Textatelier
BLOG vom: 12.06.2006

Alarmzeichen: Mein merkwürdiges Fussball-Fehlverhalten

Autor: Walter Hess
 
Auf die Gefahr hin, eine psychiatrische Langzeitbetreuung mit all ihren Kollateralschäden zu riskieren, möchte ich hier, um Hilfe bittend, auf einige merkwürdige Eigenbeobachtungen aufmerksam machen, welche die Grenzen der landesüblichen Normalität weit sprengen.
 
Alarmzeichen 1: Die ganze Welt fiebert wegen dieser Fussball-Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland. Mich aber lässt dieser Event so kühl, dass ich während diesen Wochen schon beinahe Untertemperatur habe, selbst bei sommerlichen Temperaturen.
 
Alarmzeichen 2: An mir geht die konzertierte mediale WM-Stimmungsmache während Monaten spurlos vorbei. Ja, mehr noch: Ich schüttle den Kopf über die Medien, die meiner persönlichen Ansicht nach vollkommen verzerrte Proportionen haben. Aber diese steigern die Auflagen (Quoten), und nur darauf kommt es an.
 
Alarmzeichen 3, das wahrscheinlich gravierendste: Mein Nationalpatriotismus löst sich, sobald es um Sportevents (man beachte meine gewählte Sprache!) geht, in Luft auf. Wenn mir zum Beispiel zufällig zu Ohren kommt, die Schweiz spiele gegen Togo (mit oder ohne Trainer Otto Pfister), dann stelle ich mich als Schweizer spontan auf die Seite von Togo, von jenem mausarmen afrikanischen Land mit seiner spindeldürren Form, in dem auch Kinder verhungern. Weil ich mir vorstelle, mit einem Sieg seien Prämien verbunden, die vielleicht ein paar Menschen in jenem Lande gut tun könnten. Denn im Fussball geht es ja praktisch nur ums Geld; umsatzarme Sportarten (wie das Schwingen, Jassen und der Orientierungslauf) haben dementsprechend weniger Zulauf. Aber sind nicht auch solche Gedanken abstrus, weltfern? (Alarmzeichen 3a.)
 
Alarmzeichen 4: Und dann schleichen sich immer so komische Überlegungen in mein sportlich verwirrtes Hirn ein: Ein reiches Land, denkt es, habe mehr Geld, um Spitzen-Balltreter in aller Welt zusammenzukaufen als ein armes. Also hat ein reiches Land die besseren Möglichkeiten, aus dem Fussball Kapital zu schlagen als ein armes. Das Resultat davon hat etwas mit der berühmten Armut-Reichtums-Schere zu tun, die sich immer weiter öffnet und dank neoliberaler Globalisierung schon beinahe ganz offen ist. Offener als offen geht nicht.
 
Alarmzeichen 5: Ich verstehe das Gerde vom „völkerverbindenden Sport“ als Einziger nicht. Es ist für mich zwar theoretisch, nicht aber auf Grund der Praxis nachvollziehbar. Manchmal bringe ich dieses Liebesverhältnis in Zusammenhang mit den Militär- und Polizeieinsätzen zur Absicherung der Völkerrepräsentanten rund um Fussballstadien. So gibt es zum Beispiel eine allseits hochbeliebte und hochangesehene Nation. Sie wissen schon, welche ich meine. Und bevor deren Ballakrobaten in Hamburg Unterschlupf nehmen, muss das Hotel Park Hyatt in ein Hochsicherheitsgefängnis umgewandelt werden; Panzer und Flugzeuge zirkulieren, und aus den USA wird Sicherheitspersonal eingeflogen. Mülltonen werden in der Umgebung entfernt, und parkiert werden darf auch nicht mehr. In den Blechbehältern könnte Sprengstoff sein. Schwer bewaffnete Sondereinheiten zirkulieren. Kriegszustand wegen ein paar Boys. Wo Amerikaner sind, werden Völker getrennt; es herrscht Krieg, denke ich. Und ich bin froh, kein Amerikaner zu sein (Alarmzeichen 5a).
 
Alarmzeichen 6: Der kollektive WM-Taumel ist mir suspekt. Es scheint mir gefährlich zu sein, wenn sich die Massen so leicht instrumentalisieren und ausnehmen lassen. Man kann das unter anderem auch bei Thomas Mann nachlesen. Und dann kommen mir einige geschichtliche Ereignisse in den Sinn, die auf neurotischen Massenpsychosen basierten, um ein Volk kriegsbereit zu machen (genauere Angaben auf Anfrage).
 
Man sieht: Ich bewege mich total neben den Schuhen. Was ist nur mit mir los?
 
Und das schlägt dem Fass noch den Boden aus: Ich sammle keine Panini-Fussball-Bildchen und habe zudem wenig Fan-Talent (Alarmzeichen 7 und 8). Devotionalien sind meine Sache nicht (Alarmzeichen 8a).
 
Alarmzeichen 9: Ich vertrete insgeheim die Ansicht, die Hooligans passten als Garnitur gar nicht so schlecht zu den Gladiatorenkämpfern auf dem Rasen. Aber bitte sagen Sie das nicht weiter, ansonsten mir gleich DNA-Proben entnommen werden.
 
Gelegentlich fühle ich mich mit meinen kuriosen Ansichten etwas einsam. Ohne darunter zu leiden (Alarmzeichen 10).
 
Wer gibt mir den entscheidenden Kick, damit ich vielleicht doch noch auf den rechten Weg komme?
 
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