Textatelier
BLOG vom: 17.06.2009

Emmenuferweg (1): Der Fluss, dem gar nichts erspart blieb

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die Strecke Wolhusen‒Entlebuch im Luzerner Hinterland bietet eine einzigartige Möglichkeit zum Studium dessen, was man mit einem Bach, der zwischen einem sanften Wässerlein und einem Wildbach schwankt, alles antun kann – und auch unberührte Strecken sind dabei. Für eine Aussichtsplattform ist gesorgt: Zwischen Emmenbrücke und Schüpfheim ist der 35 km lange Emmenuferweg eingerichtet worden. Er erfasst alle SBB-Stationen und bietet somit die Möglichkeit, jedes beliebige Teilstück auszuwählen und mit der Bahn an den Ausgangspunkt zurückzufahren. Selbstverständlich kann die Wanderung bis zum Emmensprung nach Sörenberg fortgesetzt werden. Die Landschaft ist dünn besiedelt; im Einzugsgebiet der Kleinen Emme wohnen nur etwa 35 000 Menschen.
 
Der 12.06.2009 war ein schwüler, heisser Sommertag, an dem weisse, verstreute Wolkenflächen gelegentlich einen gewissen Schutz gegen die brennende Sonne boten. Eine Wanderung neben einem kühlenden Fluss schien das richtige Verhaltensmuster, um das Beste aus der Situation zu machen. Ich beschränkte mich auf die erwähnte Strecke von Wolhusen flussaufwärts bis nach Entlebuch (9,5 km), die nach Wanderweg-Angaben in 2,5 Stunden zu bewältigen wäre; doch brauchten Eva und ich mehr als 5 Stunden, weil ich über 200 Fotos machte und wir uns jedem Detail zuwandten. Die exakte Anschauung ist ja die beste Grundlage für die Deutung, die sich dann von selbst einstellt; sie erst bringt die Dinge zu sich.
 
Wolhusen
Wir parkierten das Auto in Wolhusen beim Bahnhof. Diese Gemeinde ist für mich das Eingangsportal in die Region Entlebuch, die das Haupttal der Kleinen Emme zwischen Luzern und Bern umfasst. Das Entlebuch hat es zum 2. Unesco-Biosphärenreservat (neben dem Nationalpark im Kanton Graubünden) gebracht und darf seit 2008 auch das Label „Regionaler Naturpark“ führen.
 
In Wolhusen, das noch nicht zum Entlebuch, sondern zum Amt Sursee gehört, treffen sich die Ämter Willisau, Entlebuch und eben Sursee. An diesem Treffpunkt von 3 Tälern ist ein regionales Zentrum entstanden, das architektonisch so chaotisch wirkt wie der Verlauf der Gemeindegrenzen. Die rechts der Emme gelegenen Ortsteile bilden Wolhusen-Markt und gehören seit 1853 zur Gemeinde Werthenstein, die dem Amt Entlebuch zugeteilt, aber kein Bestandteil des Biosphärenreservats ist, wie ich auf der Gemeindekanzlei Werthenstein erfuhr. Dafür seien planerische Aspekte ausschlaggebend gewesen. Ich wurde sehr freundlich beraten, und der Kanzleibeamte kopierte für mich einen Plan über den Emmenuferweg („Wunderwanderweg“). Unterhalb der linksufrigen, 1986 restaurierten Äusseren Burg als bedeutendstem Baudenkmal befindet sich Wolhusen-Dorf, wo einst die Freiherren von Wolhusen das Sagen hatten; sie beherrschten auch das Rottal, also die Gegend um Ruswil, Buttisholz und bis Grosswangen.
 
Die Kleine Emme, die von Süden nach Wolhusen kommt und dort rechtwinklig nach Osten dreht, ist hier in Betonkorsetts eingezwängt, der typische Fall eines gebändigten („korrigierten“) Flusses – genau wie früher opulente Damen ihren überquellenden Körper bändigten. Wie auf einer Informationstafel zu lesen ist, hat die Verbauerei hier eine 350-jährige Geschichte. Sie entspricht dem alten, verbreiteten Lied, das immer wieder zu hören ist: Infolge von Waldrodungen im Einzugsgebiet des Flusses traten vermehrt Hochwasser auf. Der Luzerner Regierungsrat forderte in „Schwellibriefen“ den Bau von Hochwasserschutzbauten.
 
Der Hauptteil der Verbauungen an der Kleinen Emme entstand um 1800, wobei der Fluss gleich auch noch begradigt wurde. Heute bestimmen Schwellen, Sohlenverbauungen und Ufermauern den Weg des in Beton gezwängten Flusses. Buhnen, die quer in den Fluss hinein ragen, bremsen die Fliessgeschwindigkeit des Wassers. Hohe Abstürze bei Querverbindungen wurden zu Blockrampen umgestaltet, damit die Fische Aufstiegsmöglichkeiten erhalten; auch sie haben ein Anrecht darauf, Karriere machen zu dürfen. Bestrebungen, dem Fluss wieder mehr Raum zu geben, sind heute da.
 
Zur Bändigung der Kleinen Emme hat natürlich auch die gewerbliche Wasserkraftnutzung beigetragen. So leitete bereits vor 1800 ein Kanal bei Wolhusen-Markt Wasser auf Mühlen und Sägewerke. Nach 1900 wurde der Kanal neben einer Restwasserstrecke erweitert und für die Elektrizitätserzeugung hergerichtet; 4 Turbinen werden angetrieben. Die Wasserkraftwerke der Walzmühle AG, ein dominanter, siloartiger Bau am Dorfeingang, und der Geistlich Pharma AG sind noch heute in Betrieb; sie erzeugen mehr als 1/3 ihres Strombedarfs dieser Unternehmen – ganz im Sinne der Unesco-Ziele nach einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen.
 
Nach dem Hochwasser vom 16.07.2002, von dem die Stauschwelle bei der Einleitung des Wassers in den Gewerbekanal vollständig zerstört wurde, kam es zu Verbesserungen in ökologischer und auch hochwasserschützerischer Hinsicht. Bis zum Datum dieser Überschwemmungen, die sich als wirklich segensreich erwiesen, war der Kleinen Emme an Tagen mit geringem Abfluss sämtliches Wasser entnommen worden, so dass das Flussbett während etwa 90 Tagen im Jahr auf einer Strecke von 1,7 km trocken lag. Seither haben Tiere und Pflanzen ihren angestammten Lebensraum, der für eine Dauerbesiedelung tauglich ist, zurückerhalten, auf Kosten einer Strom-Produktionseinbusse von etwa 8 %, die ja wohl verkraftbar ist.
 
Der Fluss gestaltet seine Umgebung ständig neu, hält sie dauernd in Bewegung, bringt Steine mit, die er bei erster Gelegenheit ablagert, und schafft Auen. Groppen als typischer Fisch dieser Region und Bachforellen gefällt es hier so gut wie dem flüchtigen Wanderer. In seltenen Fällen ist der grau gefärbte Flussuferläufer (lateinisch: Actitis hypoleucos, englisch: Sandpiper) hier zu Gast, der beim Sitzen wippt und nahe über der Wasseroberfläche fliegt. In der Regel ist die Keine Emme ein harmloser Bach, der sich aber bei Gewittern innert Minuten zu einem reissenden Fluss verwandeln kann. (PS als Nachtrag: das ist am 24.07.2014 wieder geschehen.)
 
Am Dorfausgang
Südlich des Dorfs Wolhusen ist der Emmenuferweg mit der Hauptstrasse nach Entlebuch identisch und damit wenig attraktiv. Der Asphalt strahlte am Tage unserer Exkursion, an dem wir ebenfalls zu Flussuferläufern wurden, die Sonnenhitze ab, obschon die von oben hereinbrechende Strahlungswärme mehr als ausreichend gewesen wäre.
 
Nach einem schönen, mächtigen Bauernhof erreicht man die neue Holzbrücke, die beim Badtobel zum Restaurant „Bad“ führt. Der Uferweg überquert die Kleine Emme erst etwas später, über 1 bzw. 2 Brücken, bei Mäderslehn, wo der Wegweiser zum Steinhuserberg weist – und weiter zum Napf. Man gelangt endlich auf die linke Flussseite, entfernt sich von der Strasse, nähert sich den Nagelfluhfelsen und den schattigen Laubmischwäldern. Der Duft von einem Schweinemastbetrieb verliert sich bald.
 
Goldhaltiger Naturbeton
Im Gebiet Rossei beginnt unter den Naturbeton-Felsen, aus denen manchmal Rinnsale austreten und über Moosteppiche perlen, für den Wanderer ein Auf und Ab über Schuttkegel; manchmal sind sogar einige Treppenstufen zu überwinden. Das Gelände aus dem „Beton des lieben Gottes“ ist eher instabil, rutschgefährdet.
 
Man erlebt den Seitenbach, die Kleine Fontannen, die über das raue Nagelfluh-Bett fliesst, Felsen unterspült und dabei den Eindruck einer Idylle im Grünen erweckt. In dieser Gegend erzählt eine Info-Tafel vom „Luzerner Goldbrunnen“: dem Napfgold. Tatsächlich gibt es in den Napfgewässern Gold. Immer wieder suchten und suchen Menschen in den unwegsamen Gräben und Eggen des Napfgebiets nach einem grösseren Vorkommen des Edelmetalls; sie wurden aber eigentlich nur in einer Sage im grossen Stil fündig. Ein Senn soll von einem Goldfund so reich geworden sein, dass er dem König von Frankreich einen Millionenbetrag lieh, als dieser gerade einmal knapp bei Kasse war. Solche Sennen könnten heute all die bankrotten Länder und Firmen gut gebrauchen.
 
Aber ganz kleine Goldkörnchen, so gross wie Sandkörner, findet man noch immer. Dieses so genannte Napfgold wird nach wie vor durch den Seebli- und Goldbach sowie durch die Kleine und Grosse Fontanne aus der Nagelfluh des Napf-Gebirgs ausgewaschen; es findet sich in den Flussablagerungen.
 
In den letzten 30 Jahren hat die Goldwäscherei am Napf eine regelrechte Renaissance erfahren, wie ich selber feststellen konnte. Zufällig traf ich bei Doppleschwand Toni Obertüfer aus CH-6130 Willisau, der Goldwasch-Führungen veranstaltet und auch ein Goldwasch-Museum betreibt (www.goldwaschen.biz). Er zeigte uns in einem kleinen runden Gläschen, der Miniaturausgabe eines Reagenzglases, einige Goldkörnchen, die im dunklen Sand an der Sonne einladend funkelten. Das passte wunderbar zu einer alten Goldwäscherregel nach dem Motto „Reim dich oder ich friss dich“: „Wenn heiss der Sommer und selten die Gewitter, sich finden lassen die goldenen Splitter.“ Angeblich sollen kleinste Goldflitter bei Hochwasser flottieren und dann auf überspülten Moospolstern zu funkeln beginnen.
 
Anschliessend erfolgt der Anstieg auf einen Hügel (Burgmatt), wo Eva und ich zu einem Tessinerbrot die Cervelats verzehrten, die wir in der Landmetzg Rottal bei Sursee von Familie Portmann gekauft hatten. Meine Frau hatte noch Tomaten und edles iranisches Salz mit blauen Einschlüssen (verursacht durch Kalium und Chlor) mitgenommen, und ein nach dem deutschen Reinheitsgebot gebrautes Bier hatten wir auch dabei. Ein Festessen bei einer steilen, hügeligen Wiese, die mit Hilfe einer kleinen Mähmaschine frisch gemäht war und wie die Würste herrlich, aber auf ihre Art duftete – nach frischem Heu von einer Magerwiese. Eva als Bergbauerntochter erinnerte sich daran, dass ihr Bruder Paul, der später in die USA auswanderte, bereits ein solches gebirgstaugliches Mähgerät (Marke: „Rapid") gekauft hatte; aber ihr Vater Luzi Pfosi mähte tapfer von Hand weiter, weil das Gelände vielerorts zu steil für einen Maschineneinsatz war und weil er es so gewohnt war. Wie sollen solche Bauern mit den maschinentauglichen EU-Landwirtschaftswüsten konkurrieren können?
 
Der Weg führte dann über eine Holztreppe, eine Art Leiter, die auf dem steilen Boden liegt und deren Holmen aus ganzen Baustämmen bestehen, zum Talgrund hinunter. Dort umrundet man ein belebtes Bienenhaus. Die einheimischen dunklen Bienen (Apis mellifera mellifera) hatten Hochbetrieb.
 
Anschliessend wird die Flusslandschaft zunehmend attraktiver: Das blau-grünliche Wasser fliesst durch hellgraues Geschiebe; die Felsen sind unterspült und manchmal überhängend – bis zum nächsten Abbruch. Die Evolution dauert an. Von der Chappelbodenbrücke (Postautohaltestelle) aus (die dortige Strasse führt nach Doppleschwand) erhält man einen schönen Überblick über das aus Nagelfluh bestehende und vom Wasser weich geformte Flussbett, das vom Designer Luigi Colani stammen könnte – hier sind die geraden Linien überwunden. Eschen, Ahorne, Weiden usf. begleiten den Fluss mit ihrem frischen Grün in allen Tonarten.
 
2. Teil folgt.
 
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