Textatelier
BLOG vom: 11.07.2008

In England muss der Gürtel enger geschnallt werden

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
In England ist das Stichwort Rezession ins Vokabular der Presse eingedrungen, vorderhand als „milde Rezession“ eingestuft. Die Kaufkraft des englischen Pfunds hat Schwindsucht. Der Einkaufskorb verteuert sich fortwährend, ebenso das Benzin, das Gas und die Elektrizität. Einfach alles. Ansteigende Hypothekarzinse drücken hart auf den Geldbeutel. Das Kreditkonto vieler Leute ist überzogen. „Schulden“ heisst der Nachlass aus der guten Zeit, der jetzt in der Erinnerung verblasst, nicht so die ungetilgten Schulden. Der Pleitegeier schwingt sich hoch. Wohnstätten werden von den angeschlagenen Banken enteignet.
 
Alles in allem treffen die wirtschaftlichen Kalamitäten den Engländer besonders hart. Arbeitsplätze in der City und im Baugewerbe werden abgebaut. Die Beschäftigten müssen länger und härter arbeiten und Lücken füllen, einzig um ihre Stellen zu behaupten. Nur die Parlamentarier schmatzen nach wie vor im Futtertrog der Nation, sichern sich unverschämt Zuschüsse aller Art und frisieren vielleicht ihre Spesenabrechnungen. Gordon Brown, der Landeshäuptling, wird diesen Monat in der lokalen Wahl (East Glasgow) wiederum eins auf die Nase kriegen. Seine Stellung ist bedroht. Wie er sich gebrüstet hatte, als alles gut ging! Das verdankt die Nation nicht ihm, sondern der Hochkonjunktur.
 
Im englischen Haushalt werde viel zu viel Nahrung vergeudet, stellt der Premier Gordon Brown fest und untermauert seine Aussage statistisch: 4 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr oder £ 420 jährlich pro Haushalt. Wie viel Staatsmittel vergeudet werden, darüber liegen keine Zahlen vor. Die überbordenden Ausgaben für die Olympiade sind immerhin ein aufschlussreicher Anhaltspunkt. Soeben genoss der Premier (wohl) seinen letzten Theaterauftritt an der G8-Gipfelkonferenz, die einem weiteren Fiasko zutrieb. Die Festtafel war dort reichlich beschickt, wie aus dem Fernsehen ersichtlich ist. Hinter jedem Staatsoberhaupt standen 2 Kellner mit Tranksame einsatzbereit. Diese Komödie „à la Charlie Chaplin“ sollte verfilmt werden. Wer schreibt das Drehbuch dazu?
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In England dauerte der Notstand nach dem 2. Weltkrieg an: Bis Anfang 1950 wurde der Konsum auf Rationen beschränkt. Heute ist es bald wieder soweit, weil sich die Preise für die Grundnahrungsmittel wie Mehl, Brot, Reis, Milch, Eier und Gemüse usf. überproportional verteuert haben. Die armen Bevölkerungsschichten werden davon – wie immer – am härtesten betroffen. Hinzu kommt das teure Trinkwasser in Flaschen (Bier ist billiger …).
 
Aber mehr und mehr Engländer machen aus der Not eine Tugend. Das ist ihre Stärke. Sie sind grundsätzlich findig und wissen sich zu helfen. Kochrezepte aus der Kriegszeit werden veröffentlicht und decken auf, was man nicht alles aus Speiseresten machen kann. Die Schrebergärten erleben eine Renaissance. Die Blumentöpfe auf den Fenstersimsen weichen solchen mit Petersilie und anderen Kräutern. Im „Chicken Igloo“ werden Leghennen im Hintergarten gehalten. „Car sharing“ und Tauschhandel sind wieder im Aufschwung. Das Wasser aus der Leitung wird filtriert. Das Bad zu Zweit, wenn nicht gar zu Dritt, erspart Warmwasser und soll Spass machen – ausser mir, der die Wanne nicht teilen will und die Dusche vorzieht. Der Verkaufstrick „buy one get one free“ wird vom schlauen Konsumenten durchschaut. Die alte Gewohnheit, eine Einkaufsliste vorzubereiten – und besonders wichtig, sich daran zu halten, statt sich von Sonderangeboten bezirzen zu lassen – kommt dem Sparwillen entgegen. Frisches Obst und Gemüse werdend preiswert auf den „Farmers Markets“ gekauft. Der Umsatz von schwankend definierten „organischen Produkten“ fällt.
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Ich selbst bewunderte vor wenigen Wochen auf dem Berner Altstadtmarkt das leckere Angebot und hätte gerne frische Pilze gekauft, doch ich war schon mit einer Mappe voller Papiere belastet. Immerhin deckte ich mich auf dem Basler „Märt“ vor dem Rückflug mit allerlei Bündner Spezialitäten ein. Diese Impulskäufe rechtfertigte ich, indem ich an einem Marktstand, statt im Restaurant gegenüber, eine Bratwurst mit Brot und Senf verzehrte. Nur auf den Kaffee nachher, zum überrissenen Preis (CHF 4.50 mit Trinkgeld), wollte ich nicht verzichten. Zuvor hatte ich auf dem Ramschmarkt beim Barfüsserplatz ein kleines Silberschälchen gekauft – als Geschenk, selbst für mich durchaus gerechtfertigt. Längst nicht alles, was ich heimbringe, löst bei meiner Gemahlin eitel Freude aus. Doch dieses Silberschälchen freute sie. Ich werde auf etwas anderes verzichten müssen, um diese Ausgabe wettzumachen. So weit mein Vorsatz.
 
Heute Abend gibt es bei uns ein bescheidenes „Dîner fédéral“ ohne Abstrich an Gaumenfreuden.
 
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