Textatelier
BLOG vom: 22.10.2008

Kaupthing Bank, Island: Das Aha nach dem verlockenden Aaa

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die isländische Bank Kaupthing Edge (Chef: Sigurdur Einarsson) habe im vergangenen Sommer 2008 mit sehr hohen Zinsen um Kunden in der Schweiz (Büro in Genf mit 13 Mitarbeitenden, und Filialen auch in Belgien sowie vielen anderen Ländern) geworben. Dies liest und hört man in den Medien, seitdem die isländische Finanzkrise auch dieses grösste Bankeninstitut der Vulkaninsel ins Schwarze bzw. Rote Loch gezogen hat. Die Kaupthing-Bank wurde, wie die beiden nächstgrösseren isländischen Banken auch, verstaatlicht, das sich in Etappen abzeichnende Schicksal aller Finanzunternehmen, die der hirnlosen neoliberalen Philosophie und ihren Exzessen verfallen waren. Aber weil die Bilanzsummen der 3 grössten isländischen Banken in kurzer Zeit 10 Mal so gross wie das ganze Bruttoinlandprodukt der brodelnden Insel geworden waren, zeichnete sich gerade auch noch ein Staatsbankrott ab, der mit Notstandsgesetzen und russischer Hilfe abgewandt werden soll. Ein fürchterliches Debakel.
 
Die Insel mit ihrer Gratiswärme aus dem Erdinneren (Geothermie), den vielen Fischen, die um sie herumschwimmen und auch für den Export geerntet werden können, mit den Schafen und Einrichtungen zur Stillung der Fremdenverkehrsbedürfnisse war der Menschheit zuvor nie als bedeutender Bankenplatz aufgefallen. Ich habe sie 1992 besucht, war begeistert und habe sie in einem Länderporträt beschrieben (Link am Ende dieses Blogs), aber beileibe nicht etwa des erst in den letzten Jahren eingeleiteten Bankenwunders wegen … Davon war noch nichts in Sicht. Die isländischen Jungbanker waren in den USA und England ausgebildet worden, beseelt vom Willen zur Innovation. Sie verdrängten die verkrusteten, seriösen Gentlemen von den Direktionsstühlen und feierten ihre Partys.
 
Vorher war die Wirtschaft eher planwirtschaftlich, wie seit 1944, der Unabhängigkeit von Dänemark. Doch das sollte sich im Zeichen der Globalisierung ändern. Die Insel wurde umverteilt. Laut einem lesenswerten Bericht („Sturmtief über Island“) in der „Weltwoche“ 42-2008 gehört das heutige Island (einschliesslich der dortigen Presse) angeblich 20 Männern, „die sich befehden, aber immer wieder Allianzen schmieden“.
 
Laut meiner eigenen Feststellung hat die Fischerei durch isländische Finanzhaie nicht erst im Sommer 2008 begonnen. Denn schon am 07.02.2007 erhielt ich von einem im CS-Umfeld tätigen Finanzberater die Einladung, in eine zinsmässig attraktiv anmutende Bond-Anleihe der Bank Kaupthing zu investieren; er hatte diese auf seiner Empfehlungsliste. Die US-Rating-Agentur Moody’s hatte diese Firma damals mit „Aaa“ vergoldet, was das langfristige Ausfallrisiko anbelangte, so dass also eigentlich nichts passieren könne, erfuhr ich. Das Angebot war in Anbetracht der in der Schweiz bezahlten Zinsen, die kaum noch die Bankgebühren zu decken vermochten, tatsächlich höchst verlockend. Der erwähnte Berater empfahl Kaupthing aus Überzeugung, meinte es gut mit mir.
 
Da ich mich seit meinem eigenen Augenschein ständig für die Vorgänge in Island interessiert hatte und selbstverständlich weiss, dass hohe Gewinnchancen immer von hohen Risiken begleitet sind, lehnte ich deshalb und auch aus den folgenden Überlegungen ab. Kaupthing ist z. B. in britischen Pubs (Auslaufmodelle) und Kaufhäuser wie J. Sainsbury investiert. Zudem ist mir längst bekannt, dass Rating-Agenturen ein Werkzeug zur Manipulation der Finanzgeschäfte sind und der Zweck ihre Buchstaben-Anreihungen aus dem Beginn des Alphabets heiligt. Am besten hört man nicht hin. Ich mailte dem Finanzberater am 07.02.2007 um 17.09 Uhr wörtlich:
 
„Die isländische Bank Kaupthing würde ich aufs Rating 1 B zurückstufen. Das überhitzte nordeuropäische Island-Wunder ist zu einem Alptraum geworden. Die Isländer brauchen Geld (zur Finanzierung ihres ausser Rand und Band geratenen Lebensstils), und ein Crash wird schon seit einem Jahr befürchtet. Zudem hat die Kaupthing-Bank in den Vorjahren Verluste hinnehmen müssen ‒ und zu allem Elend betreibt sie auch noch in den USA Filialen.
 
Es ist interessant, dass man in der letzten Zeit vom ehemals hochgespielten isländischen Wirtschaftswunder nichts mehr hört. Offenbar beissen selbst die Fische nicht mehr so eifrig.
 
Trotzdem ist Island eine herrliche Insel, wahrscheinlich besser für Touristen als für Investoren geeignet.“
 
Soweit mein E-Mail aufgrund meines Wissensstands vom Februar 2007, das ich aus aktuellem Zusammenhang aus meiner Outlook-Ablage ausgegraben habe. Selbstverständlich könnte ich mich nun im Strahlenkranz meiner weisen Voraussicht sonnen. Doch eigentlich müsste es schon damals jedermann möglich gewesen sein, die dubiosen Spiele zu durchschauen, womit meine Prophetie auf ein Normalmass zurückgestuft wird.
 
Die Rating-Agentur Moody’s hielt demgegenüber an ihrer Fehlbeurteilung fest, was schon bemerkenswert ist. Sie bewertete noch im Juni 2008 (16 Monate nach meiner Angebotsausschlagung) das langfristige Ausfallrisiko von Kaupthing als „tief“ und hielt die Finanzkraft dieser Bank für „angemessen“. Zwar war Kaupthing damals leicht tiefer als UBS und CS bewertet, stand aber besser als etwa die Genfer Kantonalbank da. Es ist haarsträubend, was diese Analysten und Rating-Spezialisten ungestraft von sich geben und in die Finanzwelt setzen können. Erst Ende September 2008 fühlte sich Moody’s aufgerufen, das Rating von Kaupthing nochmals anzuschauen, nachdem die Agentur Fitch (Firmensitze in New York und London) deren Bonität immerhin um 1 Stufe gesenkt hatte, und nun endlich wurde auch von Moody’s vor einer baldigen Abstufung gewarnt, nachdem es einfach nicht mehr anders ging, wollte sie sich nicht vollkommen lächerlich machen.
 
Selbstverständlich kann Moody’s (Moody's Investors Service) als eine der weltweit grössten Rating-Agenturen nichts passieren, weil sie an der New York Stock Exchange gelistet ist und seit 1975 als ein anerkannter verlängerter Arm der SEC (amerikanische Wertpapier-Kontrollstelle) wirkt, deren Kommissare vom US-Präsidenten höchst persönlich ernannt werden. Wäre dem nicht so, würde sie auf Schadenersatz sammelverklagt.
 
Damit erübrigen sich weitere Kommentare über die Zuverlässigkeit von Ratings. Und daraus erklärt sich auch das Schweigen des Medienmainstreams zu diesem besonders betrüblichen Kapitel. Die Labilität von Blasen, Folgen grössenwahnsinniger Verblendungen, ist inzwischen durch deren ständiges Platzen allgemein bekannt geworden. Inzwischen herrscht bei den Anlegern, die sich am Islandboom beteiligten und die in der Schweiz höchstens 30 000 CHF zurückerhalten haben, Panik und Depression. Das trifft insbesondere auch auf viele der 300 000 gut ausgebildeten Isländer zu, von denen viele bis über beide Ohren hinaus verschuldet sind. Die isländische Krone (ISK, Króna) verlor ihren Glanz restlos.
 
Wahrscheinlich wird der US-Dollar an die Stelle der isländischen Währung treten. Zu meiner grossen Überraschung gibt es diesen noch immer. Ein ständiges stilles Schrumpfen verhindert, dass diese Währungsblase mit Getöse platzt. Es ist ein leises Verpuffen.
 
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