Textatelier
BLOG vom: 27.02.2007

Gesteinspfad Holderbank AG: Steinreich Schweiz im Kleinen

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Wahrscheinlich sind Reise- und Ausflugsbericht die journalistische Kür: Man kann zwar frei darüber entscheiden, was man weitergeben will, doch das Wesentliche muss darin enthalten sein. Die Beschreibung einer Landschaft setzt sich aus der geografischen Lage, den geologischen Voraussetzungen, Pflanzen, Tieren und den menschlichen Veränderungen und Errungenschaften (Kulturgeschichte) zusammen. Auch (religions-)geschichtliche und soziale Faktoren sind zu beachten. Der Beobachter hat ein vorgegebenes Bild vor sich und muss sich aber auch ins nicht mehr vorhandene Bild darüber versetzen, das heisst herausfinden, wie es früher war und daraus Erklärungen für das Bestehende zu finden suchen. Je detaillierter seine Kenntnisse in verschiedenen Fachgebieten sind, desto detailgenauer kann er Bericht erstatten. Da im Internet im Gegensatz zu den übrigen Medien praktisch unlimitiert Platz vorhanden ist, ergeben sich hier einzigartige Chancen im Hinblick auf eine umfangreiche, in die Einzelheiten gehende Beschreibung, die allerdings für den Autor und den Leser mit einem erhöhten Aufwand verbunden ist.
 
Ich bereite mich jeweils anhand von Karten und bestehenden Beschreibungen möglichst eingehend auf einen Ausflug vor (auch damit mir an Ort und Stelle nichts Wesentliches entgeht). Daran schliessen sich der lustvolle Feldeinsatz und die Aufarbeitung an. In der Regel brauche ich für die Vorbereitung und die Beschreibung eines Ausflugs wesentlich mehr Zeit als für die Reise selber. Doch alle Phasen sind gleichermassen spannende Entdeckungsreisen. Dabei erkenne ich immer wieder die Beschränkungen meines Wissens, obschon sich in den 50 Jahren journalistischer Tätigkeit einiges an Hintergrundwissen angesammelt hat, das mir immer wieder zugute kommt: Ich begegne Steinen, die ich nur ungenau bestimmen kann, sehe Pflanzen und Tiere wie Insekten und auch Vögel, deren Namen ich nicht kenne, beobachte Nutztierrassen und Nutzpflanzen, die mir fremd sind, und es macht mir immer wieder Mühe, Rebsorten zu bestimmen. Wenn ich eine Landschaft betrachte, sehe ich mich oft ausserstande, ohne Karte auch nur schon die relativ hervorstechenden Gipfel zu benennen. Und wenn ich aus den Wolkenbildern auf die Wetterlage schliessen sollte, bin ich unsicher. Es gibt also noch viel zu tun, noch viel zu lernen. Ich spreche deshalb immer gern mit ortskundigen Leuten, die ich zufällig antreffe, und selbstverständlich gehören Sach- und Fachbücher zu meiner Lieblingslektüre; ich zähle sogar Landkarten dazu.
 
Ich habe genau aus solchen Gründen eine besondere Zuneigung zu Lehrpfaden aller Art: Man bewegt sich in der freien Natur und findet meistens in knapper und treffender Form alle Angaben zu einem Thema. Und je mehr man weiss und kennt, umso interessanter wird nicht nur das Leben, sondern auch das Wandern. Das gilt für jedermann. Denn man sieht ja nur, was man kennt – und je mehr man kennt, desto mehr sieht und erlebt man. Gratistipp: Erweitern wir unsere Kenntnisse ununterbrochen! Und mit dem Schulen der Wahrnehmung erweitern wir unser Wissen, ein Gewinn an Lebensqualität.
 
Lehrstücke aus dem Gesteinspfad in Holderbank AG
Die Blogatelier-Nutzer werden deshalb verstehen, dass ein Wegweiser „Gesteinspfad“ auf mich eine magnetische Anziehung ausübt. Genau dieses Hinweisschild habe ich auf meiner Wanderung zwischen Wildegg AG und Schinznach AG am Beginn der Gemeinde Holderbank gesehen und mir vorgenommen, diesem Pfad einen eigenen kleinen Ausflug zu widmen, was am frühlingshaften Nachmittag des 21. Februar 2007 geschehen ist. Ich startete wieder bei der Aarebrücke Wildegg; einfacher wäre es allerdings gewesen, von der Kantonsstrasse Wildegg–Holderbank–Brugg aus in Holderbank zum auffälligen Areal der ehemaligen Zementfabrik (heute Fixit AG) abzubiegen. Auf dem Areal „Schachen“ in CH-5113 Holderbank sind Parkplätze in jeder Menge vorhanden. Der Gesteinspfad ist auf allen Wegweisern markiert. Dessen Begehung kann von der Bahnhaltestelle Holderbank oder vom Industrieareal-Inneren aus gestartet werden.
 
Ich betrat den Holcim-Gesteinspfad in der Nähe des Personalrestaurants Aarehuus. Er ist ein mäandrierender, etwa 1 m breiter Mergelweg mit beidseitig abschliessenden Porphyr-Pflästersteinen. Bei jeder der 27 auf einer eckigen Zementhalbschale vorgestellten Gesteinsarten als stattlicher Brocken befindet sich eine grosse Begleittafel aus Stein, die alle wesentlichen Angaben bis zu Hinweisen auf berühmte Bauwerke enthält, die aus dem Stein zum Teil hergestellt worden sind. Die Spur von Friedhofsatmosphäre passt zum Thema. Geschichte, Schönheit und Nutzen unseres Steinreichs Schweiz sind hier zu erahnen. Die schweren Gesteinsmuster sind teils roh oder haben eine geschliffene Oberfläche, was vollkommen andere Einblicke ermöglicht und Einzelheiten im Gesteinsinneren erkennen lässt. Auswahl und Texte wurden von Holcim-Geologen verfasst, die sich verständlich ausdrücken können. Der jederzeit frei zugängliche Pfad (www.gesteinspfad.ch) ist am 29. Mai 2006 eröffnet worden.
 
Zeugnisse aus der Erdgeschichte
Der von mir gewählte Gesteinsweg begann in der Nordschweiz und schlängelte sich dann durch die Schweiz bis zur Südspitze des Kantons Tessin fort. Man erhält unter dem Titel „Eine Frage der Zeit“ zuerst einen Einblick in die Erdgeschichte und erfährt, dass das Alter der Erde auf 4,5 Milliarden Jahre geschätzt werde und diese unsere Erde einem steten Wandel unterworfen sei. In der Triaszeit (vor 230 Millionen Jahren) war in Holderbank ein tropisches Meer anzutreffen, und vor 50 000 Jahren hätte man hier die Aussicht auf die eiszeitlichen Gletscher genossen. Dem Besucher wird in Erinnerung gerufen, dass der Urmensch – würde man die Erdgeschichte auf 12 Stunden reduzieren – erst 20 Sekunden vor 12 Uhr auftauchte, und die Neuzeit begann 2 Sekunden vor 12 ... und da sagen wir immer, mit dem Zustand unserer Umwelt sei es 5 vor 12 – also 5 Minuten vor 12. Es ist also schon viel später, wie man sieht ...
 
Eine nette ältere Dame mit österreichischem Akzent, die mit ihrem Mann hier ebenfalls in die erdgeschichtlichen Abgründe eintauchte, fragte mich, ob das mit den 4,5 Milliarden wohl stimmen könne. Da ich damals nicht dabei war, konnte ich das leider nicht verbindlich bestätigen. Das sei einfach so eine Grössenordnung, antwortete ich, und an sich komme es ja auf ein paar Jahrhunderte auf oder ab auch nicht so an; das sei eher von akademischem Interesse. Die Alpen haben sich erst vor rund 100 Millionen Jahren zu falten begonnen, und der Mensch begann vor etwa 2 Millionen Jahren zu wüten, wobei sein Wirken vorerst noch unbedeutend war, dann aber zur Bedrohung für das Leben auf dem Planeten wurde.
 
Von Orientierungstafel zu Orientierungstafel, von Schaustück zu Schaustück
Der Pfad beginnt mit der Vorstellung der Nagelfluh aus Rekingen AG, ein Ablagerungsgestein als Konglomerat, das früher zur Zementherstellung verwendet wurde. Darin sind noch Gesteine enthalten, die man heute in den Alpen nicht mehr findet; man kann daraus also die früheren geologischen Gegebenheiten der Alpen rekonstruieren. Der Name Nagelfluh rührt daher, dass die Gerölle wie Nagelköpfe aus dem Fels hervorstehen.
 
Das nächste geologische Schaustück ist ein Schilfsandstein aus Oberhofen AG, der in einem Mangrovensumpf entstanden sein könnte. Er kann Bestandteile aus Schilf und Schachtelhalm enthalten und hat nur eine geringe Bedeutung, dient gelegentlich für Mauern und Cheminées.
 
Aus dem Steinbruch Frick kommt der aus dem Jurameer stammende Arietenkalk; den Namen hat er von den Arietites-Ammoniten. Im Gestein sind aber auch weitere Fossilien (Muscheln und Belemniten wie die Teufelsfinger, die Hartteile einer Tintenfischart).
 
Dem Steinbruch bei Wildegg AG wurde der dunkelgraue Hauptrogenstein als Ausstellungsobjekt entnommen, ein Oolith, der aus Ooiden besteht. Dies sind kleine Kügelchen aus Kalk, die sich im seichten, warmen und leicht bewegten Jurameer bildeten. Er wurde für viele Gebäude im Jura verwendet, ist allerdings nicht sehr verwitterungsbeständig. In Wildegg wurde der Hauptrogenstein in Zement verwandelt. Viele helle Jurafelsen (Fluhen) bestehen aus diesem Stein.
 
Der Weg zum Solothurner Kalk aus dem Steinbruch bei Lommiswil SO ist dann nicht mehr weit. Er wurde vor etwa 140 Millionen Jahren im Jurameer abgelagert und viel später gelegentlich für Cheminées, Brunnen usf. verwendet; der Abbau ist eingestellt. Der im Regen ausbleichende und mit dem Alter rissig werdende Kalkstein prägt den Charakter der barocken Altstadt von Solothurn. Dieser Kalk enthält schöne Fossilien, recht häufig Turmschnecken (Nerineen) oder ganze Schildkrötenpanzer. Sogar Spuren von einem Brachosaurus wurden einst darin entdeckt.
 
Die nächste Station im Gesteinspfad ist dem Roten Kalkstein aus Cornaux im neuenburgischen Seeland gewidmet, dem Calcaire Roux. Dieses Gestein, auch als Pierre Jaune de Neuchâtel bekannt, ist ein stark eisenhaltiger Kalkstein und um 135 Millionen Jahre alt. Der am Gesteinspfad anzutreffende Brocken stammt aus dem vor etwa 7 Millionen Jahren aufgefalteten Faltenjura. Auch er enthält Ooide.
 
Der Buchberger Sandstein aus dem Steinbruch bei Nuolen-Guntliweid SZ besteht aus Abtragungsprodukten aus den Alpen, die vor etwa 20 Millionen Jahren ins Mittelland geschwemmt worden sind. Dieser Sandstein wurde oft für Steinmetzarbeiten verwendet, so etwa für das Grossmünster und das Fraumünster in Zürich (um 1750) sowie für Stiftskirche und Kloster Einsiedeln (ab dem 16. Jahrhundert).
 
Der eisenhaltige Verrucano (der Name kommt vom Monte Verrucano in Italien) ist ein sehr altes Konglomerat; das rot-violette Schaustück am Gesteinspfad in Holderbank wurde dem Steinbruch bei Mels SG entnommen. Der Verrucano besteht aus dem Abtragungsschutt eines Gebirgs, das schon lange vor der Bildung der Alpen, also vor etwa 260 Millionen Jahren, eingeebnet wurde. Das Gestein enthält viel vulkanisches Material, das ihm die Farbe gab. Auf der Orientierungstafel in Holderbank haben die kundigen Holcim-Experten den folgenden Hinweis angefügt: „An der ‚Glarner Hauptüberschiebung’ im Grenzgebiet der Kantone Graubünden, Glarus und St. Gallen überlagert der alte Verrucano viel jüngere Kalksteine. Diese Erkenntnis von Hans-Conrad Escher von der Linth im Jahr 1809 führte nach fast 100 Jahren erbitterter Diskussion zur allgemeinen Akzeptanz der Überschiebungsdecken-Theorie.“
 
Aus der Gipsgrube Melbach bei Kerns OW stammt ein stattlicher Brocken Gips, ein so genanntes Eindampfungsgestein aus einem flachen, schmalen Meeresbecken von damals, als die Kontinente auseinander drifteten. Er kristallisierte vor etwa 230 Millionen Jahren aus dem übersättigten Meerwasser aus und wurde hernach verfestigt. Er kann bei der Zementproduktion eingesetzt werden, um das Abbindeverhalten zu beeinflussen. Zudem wird Gips zu Verputzen und anderen Bauarbeiten und als Dünger verwendet.
 
Ein Stück Blauseekalk wurde aus Mitholz im Kandertal BE herbeigeschafft, ein Kalk mit sehr quarzreichen Lagen („Kieselkalk“). Er ist durch seine Vielfalt an Farben und Strukturen für Verkleidungsplatten attraktiv – es ist fast schade um diese stille Schönheit, wenn daraus Schotter, Splitt und Wegkies hergestellt wird.
 
1260 wurde die Kathedrale von Lausanne mit Schwarzem Kalk von St-Triphon aus dem örtlichen Steinbruch gebaut. Dieser dunkelbraune bis schwarze Kalkstein wurde auch für die meisten protestantischen Kirchen der Westschweiz im 18. und 19. Jahrhundert verwendet, ebenso für viele Brunnen aus jener Zeit. Aber auch in der Deutschschweiz wurde dieses mit mikroskopisch kleinen pflanzlichen und tierischen Lebewesen durchsetzte Gestein für Brunnen, Sockel und Säulen verbaut, etwa im Bundeshaus, der Nationalbank und dem Café Fédéral in Bern. Heute ist die Gewinnung eingestellt.
 
Und noch eine wertvolle Westschweizer Spezialität hat den Weg nach Holderbank gefunden, der „Vert d’ Evolène“ aus dem Steinbruch bei Evolène im Val d’Hérens VS. Dieser dunkelgrüne Stein wird auch Prasinit genannt: ein vulkanisches Gestein, das zur ozeanischen Kruste des südlichen Tethys-Meers gehörte und vor der Alpenbildung unter den von Süden herannahenden Kontinent getrieben und dabei metamorph verändert worden ist. Durch Druck- und Temperatureinwirkungen sind die typischen grünen Mineralien (Epidot, Chlorit und Amphibol) gebildet worden. Weisse Bänderungen bestehen meistens aus Feldspat. Man sieht diesen Stein im Wallis oft als Stützsteine, auf die die alten, mäusesicheren Walliser Häuser gestellt wurden; aber auch für Verkleidungen wurden sie eingesetzt.
 
Ebenfalls aus dem Wallis, und zwar aus dem Steinbruch bei St-Léonard, wurden ein Dolomit und ein Quarzit herangeführt. Der für Bodenplatten und Skulpturen geeignete Dolomit ist ein spezieller Kalkstein, der in Lagunen gebildet wird oder durch Umwandlung aus Kalkstein entsteht. Der Quarzit seinerseits ist ein durch Metamorphose veränderter, ursprünglicher Sandstein, der ebenfalls im Meer abgelagert wurde; er wurde früher auch in der Elektrotechnik und in der chemischen Industrie genutzt.
 
Alsdann führt der Gesteinspfad in die Innerschweiz zum Urner Granit aus dem Steinbruch bei Gurtnellen, einer der wenigen echten Granite der Schweiz. Er wurde für die berühmte Teufelsbrücke vor dem Urnerloch bei Andermatt verwendet, dient aber auch für die Kandelaber der Limmatbrücke in Zürich und das Mauerwerk der Mittleren Rheinbrücke in Basel. Der Granit ist härter als Gneis und nur schlecht spaltbar.
 
Und Gneiss in der Variation des Legiuna-Gneiss’ lernt man bei der nächsten Station kennen (Herkunft aus dem Steinbruch bei Malvaglia im Tessiner Bleniotal). Dieser Gneiss ist ein metamorph umgewandeltes Ablagerungsgestein des Nordkontinents. Er ist grobkörnig und enthält helle augenförmige Feldspatkristalle, weshalb er auch Augengneiss genannt wird. Er ist leicht in Platten zu spalten und wurde oft für Mauern und Steindächer verwendet.
 
Eine andere Gneissart ist der Maggia-Gneiss, wie er im Maggiatal zu finden ist. Dieser Maggia-Gneiss wird seiner Schönheit und Robustheit wegen oft im Innen- und Aussenbereich eingesetzt; ein berühmtes Beispiel für seine Anwendung ist die Kirche von Mogno im oberen Maggiatal, wo vom Architekten Mario Botta der dunkle Gneiss mit hellem Marmor kombiniert worden ist. Weil dieser Gneiss mit Vorliebe entlang der Schieferungsflächen spaltet, sind die Spaltflächen dunkler als die gesägten Flächen.
 
Und noch ein Tessiner Gneiss ist am Gesteinspfad anzutreffen: der Cresciano-Gneiss aus dem Steinbruch bei Osogno-Cresciano in der Leventina. Dieser geschieferte Gneiss ist aus einem Ablagerungsgestein des Nordkontinents entstanden, das bei der alpinen Kollision stark metamorph umgewandelt worden ist. Er enthält wellige Lagen aus Glimmer, ein blättriges Mineral. Dieser Gneiss wird häufig für Treppenstufen und Stützmauern eingesetzt.
 
Ein echter, pickelharter Bündner ist der Calanca-Gneiss aus dem Steinbruch bei Arvigo im Calancatal; der Steinbruch ist als einziger des Calancatals noch in Betrieb. Er zeigt eine so genannte Foliation, eine Anordnung der Mineralien in Lagen. Er wird für Marksteine, Gartenplatten, Tischplatten verwendet und wurde auch für die Dächer des Castel Grande in Bellinzona eingesetzt. Seine Farbe stammt von den braunen und leicht violetten Glimmermineralien.
 
Und natürlich gehört auch Marmor zum Tessin, etwa der Marmore von Castione aus der Nähe von Bellinzona: ein heller, echter Marmor, also ein durch Druck und Temperatur veränderter Kalkstein. Der helle Marmor (es gibt auch eine dunkle Version) wurde oft für Kirchenfassaden verwendet, zum Beispiel in Bellinzona für die Collegiatakirche. Der dunkle „Granit“ ist z. B. beim Brunnen des Welttelegraphen-Denkmals in Bern zur Anwendung gekommen.
 
Die Verkleidung des alten Bahnhofs Luzern und die alten Steindächer im Bündnerland sind Zeugen für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Andeer-Granits aus dem Steinbruch bei Andeer im Schams GR. Allerdings ist der dort gewonnene Stein eher ein Gneiss: Dieser Ausdruck bezeichnet ein durch hohe Temperaturen und Druck verändertes granitisches Gestein, wie es im vorliegenden Falle vor etwa 4 Millionen Jahren geschehen ist. Bei den kleinen, silbern glänzenden Einschlüssen handelt es sich um Magnetit, ein magnetisches Mineral.
 
Der Bivio-Marmorera-Serpentinit aus dem Steinbruch im Oberhalbstein GR besitzt lange Mineralfasern, die vor etwa 160 Millionen Jahren durch metamorphe Veränderungen von Gesteinen im Meeresboden entstanden sind. Von diesen Fasern rührt auch seine grünliche Farbe her. Dieser Serpentinit wird für Bodenplatten, Verkleidungen und (wegen seiner Hitzeresistenz) auch für Cheminées verwendet.
 
Der Soglio-Quarzit aus dem Bergell GR bekam seinen Namen vom Quarz, der auch als Bergkristall bekannt ist. Die Mineralkörner sind ehemalige Sandkörner und bestehen aus Quarz. Dieser Quarzit lässt sich in dünne Platten spalten und wird oft im Gartenbau, im Innenausbau und als Fassadenverkleidung verwendet, so etwa im Flughafengebäude in Zürich-Kloten.
 
Im bünderischen Poschiavo hat der Puschlav-Serpentinit seinen Ursprung. Er ist hauptsächlich aus langen, faserigen Serpentinmineralien zusammengesetzt (serpens bedeutet im Lateinischen Schlange) und hat eine grüne Farbe. Er dient für allerhand Verkleidungen, neigt allerdings zum Verbiegen.
 
Ebenfalls im Puschlav (bei Campascio) kommt der Campasco-Granit vor; dieses Erstarrungsgestein ist etwa 30 Millionen Jahre alt und kaum metamorph verändert worden. Als Sichtstein gibt es für ihn viele Anwendungen (Böden, Treppen, Grabsteine).
 
Besonders attraktiv sind die Buntmarmore von Arzo im Südtessin, etwa 210 Millionen Jahre alte Kalksteine, die in einer Bruchzone entstanden sind. Diese farbigen Marmore wurden zur Zeit des Barock und des Klassizismus oft für sakrale Bauten eingesetzt, besonders für Altäre, Taufbecken und Säulen. Die berühmteste Verwendung: die Krypta des Doms von Mailand.
 
Objekte menschlicher Kultur
Steine sind also ein wertvolles Rohmaterial, das von den Menschen immer und überall genutzt worden ist. Hochkulturen wie die Maya oder die Ägypter meisselten ihr kulturelles Erbe in Stein. Und Steine dienten als Waffen und Schmuck. Weil sie ihre eigene Sprache sprechen und vieles aus der Erdgeschichte erzählen, haben sie eine zusätzliche Attraktivität. So erinnern etwa Granitgesteine an die Bedingungen, die bei ihrer Entstehung in der Erdkruste geherrscht haben. Diese Bedingungen sind bei der Erstarrung des flüssigen Gesteins in der chemischen Zusammensetzung der Mineralien gespeichert. In den Gesteinen, die durch hohen Druck und hohe Temperaturen umgewandelt wurden, bildeten sich neue Mineralien (Metamorphose).
 
Vom Zementwerk nach Wildegg zurück
Zu Stein geworden ist auch das ehemalige Zementwerk in Holderbank, eine riesige Anlage, bei der noch einige alte Güterwagen dahinrosten, auf deren Ladeflächen allerhand Gebüsch wächst – das sind natürliche Renaturierungsbestrebungen. Ich begab mich zur SBB-Haltestelle Holderbank, dann über eine Treppe und eine Überführung zur Dorfstrasse hinauf, warf einen Blick in den Steinbruch Schümel und besorgte mir auf der Post mit der ausgesprochen freundlichen Bedienung die neue Ausgabe der von der Gemeinde herausgegebenen und von Ruth Läuchli redigierten Dorfzeitung HOLORI, die im 33. Jahrgang erscheint (8 Mal jährlich). Sie zeugt von einem reichhaltigen kulturellen Leben und auch von Naturbewusstsein – so wurde die Äsche (Thymallus thymallus) vorgestellt, ein Speisefisch mit leichtem Thymiangeschmack, der heute zu den gefährdeten Fischarten gehört.
 
Ich ging dann zu Fuss nach Wildegg zurück, vorbei an der 1832 von Jakob Friedrich Laué (1791–1881) entdeckten Jodquelle, wo es allerdings gerade nichts zu trinken gab. Seit 1976 ist der etwa 28 m tiefe Schacht erneuert und von einem Pavillon überdeckt. Ich begnügte mich mit der Erkenntnis, dass wir die im Gestein vorkommenden Mineralien in Spuren mit dem Trinkwasser aufnehmen und stillte meinen Flüssigkeitsbedarf mit Hahnenwasser, das ich immer mitführe.
 
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