Textatelier
BLOG vom: 05.09.2007

Mathon GR: Die letzten Farbtupfer auf meine Ferienberichte

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
 
Auf dem Heimweg,  von Lohn (Graubünden) herkommend, begann es zu regnen. In der Rinne am Strassenrand sammelte sich das Wasser. Es bildeten sich Luftblasen, die uns begleiteten. Es gab da ganze Blasen-Familien, die sich zusammenfanden, grosse und kleine Gruppen und auch Einzelgänger. Manche lösten sich schnell wieder auf, andere waren langlebig. Neben ihnen hergehend, wurde unser Heimweg zum Spiel.
 
So sehe ich heute die Ferientage an mir vorüberziehen und entschwinden. Letzte Gelegenheit also, wenn ich nochmals vom Erlebten erzählen will.
 
Thema Wasser: Das Bachdelta auf halbem Weg nach Wergenstein
Primo nannte den Zusammenfluss zweier Bäche so: Bachdelta. Ihre Namen kennen wir nicht. Es schien uns nur, dass sie sich auf ihrem allerersten Wegstück in die Welt hinaus befänden und sich noch mit vielen Bächen und Flüssen vereinigen werden.
 
In diesem archaischen Gerölldelta gefiel es uns ausnehmend gut. Wir schauten den Sturzfluten zu, wie sie über den Felsabbruch hinab donnerten und an den Gesteinsbrocken schliffen. Es zeigte sich manches Gesicht im Stein, als wir die Strukturen betrachteten. Viele Formen, viele Farben. Auch eine weinrote war dabei. Der eine Bach kam ruhig daher, locker über die mächtigen Gesteinsbrocken springend. Der andere zeigte sich wild. Nach ihrem Zusammenfluss verschwindet das Wasser wie in einem Trichter unter der Strasse und stürmt dann durch das bewaldete, tiefe Tobel dem Tal zu, wo es dann in den Hinterrhein einfliesst.
 
Thema Bewegungsfreiheit
Einmal, als Mena zeichnete, sagte sie ganz unvermittelt: „Die Wohnung in Paris interessiert mich nicht.“ Es war, als ob sie ihren Gedanken einen Riegel schieben wollte. Sie war jetzt in Mathon, und nichts sollte sie von hier ablenken. Als ich sie verwundert anschaute, sprach sie gar noch abschätzig über ihr Zuhause.
 
Das hat seinen Grund: In Paris muss sie einen Code eingeben, wenn sie die Haustür öffnen will. Und sie darf nie alleine das Haus verlassen. Ganz anders in Mathon. Hier war sie frei, sprang durch die Haustür hinaus und kam über 2 Ecken und den Sitzplatz wieder zurück. Der Ort ist von seiner Lage her geschützt. Die Grenzen, die ihr in Paris gesetzt sind, gab es hier nicht. Und auch in der modern eingerichteten Wohnung stand den Kindern ausreichend Raum zur Verfügung.
 
Post und Zeitung
Die Post von Mathon ist von Montag bis Freitag von 7.45 h bis 8.45 h offen. Und der aus Zürich umgeleitete „Tages-Anzeiger“ wurde uns schon um 9 Uhr vor die Haustür gelegt. Ein Service, der vielleicht nur in der Schweiz so perfekt funktioniert. Mena rannte dann hinaus und holte das Blatt für den Grossvater. Die papierene Zeitung war eine Entdeckung für sie. Ihre Eltern lesen ihre Zeitung nur im Internet. Jedesmal schauten wir zusammen die Wetterprognosen an. Die mit Sonne, Wolken, Regen und in entsprechenden Farben dargestellte Wetterentwicklung ist auch für ein 5-jähriges Kind verständlich und spannend. Vorlesen musste ich nur, was zu Paris geschrieben stand.
 
Das Postauto brachte auch die Lebensmittel aus dem Tal hinauf. Einmal pro Woche war eine grosse Anlieferung. Da konnten dem Bauch dieses Gefährts alle bestellten Waren, auch Gemüse und Früchte, entnommen werden. Es traf sich, dass ich diese Ankunft einmal miterlebte. Primo packte gleich zu und half beim Ausladen. In solchen Momenten fühlte ich mich den Menschen aus Mathon sehr nahe. Ich bewundere ihre innovative Art. Sie kennen den Wert ihrer Region und verstehen es, ihrer Jugend tragfähige Perspektiven zu vermitteln, ohne die Seele dieser einmaligen Region zu verkaufen. Ihr Internet-Auftritt  www.muntsulej.ch ist in diesem Sinne beeindruckend.
 
Restaurant „muntsulej
Für die Enkelkinder gehörten die Pommes frites, Glacékugeln und der Wirt, der für uns Musik auflegte, zu den Höhepunkten der Ferien. Mena sprach es in dieser Reihenfolge aus und ihre 1-jährige Schwester wippte seither jedesmal, wenn sie das Wort „Musik“ hörte. Ganz nach dem Motto von Franz Schweighofer „Kein Gast zu gross, kein Gast zu klein, um herzlich willkommen zu sein.“
 
Auch die Wirtin vom Gasthaus Orta in Lohn sei noch erwähnt. Einfühlsam gelang es ihr, Mena die Angst vor dem grossen Hund wegzunehmen.
 
Schlussbild
Noch immer rätsle ich, ob das, was ich gesehen habe, Wirklichkeit war oder ob ich ein inneres Bild geschaut habe.
 
An einem der letzten Ferientage hörte ich auf der Höhe der Post das Gebimmel einer Kuhglocke näherkommen. Ich wartete. Aus dem toten Winkel an der Strasse gegen Wergenstein sah ich einen Sennenhund daherkommen, gleich hinter ihm eine grosse, drahtige Frau mit gebändigtem Kraushaar, einen Stecken in der Hand, neben ihr die Kuh, die den Umzug eingeläutet hatte. Hinter ihnen kam ein Pferd, auf ihm sitzend eine schöne, junge Frau. Und dahinter trotteten, gleichmässig ausgerichtet, 2 Wollschweine nebeneinander her.
 
Ich starrte auf diesen Umzug. Die vorangehende Frau schaute auch mich an, und ich sagte: „Isch das ä schööns Bild!“ (Ist das ein schönes Bild.) Und sie stimmte mir zu: „Gälled Sie!“ (Schweizer Redensart, die Zustimmung bedeutet).
 
War es eine Sennerin, und sah ich hier einen kleinen Alpabzug? Diese Episode ist ein wundersamer Abschluss meiner Mathon-Ferien. Ich bedauere nur, dass ich dieser Gruppe nicht länger nachgeschaut habe. Jetzt weiss ich nicht, wohin sie ging, und darum bin ich unsicher, wie ich sie einordnen muss. Vergessen werde ich sie sicher nicht.
 
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