Textatelier
BLOG vom: 19.07.2008

Wenn alte Esel Schmetterlingen Pflanzen vorenthalten

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Schmetterlingszeit. Im Sommer gaukeln Schmetterlinge von Blume zu Blume. Schmetterlinge sind eine Augenweide – fliegende Blüten. In der Schweiz werden sie auch Sommervögel genannt.
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Leute in England klagen, dass Schmetterlinge rar geworden seien. Dem Schmetterling fehlen in der vereinheitlichten Welt die Sommerwiesen und die Moore. In seiner Einfalt zerstört der Mensch die Natur. Wilhelm Busch hat in seinem Schmetterlingsgedicht den wunden Punkt so getroffen:
Sie war ein Blümlein hübsch und fein,
Hell aufgeblüht im Sonnenschein.
Er war ein junger Schmetterling,
Der selig an der Blume hing.
Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm
Und nascht und säuselt da herum.
Oft kroch ein Käfer kribbelkrab
Am hübschen Blümlein auf und ab.
Ach Gott, wie das dem Schmetterling
So schmerzlich durch die Seele ging.
Doch was am meisten ihn entsetzt,
Das Allerschlimmste kam zuletzt
Ein alter Esel frass die ganze
Von ihm so heiss geliebte Pflanze.
Viele Schmetterlingsarten – es gibt ihrer rund 4000 in Europa – sind auf gewisse Pflanzen angewiesen. Dem Fachmann sind sie folglich „Bioindikatoren“ und verweisen auf den Verlust der Lebensräume für Schmetterlinge: Die von ihnen bevorzugten Pflanzen fehlen mehr und mehr. Sie darben und sterben aus.
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Früher gab es in den Vorstadtgärten viele Arten von Pflanzen, die Schmetterlinge anlockten. Heute liefern die Gartenzentren ein dezimiertes Angebot. Dieses Angebot wechselt von Jahr zu Jahr und ist der Mode unterworfen. Die Wahl und die Farben der Blumen und Sträucher werden willkürlich aufeinander abgestimmt. Vor wenigen Wochen pflanzte der Gärtner im grossen Garten des Nachbars riesige Blumenbeete voller Veilchen nach vorprogrammiertem Farbmuster. Das vertreibt die Schmetterlinge – vielleicht sogar auch die Schnecken – und mich auch.
 
In meinem eher naturbelassenen Garten gedeihen selbst zwischen den Salatköpfen und Radieschen viele wilde Veilchen und andere Feld- und Wiesenblumen. Ein guter Vogel muss mir die Kornblume zugetragen haben. Der Löwenzahn und die Distel können auf die Zubringerdienste der Vögel verzichten. Der Wind verbreitet ihre Samen in alle Richtungen. Hummeln brummen und bummeln dort vergnügt von einer Blüte zur anderen.
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An einem sonnigen Tag verweilte lange ein bunt betupfter Sommervogel mit auseinander gefalteten Flügeln bei mir zu Gast und liess sich von mir nicht stören, als ich ihn fotografierte. Unter www.schmetterling-raupe.de sind viele Prachtexemplare von Schmetterlingen abgebildet.
 
Nichts gegen die Fotojagd, doch ich finde es abscheulich, Schmetterlinge mit dem Netz zu jagen, nur um sie mit einer Stecknadel auf einem Brett zu erstechen.
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Die weise Natur hat es so eingerichtet, dass die Farbenpracht der Schmetterlinge nicht nur dazu da ist, unsere Augen und das Herz zu erquicken, sondern ihnen als Abschreckfarben dient, um ihnen Feinde vom Leib zu halten: „Vorsicht, ich bin giftig!“ Viele tragen „böse Augen“ wie etwa das Pfauenauge, welche die Vögel abschrecken. Dank des Zick-Zack-Flugs kann selbst das flinke Rotkehlchen die Schmetterlinge kaum haschen. So ein Schmetterling möchte ich sein …
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Der Schmetterling ist ein Meister der Metamorphose – und das Stadium der Verpuppung im Seidengespinst des Kokons ist sein Höhepunkt. Gedanken und Einfälle sind für mich eine immerwährende Metamorphose, soweit sie sich von Worten fassen lassen.
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Der Ameisen-Bläuling ist für sein Winterquartier auf die Ameisen angewiesen. Die Raupe wird von den Ameisen aufgelesen und ins Nest gebracht. Dort frisst sie die Ameisenbrut, aber beschenkt ihre Wirte mit einem Sekret, das sie schätzen. Fehlen die Ameisen, verschwinden die Bläulinge.
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Der Matterhornbär – wie auch der Gletscherfalter – leben in den Alpen bis zu 3000 Meter ü. M. Noch erstaunlicher: Schmetterlinge sind Langstreckenflieger. Verdorren im Süden die Matten, fliegen sie nordwärts, sogar über die Alpen, wo die Wiesen ihnen mit Nektar aufwarten.
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Dem Schmetterlingsei entspringt die gefrässige Raupe. Ihre Farbe ist entweder aufs Blattgrün oder auf die Rindenfarbe des Geästs abgestimmt. Wer die Schmetterlinge schätzt, muss die Raupen leben lassen, selbst wenn sie sich in Rosen einnisten.
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Dieses Gedicht hat Rainer Maria Rilke im Kirchhof von Bad Ragaz verfasst:
„Ich sehe dich, Rose, halbgeöffnetes Buch, es enthält Seiten genug, das Glück zu beschreiben, und niemand wird sie entziffern. Zauber-Buch öffnet sich dem Wind und dem, der es versucht mit geschlossenen Augen zu lesen ... und Schmetterlingen, die verwirrt entgleiten, weil sie schon Gedanken mit ihm teilten.“
 
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