Textatelier
BLOG vom: 03.05.2008

La Côte (02): Porzellan im frisch polierten Schloss Nyon VD

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Fotos von 2 geharnischten Rittern begrüssen den Besucher des Schlosses Nyon, das von Oktober 1999 bis Mai 2006 umgebaut, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und zum Lokalmuseum geworden ist. Der Eintritt ist frei, fotografieren erlaubt – man fühlt sich in diesem Bauwerk aus dem 12. Jahrhundert sofort gut aufgehoben und daheim – mit Ausnahme beim Besuch der düstern Gefängnisetage an der Basis des Dachgeschosses. Das weitgehend im ursprünglichen Zustand belassene ehemalige Gefängnis des Verwaltungsdistrikts, zu dem anfänglich auch ein Folterraum gehörte, wurde erst 1979 geschlossen; die Graffiti der letzten, gelangweilten Gefangenen sind an den Wänden noch vorhanden. Ein Paar bis zum Zerfall ausgelatschter Schuhe zeigt die düstere Seite der „Guten alten Zeit“; wahrscheinlich könnte es einen ganzen Roman erzählen.
 
Aber auch im positiven Sinne berühmte Menschen verbrachten in diesem stolzen Schloss ihre Zeit, diesmal freiwillig, so etwa zwischen 1787 und 1789 der deutsche Dichter Friedrich von Matthisson, der Gast des letzten bernischen Landvogts, Karl Victor von Bonstetten, war. Fest etabliert war eine ganze Reihe von Schlossbesitzern: der Erzbischof von Besançon, die „Sires (Majestäten) de Prangins“, die Grafen von Savoyen und die mächtigen Berner. Die 4 Rundtürme waren eine Idee der Savoyer (sie gehörten standardmässig zu ihren Burgen), den zusätzlichen rechteckigen Turm liessen die Berner errichten.
 
Wie das Porzellan nach Nyon kam
Das zentrale Ereignis des Ortsmuseums im Schloss sind die Produkte aus der ehemals berühmten Porzellanmanufaktur Nyon (Porzellan und Steingut, Geschirr und figürliche Porzellanplastik), die, vom Berliner Jakob (Jacques) Dortu zusammen mit dem deutschen Keramiker Ferdinand Müller ins Leben gerufen, an der heutigen Rue de la Porcelaine (im Osten von Altstadt und Schloss) zwischen 1781 und 1813 in Betrieb war. Die Zürcher Manufaktur hatte ihren Betrieb bereits 1763 aufgenommen; dies waren im 18. Jahrhundert die beiden einzigen Porzellanmanufakturen in der Schweiz.
 
Die Roherde (Kaolin, auch „Porzellanerde“ genannt) für die Herstellung des Nyoner Porzellans fand sich zum Teil ganz in der Nähe, an der Rue Neuve, oder aber sie musste umständlich aus Saint-Yrieix-la-Perche bei Limoges F beschafft werden. Die Meisterwerke, die in Nyon während einer nur kurzen Blüte (32 Jahre) entstanden sind, lassen auf das Niveau des aristokratischen Lebensstils im günstigen Umfeld schliessen. Im nahen Frankreich war die Zeit des Absolutismus: Die Herrscher machten sich von der geistlichen Autorität des Papsttums unabhängig; die Macht und wohl auch die wertvollen Güter gingen vermehrt an den Staat und ihre Herrscher über, an den Monarchen und den Hofadel; die Untertanen hatten keine Mitbestimmung. Die Schweiz war eine Garantin der religiösen Freiheit, was ihr sehr zustatten kam, genau wie heute das Nicht-Eingebundensein in eine globalisierende Organisation wie die Europäische Union EU. Freiheit und Unabhängigkeit sind die stärksten Trümpfe.
 
Jakob Dortus Familie stammte aus Frankreich, war protestantisch, und sie sah sich gezwungen, nach Berlin auszuwandern. Dort wurde Jakob 1749 geboren. Er liess sich zwischen 1764 und 1767 in der Königlichen Manufaktur in Berlin zum Porzellanmaler ausbilden. Von 1773 bis 1777 lebte er in Marseille, wo er Kontakt mit dem Manufakturleiter Gaspard Robert hatte. Anschliessend lebte er noch 2 Jahre lang in Marieberg (Schweden), bevor er nach Nyon übersiedelte, wo er seine Fabrik gründete. Er beschäftigte vorwiegend aus Frankreich stammende Hugenotten, die für die Porzellanherstellung offenbar talentiert waren. Die chinesische Porzellanmalerei, die im 17. und 18. Jahrhundert ihre Blütezeit hatte, hatte eine Vorbildwirkung und lieferte viele Inspirationen auch hinsichtlich der Dekorationsmotive wie Blätter, Blüten, Tiere und Figuren. Für die Nyoner Kunstwerke der Fisch aus dem Ortswappen in verschiedenen Ausgestaltungen, in Unterglasurblau ausgeführt, als Markenzeichen.
 
Alltagsgegenstände
Laut dem Konservator des Nyoner Museums, Vincent Lieber, waren Gegenstände aus Porzellan in jedem Haushalt begehrt, auch die Berner Bürger (Citoyens) hielten viel davon. Jeder Gegenstand wurde mit Liebe, Sorgfalt, Kunstfertigkeit und Hingabe geschaffen, so etwa eine im Museum ausgestellte Teekanne von 1795 mit einem Liebespaar als (unbuntes) Grisaille-Dekorelement. Die älteren Exponate sind oft mit Blumensträussen verziert, eine wohl aus China via Marseille mitgebrachte Idee. Eindeutige chinesische Nachahmungen erkennt man an der Verwendung diverser „Famille rose“-Motiven aus der Zeit des Kaisers Qianlong (1736‒1795), als die Schmelzfarbenmalerei alles Bisherige übertraf, auch der Reinheit der Glasur wegen, womit es sich noch besser von der Emailtechnik (Cloisonné) abhob.
 
Typisch für das Nyoner Kunstschaffen sind die Werke im Stil von Ludwig XVI., dem Directoire oder Empirestil, wobei aber die charakteristische, eher der Schlichtheit zuneigende Lyoner Note nie fehlte. Oft blieben grosse Flächen unbemalt, damit die Transparenz des feinen Porzellans besser zur Geltung kam.
 
Der guten Nachfrage wegen liefen die Geschäfte mit den edlen Stücken erfreulich, auch der Export nach Norditalien und bis nach Sankt Petersburg trug zum Erfolg bei. Doch die Nachwirkungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege setzten dem Absatz des zerbrechlichen Weissen Golds aus Nyon zu, und 1813 musste die Manufaktur geschlossen werden. Zurück blieben grossartige Ausstellungsstücke. Dortu starb 1819 im nahen Carouge.
 
Das Schloss-Innenleben
Im 1. Stockwerk des Musée historique et des porcelaines haben solche repräsentative Stücke ihre adäquate Unterkunft gefunden: im Umfeld der Spuren der einstigen Bewohner und Nutzer des Schlosses, die auch mit Porträts und Fotos dokumentiert sind. Die Ausstellungsetage wurde früher als Wohnraum für den Vogt und dessen Familie und auch für offizielle Zwecke genutzt. Der grosse, seeseitige Raum wurde ab 1683 als „Bannerherrenzimmer“ (chambre des bannerets) und später als „Wappenzimmer“ (chambre des armoires) bezeichnet. Im 19. Jahrhundert wurden diese Räume vor allem als Gerichtssäle benützt.
 
Das Museum, welches 1888 in einem Teil des Erdgeschosses eingerichtet worden war, dehnte sich 1957 auf diese Etage aus. Das darüber liegende 2. Stockwerk war die vornehme Etage und diente der prunkvollen Repräsentation. Ab 1836 wurde sie als Gerichtslokal und für die Zwecke des Gemeinderats hergerichtet. Darüber befinden sich die eingangs erwähnte Gefängnisetage und der Dachstuhl, der über eine Galerie aus Stahl und Glas zugänglich ist. Etwa 55 000 Dachziegel bedecken die annähernd 1200 Quadratmeter grosse Dachfläche.
 
Jenseits des Fotografierbaren
Das Schloss Nyon ist nicht nur einfühlsam restauriert, sondern hervorragend ausgestaltet und belebt. Es lässt auch die Ortsgeschichte auferstehen. Zudem gibt es Wechselausstellungen; bis zum 24.09.2008 ist Yves Humber mit „au-delà de la photographie“ vertreten, also mit Fotos, die über die Fotografie hinausgehen, die jenseits der Fotografie sind. Und bei der Aussenwand hat der Lausanner Skulpteur Zaric seinen kopflosen Mann aufgestellt, der zu bemalten Schweine- und Hasenkopf-Trophäen aus Zement aufschauen würde, wenn sein eigenes Haupt noch vorhanden wäre und dies ermöglichte.
 
Mit vollem eigenem Kopf begaben wir uns via Schlossplatz in die mittelalterliche Kleinstadt zurück; wir brauchten also keinen Zeitsprung zu machen. Und dann stand noch ein Besuch des Seeuferquartiers (Quartier de Rive) an, wo der Cäsarturm aus dem 11. Jahrhundert an die ehemalige Festungsmauer erinnert. Er ist das älteste Bauwerk der Stadt. Das Berner Quartier zeichnet sich durch prachtvolle Balkone aus.
 
Exotische Bäume und Blumenrabatten bewirken am See und dem durch die Strasse davon getrennten Hangfuss eine Park-ähnliche Landschaft. Über dem Genfersee sind die Alpen von Frankreich vom Pic des Mémises über den Mont Ouzon, Mont Billiat, zum Mont Forchat, Roc d’Enfer, Haute pointe und bis zum Mont Blanc und dem Mont Joly aufgereiht, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
 
In der Seenähe begegnet man auch dem alten Wach- und Zollposten „La casquette“, so benannt wegen der Mützen-ähnlichen Dachform. Aber natürlich ersetzt noch so eine grosse Mütze keinen Kopf.
 
Quellen
Bobbink-de Wilde, Hilde: „Porcelaines de Nyon. Nyon Porcelain“, Christian Baillard, Genf.
Enlin, Yang: „Chinesische Porzellanmalerei im 17. und 18. Jahrhundert“, Klinkhardt & Biermann, München 1986.
Lieber, Vincent, Konservator des Historischen Museums Schloss Nyon: „Luxus für Republikaner“ in „Weltkunst“ 4-2007.
Musées de Nyon (Herausgeber): „Château de Nyon. Musée de Nyon 1888‒1988“.
Pelichet, Edgar: „Les charmantes Faïences de Nyon“, Editions de la Perchette, Nyon 1985.
Musée historique de Nyon: „Les Faïences de Nyon“, Nyon 1972.
 
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