Textatelier
BLOG vom: 06.10.2008

Wanderung Staffelegg–Herzberg–Asperstrihen–Bänkerjoch

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Nur etwa 2,5 km beträgt die Luftlinie zwischen Staffelegg und Bänkerjoch (Benkerjoch), und dieses Gebiet im Faltenjura eignet sich für eine Randwanderung bestens. Beide Eckpunkte sind mit Postautoverbindungen (ab Aarau/Küttigen bzw. Frick) erschlossen, und an beiden Orten stehen grosse Gratisparkplätze zur Verfügung.
 
Am Sonntagnachmittag, 28.09.2008, in der Anfangsphase des Herbsts mit seinem milderen Licht und der abnehmenden Wärme, waren alle Voraussetzungen für diese kurze Wanderung gegeben. Ein schwacher Dunst verhalf im Staffelegggebiet zu einer Staffelung der Landschaft. Die abnehmende Tiefenschärfe liess die unterschiedlichen Distanzen zu den einzelnen Jurafalten und zum Mittelland (Aaretal, Suhren- und Wynental) bis zu den verschwommenen Voralpen besonders plastisch hervortreten. Einige Laubbäume waren punktuell bereits herbstlich eingefärbt, als ob da Farbtests für die flächendeckende Umfärbung veranstaltet würden. Die Temperatur bewegte sich um 16 °C, ideal für einen Spaziergang im Freien – nicht zu kalt, nicht zu warm. Und wir trafen auf dieser an sich unspektakulären Strecke überraschend viele Gleichgesinnte, welche diese friedliche Landschaft ebenfalls genossen, hier gewiss Distanz zum Alltag gewonnen und das Gleichgewicht gefunden haben, wie es für die Zeit um die Tag-und-Nacht-Gleiche typisch ist.
 
Unsere kleine Wanderung begann auf der Staffelegg-Passhöhe (621 m ü. M.), zwischen Küttigen und Densbüren (Bezirk Aarau). Wenige Meter unterhalb (südlich) der Passhöhe zweigt ein asphaltiertes Strässchen nach rechts (Westen) zum Herzberg (Haus für Bildung und Begegnung) ab, das zugleich das erste Stück des gut und gelb ausgeschilderten Wanderwegs ist. Es führt an einem silobewehrten Aargauer Normtyp-Bauernbetrieb vorbei, neben dem eine Single-Kuh mit regelrechten Hörnern die Herbstsonne in Ruhestellung genoss. Ein romantisches Waldsträsschen über ausgewaschene Wurzeln alter Buchen führt hinauf zum Herzberg; das Wort bezeichnet nicht nur das Bildungshaus, sondern auch eine Hügelkuppe (750,7 Höhenmeter). Bald wird auch der Blick zur oben fast horizontal abgetragenen und seitlich abgeschrägten Wasserflue mit dem Sendemast frei, unter der sich das Bänkerjoch befindet. Das ist einer der markantesten Gipfel der 1. Aargauer Jurakette.
 
Wir befanden uns beim Herzberghof, der seit 22 Jahren biologisch-dynamisch geführt wird, auch als Ferienhaus dient und neben dem ein farbenfroher Blumen- und Gemüsegarten angelegt ist. Ein Hühnerhaus auf Rädern schien voll belegt zu sein; ein Hahn schaute vor dem Eingang zum Rechten, wie es sich für das männliche Geschlecht gehört. Dieser Landwirtschaftsbetrieb liegt 3 Minuten vom Seminar- und Tagungszentrum Herzberg entfernt.
 
Hier hätten wir bereits die Hälfte der Wegstrecke zwischen Staffelegg und Bänkerjoch zurückgelegt (nach beiden Seiten sind es 20 Minuten), wenn uns das nicht doch etwas allzu einfach gewesen wäre; das reichte nicht aus, um unseren Bewegungsdrang zu stillen. Wir wählten also, um mehr für unsere Beine und den Kreislauf zu tun, den Umweg um und über den Asperstrihen (25 Minuten, plus 15 Minuten zum Bänkerjoch = total 40 Minuten). Wir brauchen zwar immer wesentlich länger als auf den Wegweisern angegeben ist. Naturäusserungen wie momentan die vielen Pilze – besonders stramm standen die Schopftintlinge am Wege –, aber auch Pflanzen und der Blick in die Ferne, wo er nicht durch belaubte Bäume verstellt ist, halten uns immer wieder hin.
 
Wir folgten also dem mit einem Fahrverbot für Motorfahrzeuge belegten ASPERSTRIEWEG, wie auf einer geschnitzten Holztafel hinter dem Herzberghof steht, und wir liessen uns von einer Orientierungstafel über die „Hecken – schmale Gehölzstreifen mit grosser Ausstrahlung“ ins Bild setzen. Sie bestehen in diesem Gebiet vor allem aus Weissdorn, Schwarzdorn mit den essbaren Beeren, verschiedenen Schneeballarten und Heckenrosen; auch ein prächtiger Pfaffenhütchenstrauch erfreute uns. Hecken sind oft die letzten Refugien für die rote Waldnelke und den wilden Dost. Von diesen Hecken, die manchmal durch Ast- und Steinhaufen aufgewertet sind, profitieren vor allem Vögel, aber auch Marder, Wiesel und andere Säugetiere, Amphibien, Reptilien und Insekten. Es sind also richtige Lebhäge, wie man ihnen einst sagte (CH-mundartlich: Läbhag).
 
Solchen Hecken begegnet der Wanderer im Asperstrihengebiet in der Folge häufig, aber auch nachgedunkelten Holzlagern, die auf Abnehmer warten. Fast wie ein pubertierendes Passsträsschen windet sich der Asperstrieweg durch ausgedehnte, abgeschrägte Weideflächen neben Hecken zuerst am Fusse des Mittlisbergs (748 M) vorbei zum Asperstrihen (838 m) hinauf, ein Mergelsträsschen, auf dem die Bibernelle und sogar der Spitzwegerich wächst. In den Wiesen blühte zwischen Klee und Löwenzahn die Herbstzeitlose, die ohne Blätter auskommt, eine Krokusart, die an Safran erinnerte und in uns den Entschluss reifen liess, nach der Heimkehr ein Risotto Milanese (Safran-Risotto) nach allen Regeln der Kunst zuzubereiten, allerdings ohne Herbstzeitlosen, die schon ausgerottet und gegessen wären, würden sie sich nicht mit einem selbst produzierten Gift (Colchicin) schützen und sich so über die Runden bringen.
 
Der Asperstrihen-Höhepunkt öffnet die Aussicht zur nahen Wasserflue (843 m). Zwischen jungen und alten Buchen ist ein Bänklein montiert, und davor wurde ein Eisenhag angebracht, denn es geht ziemlich steil hinunter zum Gebiet Eich, nahe beim Bänkerjoch. Der Kalkstein ist ausserordentlich brüchig, wie man an einer Schutthalde nach Beginn des Abstiegs ablesen kann. Nach einem kurzen Abstieg durch den Wald erreicht man nach wenigen Minuten das Bänkerjoch (Postautohaltestelle), oberhalb von Erlinsbach bzw. Oberhof/Wölflinswil. Von hier aus dauert die Wanderung hinauf auf die Wasserflue 1 Stunde, wie der Verein Aargauer Wanderwege beschlossen hat und auf einem Wegweiser kund tut.
 
Der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, dass es nördlich des Asperstrihens auch noch den Strihen (Punkt 866,7, zwischen Densbüren und Oberhof) gibt, ebenfalls ein Aussichtspunkt, der von hier aus in 50 Minuten (Wanderwegweiser-Angabe) zu erreichen ist.
 
Wir wählten den Rückweg, vorerst zum Herzberg, der in 20 Minuten locker zu erreichen ist. Fast waagrecht und geradlinig verläuft das Strässchen durch den Buchenwald mit den silbernen Stämmen und Ästen, umgeben vom hellen Grün des Laubs, in den die Sonne nur punktuell einzudringen vermochte.
 
Fritz Wartenweilers Werk
Vor den Herzbergbauten, wo zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt werden, liessen wir uns von der Willkommenstafel zu einer Einkehr verlocken. Vor Jahrzehnten hatten Eva und ich dort an einem zweitägigen Volkstanzkurs teilgenommen, der uns in schöner Erinnerung geblieben ist. Seither bin ich in der Lage, beim Seitwärtsgehen den einen oder anderen Fuss bzw. ein ganzes Bein vor oder hinter dem anderen vorbeizuschlaufen, je nach Volksbrauch, ohne zu stolpern.
 
An der Rezeption trafen wir Margrit Bühler, welche den Herzberg seit 8 Jahren erfolgreich leitet; sie ist Nachfolgerin von Helga und Sammi Wieser. Ich kenne Margrit Bühler aus meiner journalistischen Vergangenheit; sie hat verschiedene Sachbücher verfasst, so beispielsweise „Natürlich einmachen“, über „5000 Jahre Tee“, „Umweltbewusst haushalten“ usf. Ihr vor rund 2 Jahren verstorbener, ehemaliger Mann Rolf Bühler schrieb das Buch übers Eisenbergwerk Herznach, ein Kulturdokument. Wir pflegten früher freundschaftliche Beziehungen, und entsprechend hat mich diese Wiederbegegnung nach vielen Jahren gefreut.
 
Dass der Herzberg gut geführt ist, erkannten wir allein schon in der Selbstbedienungs-Cafeteria, wo wir Demeter-Getränke (wie den bio-dynamischen Apfel-Mango-Saft von Beutelsbacher) fanden, die für nur 3 CHF abgegeben werden, sehr anständig. Das Warmwasser wird mit Sonnenkollektoren erzeugt. Die Jahreszeiten-Küche wird nach den ökologischen Prinzipien des Vollwertigen geführt; das Fleisch stammt aus artgerechter Tierhaltung, falls sich ein Gast nicht mit dem Vegetarismus anfreunden kann.
 
Der Herzberg markiert auch baulich eine Erfolgsgeschichte: Das ursprüngliche Haus wurde immer wieder durch seitliche Anbauten verlängert, insbesondere 1969/72. Das Bildungsheim, politisch und konfessionell unabhängig, das seit 1967 von einer Stiftung mit rund 300 Mitgliedern getragen wird, wurde 1936 nach dem Vorbild der dänischen Volkshochschulen von Fritz Wartenweiler (1889‒1985) gegründet. Mit seinem Rucksack reiste der Oberthurgauer überall umher, um als „Missionar der humanen Vernunft“ sein Wissen unters Volk zu bringen. Er las und schrieb viel, publizierte zahlreiche Bücher. Ich habe mich in einige davon vertieft. Er schrieb wie er sprach, vielleicht etwas chaotisch, aber immer anregend, unterhaltsam, lehrreich. Er war sehr auf Ganzheitlichkeit bedacht, und ohne ein gewisses Ausufern ist das nun einmal nicht möglich. Er predigte zudem Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Bei der Ankündigung eines Wartenweiler-Vortrags soll ein Soldat während des 2. Weltkriegs gefragt haben: „Ist das der, bei dem man nicht einschlafen muss?“ Ja, er war es.
 
Wartenweiler soll laut seinem Biografen Alfred A. Häsler einmal gesagt haben, er habe leider nicht erreicht, was ihm als Volksbildungsziel vorschwebte. Begreiflich. Ein Einzelner ist damit zweifellos überfordert. Aber der Wanderprediger Wartenweiler hat es versucht, seinen Beitrag geleistet. Und sein Einsatz wäre heutzutage nötiger denn je, wo die Volksverdummung die Volksbildung überlagert, in den Hintergrund verdrängt hat.
 
Unser bescheidener gestecktes Ziel aber haben wir mit unserem Sonntagsspaziergang während 2 Wegstunden immerhin erreicht: Erholung und Erbauung in einer Hügellandschaft zu finden, die nach den Zeiten der Aufwallung vor 200 bis 145 Millionen Jahren sanft modelliert worden ist und wo Bildungsbeflissene Anregungen finden können.
 
Hinweise
Der Herzberg im Internet: www.herzberg.org
Rund um den Herzberg gibt es einen „NaturBuurKultur“-Weg.
 
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