Textatelier
BLOG vom: 17.07.2011

Schizophrenie zerstört Familienleben – Erinnerungen

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Am Sonntag, 03.07.2011, sah ich einige Ausschnitte des Films „Sleeping with the enemy” (1991) im Fernsehen – ein psychologisches Drama, von Julia Roberts und Patrick Perkin gespielt. Die verheirate junge Frau wurde von ihrem Mann brutal misshandelt und entfloh ihm. An mein Blog vom 02.07.2011: Soziale Zustände in London: Aus der Hüfte geschossen anschliessend, skizziere ich nachstehend, wie ein Sohn seinen betagten Vater grundlos und brutal schlug.
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Diese traurige Geschichte erfuhr ich von einem Freund, der seinerseits mit dieser Familie freundschaftlich verbunden war. Der geschilderte Vorfall geschah an einem sonnigen Nachmittag vor 2 Jahren – wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
 
„Aloys, ihr Sohn, ist jetzt in einer Klinik untergebracht“, berichtete er. Unverhofft suchte mich Eloise, die Mutter, auf. Sein Vater hiess Herbert und war 76 Jahre alt, als ihn sein 35-jähriger Sohn in einem Tobsuchtanfall mit zahllosen Ohrfeigen traktierte und unflätig beschimpfte. Als sein Vater abwehrend den Ellbogen hob, packte ihn Aloys beim Haarschopf und schlug seinen Kopf auf die Tischplatte. Die Mutter konnte ihn nicht aufhalten. Grob schob er sie zur Seite.
 
„Was mochte diesen Anfall ausgelöst haben?“ fragte ich Eloise, eine rüstige und gütige Frau, ebenfalls um die Mitte 70.
 
„Aloys kam unangemeldet vorbei“, antwortete sie, „und wollte unser Auto leihen. Aber wir waren an diesem Tag selber aufs Auto angewiesen“, erklärte ihm sein Vater. „Das brachte Aloys in Aufruhr, und er holte zur 1. Ohrfeige aus.“ Ratlos rang Eloise ihre Hände, und Tränen rannen über ihre Wangen. „Du bist der Einzige, an den ich mich wenden kann …“, sagte sie stockend.
 
Mitfühlend und bestürzt fragte ich sie, ob dies der 1. Anfall war, vielleicht von Drogen ausgelöst?
 
Eloise schüttelte den Kopf und sagte: „Es begann, als Aloys 14 Jahre alt war, und seine Anfälle wiederholten sich zwei- oder dreimal im Jahr. Der geringste Anlass löste sie aus. Herbert wollte ihn des Hauses verweisen, denn mehrmals musste die Polizei intervenieren, als er wild randalierend Möbel zerbrach und Bilder von der Wand riss. Aber dagegen sträubte ich mich als seine Mutter. Immer hoffte ich, dass sich Aloys mit zunehmendem Alter auffangen würde. Umsonst. Es wurde immer schlimmer … Unser Zureden richtete nichts aus. Auch seine jüngere Schwester wurde von seinen Krawallszenen betroffen. Sie ist jetzt glücklich verheiratet und will nichts mehr von ihrem Bruder wissen.“
 
„Ich selbst kannte Aloys von einer ganz anderen Seite“, fuhr mein Freund fort. „Er hatte glänzende Umgangsformen, war geistreich und konnte sich leicht überall einschmeicheln. Ausserdem hatte er sein Studium mit höchster Auszeichnung bestanden und eine gute Stelle gefunden. Im Gespräch mit Eloise erwähnte ich beiläufig „Dr. Jekyll and Mr Hyde“ (eine Novelle von Robert Louis Stevenson geschrieben und 1886 veröffentlicht), und sie wusste, was ich meinte: gespaltene Persönlichkeit. Keinerlei Gewissensbisse suchten Aloys heim. Die Erinnerungen an seine Anfälle schienen wie ausgelöscht und damit auch der Grund zur Reue.
 
„Mein Mann ist seither wie gebrochen“, klagte sie. „Er rührt sich kaum mehr aus seinem Sessel und liest keine Zeitungen mehr. Nur eines schärfte er mir ein, Aloys nie wieder ins Haus zu lassen. Er fürchtet sich vor ihm …“
 
„Vielleicht täte es ihm gut, wenn ich Herbert besuchen würde“, schlug ich vor. „Wohl möglich, aber du darfst ihm nichts über den Grund meines Besuchs bei dir sagen“, bestand sie. Einige Tage später telefonierte sie mir und sagte betrübt: „Herbert will keine Besucher haben, selbst dich nicht.“
 
Aloys wurde in die Klinik eingewiesen, nachdem er seine Verlobte einen Monat später ebenfalls – und nicht das 1. Mal – angefallen und verletzt hatte. Befund: Schizophrenie.
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Wie ich diese Skizze niederschreibe, frage ich mich, ob dies ein Einzelfall ist oder öfters vorkommt. Ich weiss aus Pressemeldungen, dass solche ähnliche Fälle vorkommen und Grund zur Scheidung sind, besonders wenn sie körperlich ausarten.
 
Und wie endete diese traurige Geschichte? Noch vor Jahresende starb Herbert an einem Gehirnschlag. Aloys erfuhr nichts davon. Nur die engste Verwandtschaft erschien zur Beerdigung.
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Hinweis auf einen Artikel über die gespaltene Persönlichkeit – Schizophrenie
 
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