Textatelier
BLOG vom: 04.03.2006

Von Zugvögeln und Zugschweinen: Stark wackelnde Thesen

Autor: Walter Hess
 
In mehreren Blogs zur Vogelgrippe habe ich die bequeme und ablenkende These von Politikern und Veterinären, die Vogelgrippe sei durch Zugvögel verbreitet worden, als Nonsens abgetan, letztmals im Blog vom 1. März 2006: „Die Dummheiten rund um die Vogelgrippe häufen sich.“ Sie halten nicht einmal leicht kritischem Nachdenken stand.
 
Heute Samstag, 4. März 2006, hat sich dazu auch der Spiegel (www.spiegel.de) kritisch geäussert, zum Beispiel aus deutscher Sicht: „Rügen traf es als erstes, inmitten H5N1-freier Nachbarländer. Die betroffenen brandenburgischen Landkreise grenzen nicht eben an die Insel. Ostholstein liegt 150 Kilometer weiter westlich. Um gar an den Bodenseestrand von Überlingen oder das Mannheimer Rheinufer zu gelangen, muss der Erreger gar die gesamte Bundesrepublik diagonal überquert haben. Muss? Müsste? Nur wie? Geflogen?“
 
Dann wird Robert Hepworth, Exekutivsekretär der Uno-Konvention über wandernde Tierarten (CMS), zitiert, der gesagt hatte, für die Verbreitung des Virus durch Zugvögel gebe es keine wissenschaftlichen Belege. Ich habe ihn schon am 23. Februar 2006 zitiert: „Uno und Vogelgrippe: Die Zugvögel sind unschuldig.“
 
In einem Gespräch mit „Spiegel online“ sagte der Ornithologe Bert Lenten soeben sinngemäss, er sehe auch kein plausibles Muster für die Verbreitung: „Wenn Wildvögel die hauptsächlichen Überträger wären, zum Beispiel zwischen China und Nigeria, dann würde man doch auf der Strecke dazwischen auch Ausbrüche erwarten.“ Zudem sind Zugvögel ja Kälteflüchter, und sie ziehen im Winter nach Süden, nicht etwa nach Osten. Im Fall Rügen komme hinzu, dass viele betroffene Schwäne überhaupt keine klassischen Zugvögel waren.
 
 
Auch der Mikrobiologe Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg hält überhaupt nichts von der Zugvogel-Theorie. Denn nach allem, was man wisse, wirke das H5N1-Virus in Schwänen sehr schnell und sehr stark: „Die fallen in wenigen Tagen tot um.“ Und „Einbahnstrassen-Denken“ nennt der Vogelkundler Klaus-Dieter Feige die These, dass Wildvögel das Virus aus Osteuropa eingeschleppt haben, wo sich ihre Brutreviere mit denen nach Asien ziehender Vögel überlappen.
 
Der Freispruch der Zugvögel ist wichtig, damit ihnen kein Unrecht geschieht. Denn bereits im Januar 2006 hatte der russische Politpopulist Wladimir Schirinowski im Parlament gefordert, alle Zugvögel bei der Rückkehr aus ihren türkischen Winterrevieren abzuschiessen. „Die Regierung muss dem Vogelzug einen Riegel vorschieben“, forderte er. Einen Riegel schieben müsste man insbesondere solch idiotischen Forderungen.
 
Ich habe die „Spiegel“-Redaktion heute auf den „irrtümlichen“ Versand von tödlichen Grippeviren im Oktober 2004 durch das College of American Pathologists (CAP) an 3747 Laboratorien in 18 Ländern (inklusive Deutschland) hingewiesen. Denn es wäre schön und nützlich, wenn die tatsächlichen Vorkommnisse nicht länger durch die Vogelzug-These vernebelt werden könnten und man sich allmählich mit den an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeiten befassen würde.
 
Die objektive Aufklärung ist auch aus Tierschutzgründen zwingend, wie aus diesem ebenfalls vom „Spiegel“ berichteten Beispiel hervorgeht: Die neue deutsche Bundesregierung und die Länder wollen das von der ehemaligen Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) durchgesetzte Verbot der Käfighennenhaltung faktisch wieder aufheben. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern haben eine Regelung erarbeitet, nach der auch in Zukunft die Eierproduktion in Legebatterien wieder erlaubt sein wird. In den geplanten Kleinkäfigen würde jedem Huhn ein Platz von 750 Quadratzentimeter zugebilligt – wenig mehr als eine DIN-A-4-Seite. Ausserdem sollen die Käfige nur 50 Zentimeter hoch sein, damit die Eierproduzenten die Drahtgestelle in den Ställen übereinander stapeln können.
 
Das ist meines Erachtens tierschützerisch ein Skandal, einem Rückfall ins Mittelalter ähnlich, Ausdruck einer miesen Gesinnung. Ist das der Stil der neuen deutschen Regierung? Man wird dies fragen dürfen, nachdem die 100-Tage-Schonzeit gerade abgelaufen ist.
 
Schweinepest in Nordrhein-Westfalen
Als ob des Elends und der Dummheiten noch nicht genug wäre: Jetzt ist in 6 Betrieben in Nordrhein-Westfalen und auf einem Hof in Niedersachsen (in Vechta) noch die so genannte Schweinepest ausgebrochen – wahrscheinlich auch von Zugschweinen ausgelöst ... Bereits sind 2650 arme Schweine getötet worden. Diese Dimensionen lassen nicht auf Freilandhaltung schliessen, und zudem – ich wiederhole es – sind Intensivställe Seuchenbrutstätten und nicht das Freiland.
 
Jedenfalls können jetzt die Journalisten wieder eine neue Sau durchs Dorf treiben, wie man sagt ...
 
Bemerkenswert ist, wie schnell die Behörden reagieren können, wenn es ums Keulen geht – sonst vergehen Jahre, bis kleinste Korrekturen von Unzulänglichkeiten vollzogen sind. Aber gegenüber Tieren ist alles erlaubt, was man Menschen sonst nur antut, wenn sie den Amerikanern nicht gefallen: Guantánamo-ähnliche Käfighaltungen und Massenhinrichtungen, letztere im einen Fall mit CO2-Keulen, im anderen mit Bomben aller Art.
 
Die Tierseuchen, denen man wenigstens in der Schweiz trotz all der medialen Hysterisierungen amtlicherseits mit einer anerkennenswerten Gelassenheit begegnet, sollten ein Anlass sein, unseren Umgang mit den Tieren und zu den Tieren zu hinterfragen statt gleich zu den Waffen zu greifen. Nach dem 3. Weltkrieg (Bush-Krieger gegen den Terrorismus) scheint der 4. Weltkrieg ausgebrochen zu sein – ganz wie ihn Albert Einstein vorausgesehen hat: „Ich weiss zwar nicht, wie der dritte Weltkrieg geführt wird. Im vierten wird jedoch wieder mit der Keule gekämpft."
 
Hinweis auf weitere Blogs zur Vogelgrippe
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst