Textatelier
BLOG vom: 13.02.2010

Wenn auch Gäste schmelzen: Die Käsefondue-Geheimnisse

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
In der unendlich weiten Welt des Genusses gibt es Fondues (Geschmolzenes) in allen Variationen. Das Wort Fondue ist selbst auf Gerichte ausgeufert, die nichts mit dem Vorgang des Dahinschmelzens zu tun haben: Fondue Bourguignonne (Rindfleischstücklein werden ins heisse Öl eingetaucht) und Fondue Chinoise (allerhand Fleisch wird in heisser Bouillon gebadet). Diese Gerichte sind vor allem aufseiten der Gastgeber beliebt, weil die Verantwortung des Kochens auf jeden einzelnen Gast abgewälzt werden kann.
 
In diesem Blog aber geht es ausschliesslich ums Käsefondue, das im Duden-Universalwörterbuch in etwas schwer verdaulicher Sprache so beschrieben wird: „Schweizerisches Gericht, bei dem kleine Stücke Brot in eine durch Erhitzen flüssig gehaltene Mischung von Hartkäse, Weisswein u. Gewürzen getaucht u. dann verzehrt werden.“ Wenn ich ausser dieser Begriffserklärung nichts übers Fondue wüsste, würde ich mir so ein verworrenes Gericht niemals antun. In der Wirklichkeit ist alles einfacher: Die Brotwürfel und der Weisswein stehen zwar schon beim Gericht, aber Käse, Wein und Konsorten machen das Gericht aus. Ein Glas Kirsch hilft auch beim Interpretieren schwer verständlicher Texte.
 
Doch nehmen wir’s gelassen, Eins ums Andere, schön der Reihe nach: Wir Schweizer leben in einem Käseland. Das heisst, der Verzehr von grösseren Mengen von Milchprodukten ist eine nationale Pflicht, der obligatorischen Militärdienstleistung zu Verteidigungszwecken vergleichbar. Im Hintergrund des Zwangs und der Verführung zum ständigen Käsegenuss stehen die Rettung der Landwirtschaft und damit die Selbstversorgung in Krisenzeiten, wie wir sie bei all den Angriffen auf unsere Bankenbunker gerade durchleben müssen. 
 
Da ich gute Gründe für die Annahme habe, dass dieses Rezept-Blog auch von Menschen in käsefreien Ländern, von denen es z. B. in Asien viele gibt, verschlungen wird, will ich der guten Verständlichkeit halber zuerst einen Begriff aus der Fondue-Sprache erklären: Caquelon. Das ist ein runder, feuerfester, pfannenähnlicher, irdener Topf (aus Steingut, Keramik oder ähnlichem) mit einem einzigen, seitlich angebrachten Griff. Auf diesem Griff lastet beim Fondue-Transport vom Herd zum Tisch die gesamte Verantwortung des Gastgebers. Bricht er (der Griff) ab, ist der Fondue-Plausch im Eimer. Ich sichere das Caquelon deshalb immer mit einem Rüstbrettchen, das ich während des Verschiebens mit der linken Hand anstelle einer Versicherungspolice stützend unter die Pfanne halte.
 
Beim Rüstbrett kann es sich sehr wohl ums Brotbrett handeln, das vorher zum Zersägen von nicht zu weichem Weiss- oder Graubrot in mundgerechte Stücke diente. Ein Brot vom Vortag ist eher vorzuziehen, weil es beim langsamen Vorgang des Austrocknens etwas an Zusammenhalt gewonnen hat. Das Brot bereitet man vor dem Kochprozess vor, weil dieser dann der ganzen Aufmerksamkeit bedarf. Wir legen es auf eine schöne Serviette in einem geflochtenen Körbchen.
 
Das nachfolgende Rezept ist eine Eigenkreation, das heisst, das Exzerpt aus Jahrzehnten geduldigen Übens und Probierens, wobei meine Tochter Anita wesentliche Impulse beigesteuert hat. Somit sind also nicht alle Lorbeeren, die ich gleich einheimsen werde, auf meinem eigenen Haupt gewachsen. Ich schreibe dieses Unikat nach einem anregenden Fondueabend in unserem Hause mit Paula und Heinz Scholz nieder, weil Paula – eine ausgesprochen liebenswürdige und höfliche Persönlichkeit –, sagte, sie habe noch nie so ein gutes Fondue gegessen. Und Heinz setzte noch einen drauf, indem er mich ums Rezept bat, das bisher nur in meinem stolz erhobenen Kopf existierte. Daraus schloss ich messerscharf, dass eine gewisse Nachfrage dafür bestehen könnte.
 
Das Käsefondue-Rezept
Pro Person setze ich, gute Esser vorausgesetzt, 200 g besten Käse ein, wovon etwa 1/3 Appenzeller und knapp 2/3 milden Gruyère (nimmt man einen rezenten Greyerzer, wird das Fondue eher etwas zu salzig). Dazu gebe ich etwa 20 g Vacherin Mont-d’Or, ein geschmierter Weichkäse, der in Käsereien der Waadtländer Bezirke La Vallée (de Joux) und Morges aus Kuhmilch hergestellt und gereift wird. Der Vacherin Mont-Or wird nur zur Winterszeit fabriziert, also genau während der Fonduesaison. Man darf ihn nur spärlich verwenden, kann ihn aber problemlos auch weglassen. Die gesamte Käsemenge darf erst vor der Zubereitung gerieben werden (sonst verliert sie an Aroma). Wir haben dafür eine walzenförmige Reibe mit Drehgriff. An der Käseauswahl liegt alles: Käse gut, Fondue gut – und umgekehrt. Und weil jeder Käse anders ist, wird auch jedes Fondue anders. Darin besteht ein zusätzlicher Reiz: der Überraschungseffekt.
 
Das Caquelon wird mit einer aufgeschnittenen Knoblauchzehe am Boden und an den Rändern tüchtig ausgerieben. Die Zehe wird dann zerkleinert und mit weiteren Zehen nach Belieben ergänzt. Ich verwende reichlich Knoblauch, schneide ihn nicht zu klein. Wenn Gäste kommen, tut man gut daran, sich rechtzeitig nach ihren Beziehungen zu diesen würzigen Zwiebeln aus der Lauchgattung zu erkundigen. Dann kann man die Dosis entsprechend anpassen.
 
Nur frisch geriebener Käse bewahrt den allergrössten Teil seines Dufts, woraus zu erkennen ist, dass ich von abgepackten Fonduemischungen oder gar Fertigfondues überhaupt nichts halte.
 
Den frisch geriebenen Käse und den Knoblauch gibt man ins Caquelon. Dazu kommt gut die Hälfte des Käsegewichts in Dezilitern in Gestalt eines trockenen Weissweins, zum Beispiel ein Chasselas (Gutedel) aus Aigle (Wallis) oder aus dem Waadtland, süffige, elegante Weine ohne störenden Beigeschmack und mit einer angenehmen Säure, wie sie in jedem Caquelon willkommen ist.
 
Also giesse ich zu 800 g Käse etwa 4,5 dl Wein. Das Fondue ist dann am Anfang eher auf der flüssigen Seite, aber am Schluss nicht zu dick, nicht zähviskos. Dazu benötigt man etwa 2 gestrichene Teelöffel Maizena (Maisstärke); man mischt dieses Bindemittel unter den Käse und gibt noch einen kräftigen Spritzer Zitronensaft dazu. Bei der Stärke bin ich eher etwas zurückhaltend aus Angst, die Sache könnte mehlig werden.
 
Alles kommt ins Caquelon: Käse, Wein, Knobli, Maizena. Ich gebe meistens noch einen tüchtigen Spritzer Kirsch dazu. Das Mischen und gemeinsame Erhitzen des gesamten Zutatenarsenals von Anfang an war Anitas Idee, und es hat grosse Vorteile. Ich hatte in früheren Jahrzehnten gelegentlich erlebt, dass die im Erhitzen begriffene Käsemasse verklumpte, sobald ich etwas Kaltes dazu gab – und sei es auch nur etwas Kirsch.
 
So wird die Käsemasse also langsam und kontinuierlich erwärmt – und zwar unter ständigem Rühren mit einem Holzlöffel. Wichtig ist, eine 8 in vollendetem Rhythmus zu rühren – die Zahl des Neubeginns, nach meiner Interpretation des Kochbeginns (und nicht etwa eine 7...). Man muss rührend darnach trachten, dass der Prozess der Erhitzung nicht zu langsam verläuft, weil sonst die Gefahr besteht, dass der Käse klumpt. Auf unserem Gasherd kann die Hitze schnell reguliert werden.
 
Erst gegen das Ende der Erhitzungsphase beziehungsweise des Schmelzvorgangs würze ich mit Pfeffer aus der Mühle, frisch geriebener Muskatnuss und etwas Paprika. Wenn ich unbeobachtet bin, mische ich noch ein paar geschmackshebende Butterflocken unter den Käse (Geheimtipp).
 
Sobald der Käse aufwallt, wird das Caquelon wie beschrieben zum Esstisch getragen und auf den Caquelon-Untersatz gestellt, zwischen dessen schmiedeeisernen Verstrebungen der Spritbrenner bereits in Betrieb ist. Einer oder mehrere Gäste sollten sogleich ein Brotstückchen auf die Gabel aufspiessen, damit weiterrühren und genüsslich zuschlagen. So kann man das Gericht gemütlich austunken. Man muss auch während des Essens die Wärme sorgfältig regulieren (die Masse sollte immer leicht köcheln), dann kann nichts passieren. Wir trinken einen trockenen Weisswein und/oder Schwarztee dazu. Die Brotstücklein lassen wir häufig in einem oben ausgeweiteten Kirschglas mit Kirsch vollsaugen, bevor es in den Käse eingetaucht wird. Dabei werden auch die Interessen des Spirituosengewerbes berücksichtigt.
 
Am Schluss bildet sich auf dem Boden des Caquelons eine Kruste, die Kenner mit der spitzen Fonduegabel loskratzen und geniessen. Während Eva eine Beschädigung des Caquelons befürchtet, sporne ich die Mitesser im Gegenteil immer zum kräftigen Kratzen aus 2 Gründen an: Auf einem etwas rauen Boden bildet sich beim nächsten Fondue die Kruste umso schöner aus, und zudem wird das Abwaschen erleichtert, wenn die Kruste bereits entfernt ist.
 
Zum Dessert sind Ananas, Mangos usf. passend und dank ihres Enzymgehalts gute Verdauungshilfen. Von exotischen Zutaten halte ich im Fondue wenig, von exotischen Früchten zum Dessert aber viel.
 
So, das wär’s dann, und damit ist mein Fondue-Rezept für die Nachwelt erhalten. Es erhebt keinen Anspruch auf eine Alleinseligmachung, sondern kann individuell abgewandelt werden, gerade auch, was die Käseauswahl anbelangt. Der Emmentaler, ein grossartiger Käse, eignet sich nicht fürs Fondue, denn er zieht Fäden, hat andere Qualitäten als die Begabung des Dahinschmelzens; Tilsiter oder etwas Bergkäse eignen sich besser. Es ist empfehlenswert, sich gegebenenfalls vom Käsehändler beraten zu lassen und die empfohlenen Käse zu degustieren.
 
Eine Klumpenbildung darf weder in der Pfanne noch im Magen stattfinden. Weisswein, Kirsch und enzymhaltige Früchte wirken diesem Vorgang entgegen. Und auch die Fondue-Stimmung ist immer dermassen gut, dass sie nicht auf den Magen schlägt – im Gegenteil. Zudem kann man während des Fondueessens noch etwas lüpfige Ländlermusik auflegen. Auch gegen das Yodelling der grossartigen, inzwischen 16 Jahre alten Talor Ware aus dem US-Bundesstaat Tennessee wäre nichts einzuwenden. Wenn das Fondue auf gleicher Höhe wie ihre Jodelkunst ist, wird man noch lange davon erzählen.
 
Hinweis auf weitere Fondue-Blogs
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