Textatelier
BLOG vom: 21.09.2009

Beitrag zur Anleger-Verunsicherung: CH-Bankgeheimnisse

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
„Lieber ein guter Wein als die Aktienkurse im Keller“, philosophierte Albi von Felten in seinem reich bestückten Weinlager im Keller des Landhotels „Hirschen“ in CH-5015 Erlinsbach. In jene angenehme Atmosphäre verschlug es mich, weil die Neue Aargauer Bank (NAB) zu einem anlagestrategischen Börsenapéro eingeladen hatte. Privat-Banking-Leiter Harald Knaus: „gelebte Kundennähe“.
 
In dieser Zeit der krisenbedingten Verunsicherungen sind Informationen aus dem Innenleben einer Bank besonders interessant: ein Beitrag zum eigenen Bild über den Zustand der globalen Finanzarchitektur, das man sich aus allen möglichen Quellen so zusammenbastelt. Eine Gemeinsamkeit allerdings haben Anleger und Anlageinstitutionen: Sie alle sind keine Hellseher. Sonst wäre ja nicht fast die ganze Gesellschaft beim Tanz um vergoldete Kälber auf die Hypo- und Kreditkartenkrise (Verbriefung und Falschbewertung von überdimensionierten Privat-Schulden von Amerikanern und weltweitem, blühendem Verkauf dieses Schrotts) hereingefallen, welche die ganze mächtige Finanzwelt erschütterten und Kurse gnadenlos in den Keller drückten. Recht gnädig kamen die Schwellenländer davon, die sich offensichtlich intelligenter als die Reichen benommen haben – vielleicht waren sie auch bloss nicht in der Lage, Dummheiten in der Grössenordnung wie die Wohlhabenden zu machen. Wir aber bezahlen jetzt das US-Lotterleben über alle möglichen Kanäle, selbstverständlich unter anderem auch über Steuern und andere Abgaben (wegen Banken- und Konjunkturspritzen), damit das Platzen der nationalen Kreditblasen, eine absehbare Folge des US-Debakels, noch etwas hinausgeschoben werden kann. Besonders die US-Verschuldung ist bei der Ausgabeneuphorie Barack Obamas ausser Rand und Band und selbst für den Investmentstar Warren Buffett in ihrem gigantischen Ausmass „unhaltbar“. Man darf gar nicht daran denken, was passieren wird, wenn diese Gigablase einmal geplatzt ist.
 
Banken-Sicht
An der NAB-Informationsveranstaltung verbreitete der hauseigene Investmentbanker Konstantin Giantiroglou demgegenüber eitel Sonnenschein, wenn auch auf der Basis von meist US-amerikanischen Statistiken wie Bloomberg; aber wenn man weiss, dass die meisten Börsen von Asien bis Europa einfach US-„Vorgaben“ nachvollziehen und eigentlich nur auf US-Zahlen reagieren, kann das gerechtfertigt sein. Für den Fachmann sind alle Zeichen für eine Erholung von der nachhaltigen Art gegeben. Die Kapitaldeckung der Banken sei heute besser als vor 2 Jahren, fügte er bei.
 
Meine kritische Frage, ob denn der Aktienkursanstieg, wie er in den vergangenen Monaten zu beobachten war, nicht bloss ein Zwischenhoch vor einem noch grösseren Absturz sei, entschärfte der versierte Referent: Es komme zweifellos immer wieder zu Phasen kurzfristiger Korrekturen, aber für einen grossen Rückschlag seien keine Anzeichen auszumachen. Die Risiko-Aversion, was ich etwa als Risiko-Anfälligkeit verstehe, sei deutlich zurückgegangen, und die Tiefststände der Aktienkurse am 09.03.2009 „dürften Vergangenheit bleiben“. Die Vorlaufindikatoren wie der US-Einkaufsmanagerindex hätten um die Jahreswende 2008/09 eine „deutliche Wende“ vollzogen – gemäss Bloomberg. Das globale Wachstum des BIP (Bruttoinlandsprodukt), eigentlich das Bruttoweltprodukt, werde 2010 wieder positiv sein, getragen von Schwellenländern (Grundlage: IWF = Internationaler Währungsfonds), hatte Giantiroglou in seinem Vortrag vermeldet, der wie Balsam auf verheilende Wunden wirkte.
 
Ich mache es mir persönlich zum Vorwurf, dass mein Glaube an die IWF/IMF-Seriosität und US-Statistiken sowie -Rankings nicht einmal mehr in Restbeständen vorhanden ist, was man mir bitte nachsehen mag. Ich arbeite an mir. Und wenn wir Angehörigen der Industrienationen, die wir nicht nur die Schwelle, sondern auch noch viele Treppenstufen empor geklettert sind, von armen Ländern, die an der unteren Schwelle herumkraxeln, getragen werden müssen, finde ich das ein eher bedenkliches Zeichen für uns da oben, die wir immer wieder Treppenstürze erleiden ... Die Aktien sind wieder dort, wo sie 1996 waren. Doch glaube ich auch, dass die Schwellenländer ihren Anteil am Welt-BIP vergrössern werden – es ist auch höchste Zeit dazu.
 
Die Sache mit dem Schweizer BIP sieht Referent Giantiroglou zuversichtlich so: „Nach minus 0,3 % im Vorquartal 2009-2 könnte das BIP im Quartal 3 bereits wieder zunehmen.“ Er benutzte, wie man sieht, die Möglichkeitsform. Und auch die US-Industrieproduktion scheine sich zu erholen, Stahlwerke würden langsam wieder hochgefahren. Dennoch dürfte die Arbeitslosigkeit vom momentan hohen Niveau aus weiter ansteigen, sagte der Fachmann. Dies wiederum bremse die Teuerung – umgekehrt dürften die Preise mit dem Konjunkturaufschwung wieder anziehen. Die Konjunktur sei der Börsen-Treiber, hielt Giantiroglou fest, und Aktien unter dem Trendwachstum würden auf eine Unterbewertung der Aktienmärkte hindeuten. Die Sonne schien noch heller in die abendländischen Anlegerseelen hinein.
 
Dank der Konjunkturaufhellung würden sich die Zinsrenditen langfristig wieder verbessern – bei deutlich sinkenden Risikoprämien. (Aber das wäre dann wieder schlecht für die Wirtschaft, wie dem beizufügen ist.)
 
Wankende Weltwährung
„Die USA dürften sich schneller als andere Länder von der Krise erholen, was den USD aufwerten würde. Zudem ist der USD gemäss Kaufkraftparität fundamental unterbewertet“, sagte der sympathische Referent auf dem Boden des an den Mainstream-Börsen tatsächlich festzustellenden Konjunkturoptimismus. Es ist klar, dass bei solchen zeitlich begrenzten Lehr-Veranstaltungen Wesentliches herausgeschält werden muss, auch damit der Rote Faden im Vortrag nicht bricht.
 
Mir kam an dieser Stelle der Jahresbericht 2009 der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in den Sinn, worin erwartet bzw. vor allem von Russland und China gefordert wird, dass eine neue Weltwährung den morschen Dollar – diese Weltrisikowährung – ablösen wird. Weil das ja innerhalb der neuen Weltordnung geschähe, wäre dies meines Erachtens kein risikofreies Unterfangen: Würde die neue Währung von einem Bretton-Woods-System mit festen Währungskursen begleitet, wäre das ein Fall vom Regen in die Traufe. Dann wäre es nämlich um eine länderspezifische Währungspolitik geschehen. Im Rahmen der Globalisierungsgleichmacherei könnte solches geschehen.
 
Ich werde solche möglichen Vorgänge bei persönlichen Anlageentscheiden im Hinterkopf behalten, auch wenn es bei diesen nur um bescheidene Dimensionen geht und die Sache dadurch für mich nicht einfacher wird. Denn die Wirtschaft und damit die Börse und die Anlegerpolitik sind ein Teil des übergeordneten neoliberalen Geschehens, eines grösseren Ganzen, das immer berücksichtigt sein will.
 
Meine Erwartung steht der Aussicht auf einen US-Aufschwung diametral entgegen, was keine Folge eines pessimistischen Gemüts ist. Sie fusst schlicht und ergreifend auf dem grausamen Umstand, dass das US-Haushaltsdefizit auf immer mehr Billionen (Billionen im deutschsprachigen Sinn = 1000 Milliarden) klettert. Die Schuldenblase wächst ununterbrochen, schneller noch als bisher. Ob der Verzicht Obamas auf das von Bush II. geplante und gegen Russland und den Iran gerichtete Raketensystem in Osteuropa (Polen und Tschechien) auch etwas mit dem Ausgabenbremsen zu tun hat, ist schwer zu beurteilen. Es ist anzunehmen.
 
Aber auch das würde Amerika nicht aus der im Quadrat anwachsenden Schuldenfalle befreien. Schon seit Jahrzehnten tätige ich strikt keine Anlagen in Greenbacks oder US-Werten mehr und habe damit an dem Zerfall nicht direkt teilnehmen müssen. Zudem hüte ich mich davor, mich durch den Besitz von amerikanischen Papieren der US-Gesetzgebung zu unterwerfen und fiskalische Geschütze auf mich richten lassen. Das widerspricht meinem Freiheitsbestreben.
 
Zweckprinzip Hoffnung
Die meisten Banker und Anlageexperten sehen das anders. Sie setzen auf das Prinzip Hoffnung, vielleicht ist es ein Zweckprinzip. Wahrscheinlich braucht es ein gewisses Wegschauen und viel, viel Vertrauen, damit ein allfälliger Anflug von Aufschwung nicht durch pessimistisch stimmende Tatbestände gleich wieder in Grund und Boden gestampft wird. Dennoch bleibt mir der unverdrossene Glauben praktisch aller Banken (mit Ausnahme von Wegelin & Co., St. Gallen) an die USA nach allem, was geschehen ist, rätselhaft, schleierhaft. Vielleicht haben sie Gründe, die ich nicht kenne; vielleicht liegt darin das wahre und letzte Schweizer Bankgeheimnis.
 
Die NAB
Die NAB ist die grösste Regionalbank der Schweiz und eine Tochtergesellschaft der Credit Suisse (CS). Trotz dieser Liaison funktioniere sie auch im Anlagebereich praktisch unabhängig, sagte mir Regionalleiter Roger Keller, der früher Berufsoffizier war und Führungserfahrung im Tornister hat, drunten im „Hirschen“-Keller in einem Gespräch unter 4 Augen. Doch könne die NAB die CS-Analysen-Daten nutzen, was ihr eine bevorzugte Position verschaffe. Und auf eine gewisse Ausrichtung auf die USA komme man vernünftigerweise auch heute nicht herum.
 
Somit stimmt der Song-Text der Barenaked Ladies „Everything old is new again“ halt eigentlich schon: Alles Alte wird wieder neu – genau genommen ein Fortschrittshemmer. Deshalb ergänzte Paul Krugmann, US-Volkswirtschaftslehrer, das geflügelte Wort: „...and that’s the problem.“
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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