindeutig ist, das heisst, wenn z. B. mehrere Subjekte mit verschiedenem Numerus auftreten oder das Subjekt formal im Singular (Einzahl) steht, inhaltlich jedoch eine pluralistische Vorstellung (in der Mehrzahl) auslöst usw.
 
Solch ein Wort könnte mit Bezug auf unser Beispiel die Gruppe (eine Menge) sein. Im erwähnten Duden wird das an den folgenden Beispielen erläutert: „Eine Menge fauler Äpfel lag unter dem Baum.“ Oder: „Es war eine Menge Leute da“ (Hermann Hesse).
 
Und dann wird bestätigt, was Frau Pfammatter festhielt, dass nämlich auch die Pluralform korrekt sei. Duden-Zitat: „Daneben findet sich aber auch in der Hochsprache der Plural des Prädikats ... vor allem dann, wenn das Gezählte als Apposition (nähere substantivische Bestimmung) im gleichen Fall wie die Mengenangabe steht: ... wo eine Menge sonderbare Sachen herumliegen ... Eine Unmasse Familien geraten aneinander.“ In Grass’ „Blechtrommel“ steht: „Die Hälfte meiner Gedanken waren immer bei ihr.“
 
Also darf ich schreiben, dass die Gruppe, zu der ich gehörte, unsere Kehle oder aber unsere Kehlen benetzte, ohne mich eines Fehlers schuldig zu machen.
 
Den Angehörigen dieser Gruppe, die unter Durst gelitten hatten, ist es eigentlich wurst, wie man mit Ein- und Mehrzahl umgeht, solange die Kehle (die Kehlen) mit einem bekömmlichen Getränk belebt wurde(n). Eine Mehrzahl ist bei solchen Gelegenheiten aber eindeutig dann erwünscht, wenn ein einzelnes Glas zum Durstlöschen nicht ausreicht.
 
PS: Soeben mailt mir mein Bruder, dem ich die Sprachauskunft weitergeleitet hatte: „Ich bin gerade dabei, im Hotel Radisson Blu hier in Cebu in einer meiner beiden Kehlen – der trockenen – mit einem San Miguel zu löschen.
 
Ich bin höchst beeindruckt, wenn ich sehe, wie die deutsche Sprache auch heute noch gepflegt wird.“
 
 
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