Textatelier
BLOG vom: 05.02.2005

Auch in England: Das grosse Lädeli-Sterben

Autor: Emil Baschnonga

 

Unabhängige Läden und Fachgeschäfte – Bäckereien, Metzgereien, Drogerien, Buchhandlungen usw. – werden in England von den grossen Ketten wie Tesco, Sainsbury’s, Safeway, Asda erdrückt und verdrängt. Diese erweitern ihr Angebot massiv auch im Non-Food-Bereich. Diese Konsolidierung ist in England am weitesten fortgeschritten. Ich beklage diese Entwicklung als Rückschritt. Die negativen Auswirkungen sind frappierend (siehe weiter unten).

 

Jede Hauptstrasse gleicht der anderen, beherrscht von den Zweigstellen von Currys, Dixons, Immobilien-Agenturen. Jetzt schleichen sich diese und andere Ketten auch noch in die Nebenstrassen ein. Selbst die Church Road in Wimbledon ist bedroht. Dort hat es noch einen Silberschmied, einen Rahmenhersteller, ein Velogeschäft und mehrere Kunsthandlungen. Wuchermieten und Geschäftstaxen (rates) würgen jedoch ihre Existenz ab.

 

Die Lebensmittelketten, im Verbund mit den industriellen Nahrungsmittel-Herstellern und der Agrochemie, verfolgen die Interessen der Aktionäre und sind ganz und gar vom Profitdenken getrieben. Sie erweitern ihr Sortiment fortzu und nehmen nebenbei auch Produkte aus biologischem Anbau auf. Die unabhängigen Health Shops serbeln dahin.

 

Die grossen Ketten erzielen einen Umsatz von rund £ 77 Bio. (= Milliarden), wovon der Non-Food-Anteil auf £ 14 Bio. angewachsen ist (1 englisches Pfund entspricht derzeit 2.26 CHF). Die Lieferanten werden rabiat unter Preisdruck gesetzt. Den Konsumenten kriegen sie mit ihrer Erfolgsstrategie „2 für den Preis von 1 Packung“ in die Knute. Warum nicht den Preis einer Packung halbieren, im Interesse der vielen allein stehenden Käufer? Na ja, die Antwort lässt sich aus der Hand ablesen.

 

Zugegeben, ich selbst kaufe in solchen Ketten ein, wo so vieles unter einem Dach ist. Das erspart mir viel Zeit. Viel Zeit? Immer wieder werden die Auslagen verschoben. Ich muss mich zu den neuen Standorten durchfragen. Für preiswerte Artikel muss ich mich arg bücken. Auf Augenhöhe wird am meisten verkauft. Bei den Kassen erwarten mich Warteschlangen. Die Ladenschlusszeiten erstrecken sich bis in den späten Abend hinein, und wer glaubt, dass er am Sonntag leichter durchkommt, täuscht sich.

 

Hinzu kommen die vielen Einkaufszentren, die wiederum von Ketten beherrscht sind. Hypermärkte ausserhalb der Städte machen sich breit. Ohne Auto ist man verloren. Der Auspuff macht Überzeit im Stau. Eine Übersicht der negativen Auswirkungen bietet sich unter www.corporatewatch.org.uk 

 

Brauche ich bloss einige Nägel oder Schrauben, finde ich sie im B&Q vorverpackt – hundert auf einmal muss ich kaufen. Die herrlichen „Iron Monger“ (Eisenwarenhandlungen), wo der Inhaber im heillosen Durcheinander mit einem Griff die richtige Schachtel erwischte, sind längst aus dem Strassenbild verschwunden. Brauche ich eine Violinsaite, muss ich in die Ferne schweifen. Nein, nicht mehr! Ich habe ein Geigenatelier im historischen Viertel Merton Abbey Mills entdeckt. Sogar einen Markt gibt es dort, wo einst William Morris seine Werkstatt hatte, nahe beim Wandle Fluss (für Spaziergänger erschlossen).

 

Somit ist noch längst nicht alles verloren. Mehr und mehr Leute kaufen heute an den Ständen, in den so genannten „farmers’ markets“ (Bauernmärkten) der kleinen Anbauer, wählen Käse von einem lokalen Hersteller. Die Strassenmärkte überleben nach wie vor. Einmal im Monat herrscht, ausgerechnet vor dem Safeway beim Wimbledon Broadway, viel Betrieb, weil Händler aus Frankreich dort Esswaren feilbieten. Ihre Produkte kosten zwar mehr, aber schmecken dafür umso besser. Gutes Brot und Gebäck, wie einst vom Beck, verlocken mich ganz besonders.

 

So kommt es doch wieder zum Fortschritt! Gott sei Dank gibt es wenigstens in der Schweiz noch etwas Freiraum für die Unabhängigen. Sie fügen sich neben der Migros und dem Coop in die noch verbliebenen Nischen ein, und man sollte sie unterstützen. Damit wäre allen gedient.

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