Textatelier
BLOG vom: 18.03.2010

Grosszügig die Naturkulisse, sparsam die Betonarchitektur

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Als ich heute in den Friedhof Eichbühl (im Zürcher Stadtteil Altstetten) einbog, sah ich schon von weitem die Friedhofgärtner in ihren leuchtend grünen Westen, wie sie einem Seitenfeld Farbe verpassten. Es wurden gerade „Dänkeli“ gesetzt. So nennen wir die Stiefmütterchen, die auch Pensées heissen. Näher am Gräberfeld entdeckte ich Tulpenspitzen und an Rosenstöcken rote Knospen. Dann dachte es in mir: Der Friedhof ist auch ein Ort des Lebens. Letzte Woche lag hier nämlich noch Schnee. Nun ist der Winterschlaf beendet. Vieles regt sich. Das Moos in den Wiesen leuchtet frisch. Es herrscht Aufbruchstimmung. Wohl zeigen die Bäume immer noch nur ihr Skelett, trotzdem sehen sie prächtig aus. Es sind Eichen, Eschen, Kirschbäume und Linden.
 
Hier fühle ich mich ausgesprochen wohl. Die Grosszügigkeit der Anlage gefällt mir. Das Zusammenspiel von Naturkulisse, Geometrie und Beton ist so ausgewogen, dass man von einer Symbiose sprechen kann. Hier ist jede Jahreszeit schön, und wer keine Toten zu beklagen hat, kann den Ort geniessen. Ich denke aber, dass auch die Leidtragenden hier aufgerichtet werden. Der Ort ist offen und befreiend. Angelehnt an den Uetliberg sind die Grabfelder in den Hangfuss eingeschnitten und liegen einige Stufen tiefer als die prächtige Baumallee. Von Mauern umgeben finden sich hier Räume für die persönliche Andacht am Grab, während der Hang sich optisch über die Grabkammern hinweg fortsetzt. So beschreibt „Grün Stadt Zürich“ diese Besonderheit.
 
Ich befand mich heute auf einem Seitenpfad über diesen tiefer liegenden Grabräumen, schaute sie also von oben herab an. Grabsteine, Stelen und Kreuze wirkten aus dieser Sicht wie verwoben, als etwas Gesamtes, als Ort menschlicher Gemeinschaft auch im Tod. Neu für mich.
 
Meist gehe ich, vom Salzweg herkommend, abseits der Anlage auf jenem Pfad unmittelbar dem Waldrand entlang, der auf die Kuppe führt, wo auch die Abdankungshalle steht. Von diesem höchsten Punkt aus ist der Blick frei auf die Stadt und das Limmattal. Von hier aus kann ich Zürich-Wipkingen grüssen, wo unsere Tochter Letizia wohnt, und ich kann sehen, wie der Primetower neben Primos Werkstatt rasant in die Höhe wächst. Es sind überhaupt extrem viele Baukräne auszumachen, besonders gut sichtbar auf dem Hönggerberg. Zürich erneuert sich an vielen Orten von Grund auf.
 
Das Wegnetz dieses Friedhofs sei orthogonal aufgebaut, habe ich gelesen. Mir ist dieser Begriff nicht geläufig, aber die Wege, die sich hier anbieten, gehe ich gern. Gern auch, weil mich die natürliche Hügellandschaft anspricht. Ohne sie wäre die rechnerische Gestaltung vermutlich ausgesprochen nüchtern.
 
1968 wurde dieser Friedhof eingeweiht. Von der sparsamen Betonarchitektur war die Bevölkerung anfänglich nicht begeistert. „Erst 40 Jahre später ist der Friedhof Eichbühl als Hauptwerk des Zürcher Landschaftsarchitekten Fred Eicher eine Ikone der 60er-Jahre und ein vielbeachtetes Gartendenkmal“, heisst es im Informationsblatt über diesen Ort.
 
Auf dem Rückweg verweile ich noch beim überdachten Treffpunkt, einer Art offener Kapelle, wo Farben Zuversicht vermitteln. Auf den Dachstützen schwingen sich schlichte blaue, weisse und grüne Flächen empor. Das erdfarbige Graubraun bleibt unten. Und Glas in der Dachmitte sorgt ebenfalls für Sicht und Durchsicht nach oben.
 
Das war meine Pause. Auslaufen, durchatmen, Augen vom Bildschirm auf die Landschaft und den Himmel richten. Und auf dem Rückweg am Brunnen nochmals Quellwasser trinken.
 
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