Textatelier
BLOG vom: 12.08.2012

Psychiatrische Gutachten: das Futter für Treibjagden

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Die Tageszeitung „Die Tat“, die es nicht mehr gibt, hat den angefügten Artikel über psychiatrische Auswüchse am 14. Februar 1970 veröffentlicht. Ich verdanke Herrn Dr. Erwin Jaeckle (1909‒1997) viel Ermunterung. Viele meiner Arbeiten hat er in der „Literarischen Tat“ publiziert, worunter Kurzgeschichten und eine Reihe meiner Aphorismen. Als Schriftsteller hat Erwin Jaeckle viele Auszeichnungen erhalten, worunter den Literaturpreis 1974 der Stadt Zürich. Sein Werk umfasst über 40 Bände, worunter 12 Gedichtbände und 12 poetologische Schriften. Ich wähle hier eines seiner Gedichte als Ausdruck meines persönlichen Danks: 
„Alle die einsam im herzen sind
Haben die geistigen blicke
Sehen das lächeln der elfen im wind
Und ihre mondgeschicke“*
Erinnerungen an die Zukunft
Mit psychologischen Gutachten wird nach wie vor viel Schindluder getrieben.
 
Nur 70 Seiten der „Erinnerungen an die Zukunft“ habe er gelesen, entrüstete sich der Gutachter des Herrn von Däniken am 3. Prozesstag. Ging es um Literatur? Schon beim Buchtitel haperte es. Wie man sich an die Zukunft erinnern könnte, wollte ihm begreiflicherweise nicht einleuchten. Aber der Gutachter war nicht dazu berufen worden, um sich über den Wert oder Unwert eines Buchs, selbst wenn es wie in diesem Fall vom Angeklagten geschrieben wurde, auszulassen. Nein, in der Anklage ging es um den Schuldenberg des Privatmannes von Däniken und beileibe nicht um dessen Buch.
 
Jeder Stand hat seine Berufsethik. Grobe Verstösse gegen die Sorgfaltspflicht gehören angeprangert, beim Barrierenwächter wie beim Psychologen. Ein Gutachten über jenes Gutachten ist gerechtfertigt. Der Gutachter stellte nämlich den Angeklagten als „geltungssüchtig, genusssüchtig, psychopathisch, bisexuell“ und als „Phantast, der in den Wolken lebt“ hin. Mögen ihm Freud und seine Schüler diese höchst peinlichen Missgriffe in den Vokabelhaushalt der Populärpsyochlogie nachsehen.
 
Mit diesen Worten hat sich der Gutachter blossgestellt, mehr als ihm lieb sein kann. Der Laie wundert sich, weshalb ausgerechnet ein Fachmann solche Schrapnelle einem Menschen zuschleudert, der des Betrugs angeklagt ist, wie er tagtäglich in der Gerichtspraxis behandelt wird. Sollte dieser haarsträubende Befund wirklich zutreffen, dann gebührte dem Experten Dank.
 
Unsere Gesellschaft hat keinen Platz für in Wolken lebenden Elemente, psychopathische erst noch. Wandern diese auf die Erde ab und wählen, oh Graus, die Schweiz zum 2. Wohnsitz, sind die rechtmässigen Bürger dieses Erdenfleckens gefährdet. Der Schreck sitzt umso tiefer, entlarvt sich der Phantast hinter einem Hotelbesitzer, der seine Geldgeber an der Nase herumgeführt hat. Die Psychologie bringt ihn nicht in die Wolken zurück, möglicherweise aber ins Kittchen. Statt in Reue zerknirscht aufzuhorchen, als dieses Epistel vor dem Hohen Gericht verlesen wurde, flickte der Angeklagte sein Uhrenarmband … Dass er aber als Erfolgsautor die Gesellschaft weltweit eingeseift hat, ist sein schlimmster Streich. Und darum ging es dem Gutachter, dessen Gutachten keinen Bestseller abgibt.
 
Zur Sache: Der Gutachter richtete sich selbst. Er bewies und belegte wieder einmal, wie unselig das Rüstzeug der Psychologie landauf, landab in den Gerichten zur Treibjagd eingesetzt wird. Jeder Anklagepunkt wird mit ihr untermauert. Die ganze Kindheit muss herhalten, die Schulzensuren – und -absenzen werden bemüht. Es wird nachgeprüft, ob der Angeklagte etwa die Schule geschwänzt, den Religionsunterricht gestört oder den Lehrern das Leben erschwert habe. Je nachdem verhilft dies zu willkommenen Rückschlüssen.
 
Im Handkehrum wird, sofern die Richter gut gelaunt sind, der Lebensweg bis zur Wiege zurückverfolgt. Frühe häusliche Zwiste, wird dann festgestellt, hätten sich tief ins Gemüt des Kinds eingefressen. Hin und wieder mag dies stimmen. Nichts wider der Psychologie, sauber gehandhabt und am rechten Ort zur rechten Zeit herangezogen. Sie ist, und das wird gerne vergessen, vor allem eine Heilslehre in den Händen des Arztes – der Schlüssel zum Verständnis und nicht zur Verurteilung.
 
Vor dem Gericht entpuppt sich der erwähnte Psychologe als Bengel im besten Flegelalter. Die noch junge Wissenschaft hat sich noch nicht zur Reife durchgemausert. Ihr zartes Gefüge der Theorie wird nach dem persönlichen Ermessen eines Gutachters strapaziert und manipuliert. Die Weltschau des Gutachters gebietet über sie, seine Idiosynkrasien beherrschen sie. So zweischneidig ist sie, wie die einander zuwiderlaufenden Kunstexpertisen.
 
In England zum Beispiel wurden die Gefahren der Gerichtspsychologie erkannt. Man hütet sich dort, voreilige Schlüsse zu ziehen. Aber das ist eine Frage der Humanität, der Fairness, nicht des „Wissens“ auf wackeliger Grundlage.
 
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