Textatelier
BLOG vom: 04.05.2008

La Côte (03): Die Rolle von Rolle, Gilly, Duillier im Waadtland

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Als Herz der Region La Côte am Genfersee wird das Städtchen Rolle VD bezeichnet, das zum Distrikt Nyon gehört. Somit gehörte es zu unserer La-Côte-Exkursion. Ein Überblick über dieses kleine Städtchen mit den rund 4800 Einwohnern ist leicht zu gewinnen, da die Ortschaft praktisch nur aus der Grand Rue und der in der westlichen Ortshälfte parallel verlaufenden Rue du Nord besteht. Zur Gemeinde gehören allerdings auch Villenquartiere und Weingüter am Fusse des Rebhangs (Mont-sur-Rolle).
 
Rolle
Rolle ist ein Strassendorf aus zusammengebauten, spätmittelalterlichen Häusern mit farbigen, quer geriffelten Fensterläden, wie sie für die Westschweiz typisch sind. Die Dachschrägen, auf denen viele Kamine stehen, sind der Strasse zugewandt. Reklameschilder (wie „Churchill Pub“), Sonnenstoren, Verkehrssignale und beidseits der Hauptstrasse parkierte Autos beleben das filigrane Bild mit dem welschen beziehungsweise französischen Charme, das, von der Perspektive komprimiert, zum tachistischen Gemälde wird.
 
Die Stadt Rolle wurde 1318 sozusagen als Supplement zur Burg gegründet. Die Burg- bzw. Schlossanlage steht am Seeufer, einem flachen Uferrandstreifen, der als Erholungszone beste Dienste leistet und offensichtlich gern genützt wird. Als wir am 26. April 2008 dort flanierten, fotografierte sich eine muntere Hochzeitsgesellschaft gegenseitig. Sie bestand aus buntfarbig gekleideten, kräftig gebauten Afrikanerinnen auf hohen Stöckelschuhen und etwas müde wirkenden, männlichen und blassen Schweizern. In Erinnerungsbilder wurden die Landschaft der Waadtländer Côte oder das Mauergeviert und die unterschiedlich geformten Ecktürme (kreisrund und viereckig) der nahen Burg einbezogen. Zwischen den Türmen aus quaderförmig gehauenen Bruchsteinen verläuft die Ringmauer geradlinig, woraus sich annähernd ein „Carré savoyard“ (ein Viereckgrundriss mit 4 Ecktürmen nach Savoyer Art) ergab. Die Gegend trieft vor Geschichte und leistet als schöne Kulisse beste Dienste.
 
Die Erklärung für die architektonischen Besonderheiten dieser Burg („Castrum Rotuli“) am Osteingang der kleinen Stadt Rolle liegt weitgehend im Dunkeln. Sie war eine Gründung des Hauses Savoyen, wurde vor 1291 von der Familie Aymo von Sallenove (Sallanova) bewohnt und im 15. Jahrhundert auf Veranlassung der Familie de Viry umgebaut. 1530 und 1536 randalierten hier die Berner, zerstörten vieles. 1558 erwarb der reiche Berner Patrizier Johannes Steiger das Schloss am See, worauf er es wieder umbaute. Das Gebäude blieb bis 1798 im Besitze der Familie Steiger, deren Wappen noch heute die hofseitige Fassade ziert. Im frühen 19. Jahrhundert kaufte die Gemeinde Rolle die Anlage und richtete darin die Verwaltung sowie ein Gefängnis ein und stellte weitere Räume für Ausstellungszwecke zu Verfügung.
 
In kurzer Distanz zum Ufer grüsst die zu Beginn des 19. Jahrhunderts künstlich angelegte Insel Ile de la Harpe. Sie wurde zum Schutze des Hafens angelegt. Inzwischen gehören hohe Bäume zu ihren ständigen Bewohnern, ebenso seit 1844 der Denkmal-Obelisk für den in Rolle geborenen Fréderic-César de la Harpe (1754‒1838), welcher auch Laharpe genannt wurde. Er begründete den Kanton Waadt mit und war inoffizieller Anwalt der Schweiz am Wiener Kongress. Die Reliefmedaillons steuerte James Pradier bei. Dem Herrn Laharpe gilt meine besondere Sympathie, zumal ich ein stolzer Bewohner des Aargaus bin: Er hat den Zaren Alexander I. nämlich dazu überredet, die vom mächtigen Bern vorgesehene Wiederherstellung des alten Untertanenverhältnisses der Waadt und des Aargaus nicht zuzulassen. Wir Aargauer konnten die Unterwürfigkeit gegen Selbstbewusstsein einzutauschen beginnen. Der Prozess dürfte demnächst abgeschlossen sein.
 
Tafelfreuden in Gilly
Von Geschichtswissen als Futter für den Geist allein kann man sich nicht ernähren. Wir hatten uns an diesem Tag nur fliegend ernährt – und das sozusagen innerhalb der burgenreichen Hochburg des festlichen Tafelns. Solche Zustände sind unhaltbar.
 
Am östlichen Dorfausgang von Rolle ist das Tourismusbüro. Dort betraute ich die kundige Angestellte mit der delikaten Aufgabe, mir bitte in der Region ein gutes Restaurant mit einer gepflegten, regionstypischen und saisonalen Küche zu nennen. Die gereifte Dame erledigte diesen Auftrag mit Bravour, liess gedanklich eine ganze Reihe vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehen. Aus voller Überzeugung nannte sie die „Auberge Communale à L’Union“ im nahen Gilly (www.aubergegilly.ch).
 
Wir fuhren voller Vertrauen und Zuversicht gegen 19 Uhr ins behäbige Weinbauerndorf Gilly mit seinen vielen spät- und nachgotischen Häusern sowie der riesigen Weinpresse im Dorfzentrum, die zu den Weinbauernhäusern in der Umgebung passt. Die Gemeinde gehört seit 1798 zum Bezirk Rolle. Ich studierte eine Orientierungstafel „Gilly et ses vignobles“, auf welcher neben einem Ortsplan 19 Winzer aufgelistet sind. Der Ortsname wird von Wikipedia auf den gallorömischen Vornamen Gillius zurückgeführt, und meine gesamte Römer-Bibliothek schweigt sich darüber aus, was das heissen könnte.
 
Die Auberge (Herberge) ist ein gepflegter 2-stöckiger, klassizistischer Bau mit einem schlichten Satteldach, ein typischer Landgasthof. Da schien alles zu stimmen. Wir traten ein, wurden vom Chef freundlich begrüsst und gefragt, ob wir reserviert hätten. Nein, das hatte ich wieder einmal unterlassen, obschon ich ja wissen musste, dass die guten Gastrotempel in der Westschweiz meistens ausgebucht sind, weil das gepflegte Geniessen im Restaurant zum dort verbreiteten Lebensstil gehört. Doch das Glück war diesmal auf unserer Seite. Wir wurden in den Speiseraum geführt, der in Altgold und zartem Rosarot gehalten ist, und erhielten die beiden letzten noch freien Plätze bei einem Fenster mit Blick zum Dorfplatz zugewiesen.
 
Zinnteller, Gläser, Besteck, Blumenschmuck und eine tropfenförmige, gläserne Öllampe mit rosafarbenem Öl standen bereit; ein gertenschlanker Kellner mit grauem Gilet, kurz geschnittenem schwarzem Haar, schwarzem Kragen, schwarzer Krawatte und weissem Hemd eilte mit einem Feuerzeug und der Speisekarte herbei. Wir studierten das Angebot und entschieden uns für die Speisenfolge „Notre Menu Passion Gourmand“. Die Familie Volery bot die 4 Gänge für 68 CHF an. Dazu bestellte ich einen auch farblich passenden Rosé, einen Oeil de Perdrix aus der Blauburgundertraube; dieses flüssige Rebhuhnauge (2007) stammt aus dem Hause Jean Jacques Steiner in Dully VD.
 
Die Spargelcrèmesuppe mit etwas Entenleber, Gewürzkräutern und vereinzelten roten Johannisbeeren wurde bald  in einem Teller mit einer ausgeprägten runden Vertiefung aufgetragen, und man hoffte, dass der Grund noch lange nicht erreicht sein würde. Dieser köstliche Auftakt regte den Appetit zusätzlich an, obschon dafür keine Notwendigkeit bestand. Das Fischgericht mit Sesamkörnchen, Steinpilzen, wenig Curry-Rahm-Mousse imponierte mir wegen der Sauce, die ich fleissig mit Brot auftunkte; der Meeresfisch hatte einen etwas zu prägnanten Hautgoût, wie man in der Wildsprache sagen würde, war also nicht mehr ganz frisch, aber doch noch im erträglichen Rahmen.
 
Ein köstliches Vergnügen bereitete die entbeinte und gefüllte Wachtel (Désossée de caille farcie Landaise) mit Portweinsauce zu gebratenen Kartoffeln mit Thymian. Selbstredend kann man sich fragen, ob man den Wachteln so etwas antun darf – aber im Welschland liegt die Antwort auf der Hand bzw. im Teller.
 
Im Restaurant hatten sich Jung und Alt, manchmal zu Zweit, manchmal im Familienverband eingefunden. Der akustische Rahmen, das Schmatzen und das bewusste Geniessen des Weins sowie der Speisefolgen waren herrlich, anregend. Ja, so muss es hier sein. Das gehört zur Westschweiz, hinter dem Röstigraben, wo es auch Gutes gibt.
 
Das Dessert, das in einem sich nach oben ausweitenden Glas mit Stiel serviert wurde, bestand aus einer Komposition aus Erdbeeren, Rhabarber, Vanille-Tiramisu – erfrischend, ein guter Schlusspunkt. Wir lobten den Abend und das gütige Geschick, das uns hierher geführt hatte.
 
Übernachten in Duillier
Dann chauffierte uns Eva nach Duillier, wo ich im Hotel L’Etoile ein Mansardenzimmer mit Seeblick reserviert hatte (160 CHF für 2 Personen, inkl. einfaches Frühstück). Aus dem Zimmerfenster konnte ich gleich zum Schloss schauen, eine grosse Dreiflügelanlage mit südlichen Ecktürmen, wie unsere Herberge mitten in den Reben auf nur schwach abfallendem Gelände gelegen. Der Westbau des Schlosskomplexes mit einem Wohngeschoss weist 17 Fenster auf; in der Südwestecke ist ein hexagonaler Turm mit Wendeltreppe angebaut. Der Hauptteil der Anlage, die einst eine Druckerei in sich barg und nun rebbaulichen Zwecken dient, stammt aus dem 16. bis 17. Jahrhundert. Was für Texte darin Jean-Baptiste Fatio nach 1678 gedruckt hat, würde mich schon interessieren.
 
Man fährt wie in einem Halbrund durch das Dörfchen mit den Weinbauernhäusern neben schmalen Strassen und geniesst die Ruhe hier in der Nähe von Changins (einem zum Ort Duillier gehörenden Weiler, wo sich die Eidgenössische Landwirtschaftliche Forschungsanstalt = Station fédérale de recherches agronomiques de Changins RAC) niedergelassen hat. Etwas erschrocken war ich bei der Hinfahrt wegen des Antennenwaldes auf dem Gemeindegebiet von Prangins kurz vor Duillier, wo im offenen Feld neben einer Hochspannungsleitung die Sendeanlage des Schweizer Zeitzeichensenders HBG steht. Dessen Hauptmerkmal sind die 2 frei stehenden, geerdeten Stahlfachwerktürme von je 125 m Höhe, die 1966 errichtet worden sind. Diese 75-kHZ-Sendeanlage umfasst weitere niedrige Antennen, die wie riesige, abgeschrägte Kämme oder Himmelsrechen aussehen, und auch ein Funkfeuer. Der Langwellensender gehört zum Bundesamt für Meteorologie und dient dem Zeitübertragungsdienst zur Synchronisation der Funkuhren; neben der Tageszeit wird auch das Datum gefunkt. Eine strahlende Kalenderuhr.
 
Ich bekenne hier in aller Offenheit, kein begeisterter Freund des Elektrosmogs zu sein; immerhin blieben die Prius- und Nikon-Elektronik intakt. Und bemerkenswerterweise schliefen wir ganz in der Nähe recht gut und erwachten morgens punkt 6.50 Uhr, wie wir es uns vorgenommen hatten. Ob unsere innere Uhr die digitalen Zeitzeichen aufgespürt hatte, weiss ich nicht. Doch Prangis, nahe bei Duillier und fast mit Nyon zusammengewachsen, vermittelt nicht nur Zeitimpulse von der Rundstrahlantenne aus, sondern dort sind beim bürgerlichen Schloss auch Setzlinge für den Gemüse- und Kräutergarten zu haben. Der Verkauf fand am 26.04.2008 statt.
 
Dieser verdient ein spezielles, folgendes Blog.
 
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