Textatelier
BLOG vom: 09.09.2010

Von tachistisch veranlagten Spatzen und vom Bauschaum

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Mehrere Familien von Haussperlingen, denen wir Spatzen sagen, bewohnen mit uns seit Jahren unser Haus. Sie finden im Gebäude und auch im Garten mit seinem stattlichen Baumbestand genügend Unterschlupf, fühlen sich bei uns wohl, vermehren sich prächtig, legen locker bis 3 Bruten im Jahr hin. Aber wie es mit Untermietern so geht: Manchmal ergeben sich gewisse Reibungsflächen, und mögen sie einem noch so sympathisch sein.
 
Der Gesang unserer domestizierten, zum Haus gehörigen Mitbewohner (Passer domesticus) ist aufmümpfig, fröhlich: „Tschirp, tschiip, tischirrep, schilp, schelp“ oder aufgeregt „tschet tschet“, und sehr laut, vor allem am frühen Morgen. Weil man die Sperlinge zu den Singvögeln zählt, muss es sich dabei Vogelgesang handeln. Man mag die Spatzenversion dieser Liedkunst als besonders schön und wohltönend empfinden, wenn das aber stunden- und tagelang andauert, besonders in der Nachwuchs-Fütterungsphase mit Insekten, dann können einen diese zwitschernden, schilpenden Gesänge aus dem trainierten, hoch entwickelten Stimmapparat schon zu nerven beginnen. Man kann ja schliesslich alles übertreiben. Bei der Gruppenbalz, die sich meistens am Boden abspielt und bei der mehrere Männchen mit hängenden Flügeln, aber umso gestelzterem Schwanz und lautem Geschilpe ein einziges Weibchen bedrängen, das heftig um sich beisst und sich am Ende aus dem Staube macht, ist der Lärmpegel beachtlich, aber wenigstens zeitlich begrenzt.
 
Das Spatzenkonzert ist das Eine, die mangelnde Ordentlichkeit der Spatzen das Andere. Sie baden gern im Staub, dem Suhlen der Schweine im Morast nicht unähnlich. Mit einer Staubschicht unter den Federn versuchen sie, Schmarotzer los zu werden. Es wird sozusagen versucht, sich durch eine Verunreinigung zu reinigen.
 
Das Zusammenleben mit ihnen ist kein reines Honiglecken, wie an einem Beispiel dargetan werden soll: An unserem Vorbau sind oberhalb der grossen Glasfenster Rollladenkästen befestigt. Insbesondere im Winter und im Frühjahr sind die Storen aufgerollt und unter einem halbrunden Aluminiumdach versorgt. Die Dächer über den Storenrollen bieten gute Landegelegenheiten und werden gelegentlich mit Latrinen alter Schule verwechselt. Wir haben damit leben gelernt. Aber als wir im April 2010 wieder einmal die Storen ausrollten, waren 2 davon beinahe auf der ganzen Breite und gegen 20 cm in der Höhe weggefressen. Nur zur Not hielten sie an den Rändern dank des Saums noch schlecht und recht zusammen. Unsere Spatzen hatten sich hier Gewebefasern für den Nestbau beschafft, was für sie offenbar bequemer war als Pflanzenhalme wie Stroh, trockenes Gras aus weiterer Distanz heranzufliegen.
 
Der Nestbau fand in einer Dachnische statt, wo der Vorbau mit dem Haus verbunden ist und wo aus Belüftungsgründen ein Hohlraum besteht. Das heisst bestand. Denn bei aller Toleranz und Vogelliebe – jetzt war genug Heu drunten bzw. es waren genug Federn und Kot droben. Im Wissen, dass unsere Liegenschaft noch genügend Nistmöglichkeiten bietet, sah ich mich gezwungen, die dreieckige Öffnung unter dem Vordach zu verschliessen.
 
Ich wartete das Ende einer Brut und den Auszug der Gesellschaft aus der Nestnische ab und besorgte mir eine Druckflasche mit Bauschaum, der für Abdichtungen aller Arten am und im Haus geeignet sei, wie auf der Druckbombe zu lesen ist.
 
Frisch ans Werk: Die abzudichtende Nische in gefährlicher Höhe vermochte ich, in den Rahmen eines geöffneten Stubenfensters eingezwängt, mit einem ausgestreckten Arm gerade knapp zu erreichen. Den anderen Arm brauchte ich, um mich festzuhalten. Es galt nun, ein biegsames Verlängerungsröhrchen mit Pistolengriff aus Plastik auf die Flasche zu schrauben. Dann brauchte man nur noch am Griff zu ziehen, und der Schaum quoll als dicke Wurst heraus. Guten Muts und voller Zuversicht, die einzig richtige und in ihrer Einfachheit kaum zu überbietende Lösung gefunden zu haben, machte ich mich ans Werk des Nischenfüllens. Der Bauschaum quoll heraus, dass es eine Freude war. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass er seine eigene Dynamik entfalten könnte. Bereits in der Nische angekommen, blies er sich gewaltig auf, wuchs über die Nische heraus, lief tropfend die Wand hinunter.
 
Während dieses dramatischen Geschehens besorgte ich mir eilends einen Spachtel, um die Masse in die Nische zurückschieben und glattstreichen zu können. Ich stellte die Druckflasche auf den Fenstersims, den sie tropfend verschmierte. Die Aktion des Zurückschiebens erwies sich als reine Sisyphus-Arbeit. Was ich nämlich an Schaum in die Nische gedrückt hatte, ergoss sich gleich wieder als zunehmender Wulst am unteren Ende mir entgegen. Wahrscheinlich erhielt ich nun die verdiente Strafe für meine Erschwerung des Vogellebens.
 
Da auf der Bauschaumflasche stand, nach etwa 2 Stunden sei die Masse ausgehärtet, musste das nerventötende Herausquellen irgendwann aufhören. Also fuhr ich mit dem Zurückschieben weiter. Bemerkenswerterweise zog sich der obere Schaumteil in die Nische zurück. Ich spritzte neuen Schaum aus der Flasche in die obere Lücke. Inzwischen hatten meine Arbeitshandschuhe aus dünnem Kunststoff einiges vom Schaum abbekommen, was mit meiner ungemütlichen Arbeitsposition zu erklären war. Und alles begann aneinander zu kleben, und bei jeder Trennung ergaben sich neue Schmierereien.
 
Es war gegen den Abend des 14.07.2010, 30 Grad C heiss, was dem Schaum zugesetzt haben könnte, laut Gebrauchsanleitung die obere Grenze der zulässigen Verarbeitungstemperatur. Es kühlte etwas ab, und heftige Winde setzten ein, als ich, in den Fensterrahmen eingeklemmt, meine Arbeit fortsetzte, die immer neu entstehende, nach aussen drückende Wulst zurückschob.
 
Die Umgebung der Nische hatte auch einiges von dem unberechenbaren Schaum abbekommen; bei diesem klebrigen Geschmier war das nicht zu verhindern. Bei richtigem Sturmwetter, bei dem einige Äste von den Nussbäumen fielen, setzte ich meinen Kampf gegen den Schaum und die Reinigung mit alkoholgetränkten Lappen fort, wobei der eingetrocknete Schaum den denkbar grössten Widerstand bot.
 
Als dann der Schaumdruck aus den Nische etwas nachliess, gab ich es auf. Entstanden ist ein modernes Kunstwerk in Weiss mit unregelmässiger Oberfläche, die in die Kunst des Tachismus ausläuft – wie die Kunstrichtung heisst, die vom spontanen (und oft wenig überlegten) Auftragen von Farbe auf den Untergrund lebt.
 
Ich betrachte mein Werk anderntags, als sich der Sturm gelegt und der Schaum trocken war. Einen gerade professionellen Eindruck macht die Sache nicht, ehrlich gesagt. Aber der Zweck, die Spatzen an andere Nistplätze zu verweisen, ist erreicht.
 
Auf dem kupfernen Dächkännelrand sass ein total verärgertes Spatzenmännchen mit braunem und schwarz gestreiftem Gefieder und bis auf Scheitel und Ohrdecken bleigrauem Kopf. Es hatte den schwarzen Kehllatz aufgebläht, und die rotbraunen Schulterfedern schienen zu vibrieren. „Tetetet“ schmetterte es mir in seiner masslosen Verärgerung zu. Solch eine Ausdrucksweise traf mich hart. Doch war ich ebenfalls nicht auf den Mund gefallen: „Sei bloss schön ruhig“, rief ich ihm zu, ohne es meine Erregung spüren zu lassen. „Wenn ihr mir die halben Sonnenstoren wegfresst, obschon genügend anderes Nestbaumaterial herumliegt, und alle Fassaden verschmiert, müsst ihr mit gewissen Konsequenzen rechnen.“
 
Der Sperling rief „Tschilp“. Hemmungslos antwortete ich mit „Tschalp“.
 
Inzwischen haben wir uns wieder versöhnt.
 
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