Textatelier
BLOG vom: 16.08.2005

Bildungskollaps: Victoria Beckham las noch nie ein Buch

Autor: Heinz Scholz

Als ich heute (am 16. August 2005) nach dem Frühstück die „Badische Zeitung“ las, stiess ich auf der letzten Seite – dort befindet sich die Rubrik „Aus aller Welt“ – auf folgende kuriose und amüsante Meldungen: „Japaner verschlingt 100 Knödel in 12 Minuten“, „100-Jährige fliegt mit dem Gleitschirm“, „Aston-Martin-Fahrer sind am erotischsten“ (auch James Bond fuhr das Auto) und „Frau als Küchenchef im Weissen Haus“ (George W. Bush bevorzugt ein schnelles und leichtes Essen).

Aber eine Meldung schlug dem Fass den Boden aus, wie man so sagt. Ich war bass erstaunt, als ich eine schier unglaubliche Meldung las: Die Notiz handelte von Victoria Beckham (31), der attraktiven Frau des Fussballstars David Beckham und früheren Mitglied der Popband „Spice Girls“. Sie hatte der britischen Boulevardzeitung „Sunday Mirror“ verraten, sie habe noch nie ein Buch gelesen. Sie habe einfach keine Zeit. Sie höre lieber Musik und blättere in Modezeitschriften. Just in diesem Moment kam mein 5-jähriger Enkel Manuele mit Mama ins Wohnzimmer. Er wollte wissen, was ich da gelesen hätte. Als ich ihm dies erzählte, schaute er ganz erstaunt drein. Er konnte es nicht glauben, dass es Menschen gibt, die noch nie ein Buch gelesen haben (so deutete ich seinen Gesichtsausdruck).

Das Pikante: Victoria Beckham zeichnet als Verfasserin ihrer Autobiographie „Learning to Fly“. Demnach hat sie ihre eigene Biographie nicht gelesen (Prominente und andere viel beschäftigte Menschen lassen ja oft schreiben, siehe Ghostwriting; dafür gibt es qualifizierte Schreibbüros wie das Textatelier.com).

Seit Beckhams Aussagen zweifeln viele Engländer an ihren intellektuellen Fähigkeiten. Aber man kann auch ohne Buch intelligent werden ..., und es gibt ja auch schöne Menschen, die intelligent sind, mit oder ohne Buchkonsum. Vielleicht dachte die Prominente aus dem Vereinigten Königreich einfach an den Spruch von Jean-Jacques Rousseau (in „Emile“ I, 3): „Ich hasse die Bücher. Sie lehren uns nur über Dinge zu reden, die man nicht versteht.“

Meine Frau Paula kommentierte die obige Meldung so: „Manuele hat mit seinen 5 Jahren schon mehr Bücher ‚gelesen’ als Victoria Beckham.“ Sie meinte, dass er schon viele Bilderbücher mit und ohne Text eingesehen habe. Seine Mutter und Oma nehmen sich viel Zeit, mit ihm die Texte zu lesen. Bald darauf hat er den jeweiligen Text in seinem Computer (Gehirn) gespeichert und braucht keine Vorleserin mehr, wenn er die alten Bücher wieder hervorkramt und hineinschaut. Zurzeit interessiert er sich für die Geschichten von Wilhelm Busch („Max und Moritz“). Und demnächst möchte er die Asterix-Geschichten kennen lernen.

In meinem Leben bin ich schon etlichen Leuten begegnet, die mit Büchern nichts am Hut haben. Aber die breite Masse liest gern Bücher. Laut Angaben des Deutschen Buchhandels wurden im Jahre 2003 in Deutschland 770 Millionen Bücher gekauft, also etwa 10 Stück pro Person. Laut einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung unter Kölner Familien besass jedes Kind 55 Bücher. Das war allerdings 1993.

Laut www.nachrichten.at („OÖNachrichten“) sind trotz des Nobelpreises für Elfriede Jelinek die Österreicher Büchermuffel. Sachbücher scheinen den Österreichern mehr zu liegen als literarische Werke. 34 % lesen kaum oder gar nicht. Es wird die Auffassung vertreten, dass in Zukunft noch weniger gelesen wird als heute. Schuld daran dürfte die steigende Bedeutung der elektronischen Medien sein.

„US-Amerikaner verlieren Lust am Lesen.“ Dies war das Ergebnis einer nationalen Studie, die im Juli 2004 in der New Yorker Stadtbibliothek vorgestellt wurde. Danach sank die Zahl der Leser von Romanen, Kurzgeschichten und Gedichten seit 1982 um 10 % auf 46,7 % der Bevölkerung. Das Lesen ist laut Dana Gioia in allen Bevölkerungskreisen unpopulär und „kommt einem Bildungskollaps gleich“. Besonders unpopulär ist das Lesen bei Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren. Diese greifen lieber zur Fernbedienung.

Was können wir Victoria Beckham und anderen Lesemuffeln raten? Sie sollen doch wieder einmal ein gutes Buch lesen. Ich wollte schon sagen, sie sollten das Buch Kontrapunkte zur Einheitswelt“ von Walter Hess und die kommenden Werke aus dem Verlag Textatelier.com lesen: mein Brevier „Richtig gut einkaufen“ und die lebendige Regionalstudie „Bözberg West“ von Heiner Keller, eine Darstellung des heutigen Landlebens; beide sind zurzeit im Druck und erscheinen Ende September 2005). Wer keine Bücher liest, dem entgeht eine ganze Menge; ihm bleiben ganze Welten verschlossen.

Wer Kinder hat – die Beckhams haben deren 3 – sollte den Umgang mit Büchern vorleben. Dazu Dr. Birgit Ebbert, Bochum, von der Initiative Leseerziehung (www.leseerziehung.de mit Elterntipps zur Leseförderung):

„Ein Kind bekommt leichter Spass an Büchern, wenn die Eltern Bücher lesen oder das Kind zumindest gewähren lassen, wenn es zu Büchern greift. Dabei ist es immer noch besser, wenn die Eltern gleichgültig gegenüberstehen als wenn sie ihrem Kind vermitteln, ein Faulenzer zu sein, weil es liest. Je mehr Bücher die Eltern besitzen und je öfter sie Bücher nutzen, desto grösser ist übrigens der Anreiz für Kinder, die Mühe des Lesenlernens auf sich zu nehmen.“

Ich kann mich noch gut an meine Jugend erinnern. Damals wurde das Lesen von den Eltern nicht gern gesehen. So blieb mir nichts anderes übrig als im Geheimen unter der Bettdecke im Scheine einer Taschenlampe zur vorgerückten Stunde noch zu lesen. Später schlugen meine Schulkameraden und auch ich während langweiligen Unterrichtsstunden (Religion, Sozialkunde) des Öfteren ein Buch unter dem Pult auf und lasen Bücher von Karl May und Edgar Wallace. Und so ist es bis heute geblieben: Ich lese unheimlich gerne (heute sind es Sachbücher), ebenfalls meine Frau, die auch in der Jugend schon viel las.

Zurück zu den Empfehlungen von Dr. Birgit Ebbert, die noch weitere gute Tips auf Lager hat. Sie lauten: Man soll das Buch im Leben eines Kindes selbstverständlich einbauen, Bilderbücher gemeinsam anschauen, über Bücher sprechen, Erzählen und Vorlesen, gemeinsam eine Buchhandlung oder Bücherei besuchen, mit Büchergutscheinen oder einem Büchertaschengeld zum Buchkauf ermuntern, Bücher gezielt auswählen, Basteln und Geschichten erfinden und Bücher rund ums Fernsehen für fernsehbegeisterte Büchermuffel kaufen.

Dies sind wirklich gute Empfehlungen. Wollen wir hoffen, dass so mancher Lesemuffel die unendliche, faszinierende Sphäre der Bücher entdeckt und nicht mehr von ihr los kommt.

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