Globalisierung, die soziale Demontage
Vortrag von Walter Hess bei der Vereinigung Chance21 in Luzern am 1. 12. 2005
Meines Erachtens gab es in der Weltgeschichte noch keinen Prozess, der so viel zerstörerisches Potenzial in sich barg; die ökologischen, sozialen und kulturellen Demontagen sind bereits im Gange. Das „globale Dorf“ (global village) mit einem Dorftrottel als Häuptling, der sich von einer Gruppe von macht- und geldgierigen, skrupellosen Beratern umgibt, ist eine Vorstellung, die schwer zu ertragen ist. Der Lifestyle wird aus der Zentrale vorgegeben – der Anglizismus Lifestyle aus der Sprache der Globalisierung drängt sich hier auf. Ernährung (McDonaldisierung), Mode, Musik und alle anderen Kulturäusserungen gleichen sich an. Auch dieser Prozess, der von kindischen Medienmachern gedankenlos gefördert wird, läuft seit Jahren. Dementsprechend werden neben dem Erfahrungswissen auch Traditionen als gesellschaftsschädigend heruntergemacht, es sei denn, sie werden nach US-Vorgaben kommerzialisiert wie etwa der Halloween-Unsinn als Pop-Variante von Gruselfilmen. Das sind Hybridisierungen oder Kreolisierungen, Durchmischungen von Stilen, die sich auf einem abgrundtiefen Niveau einpendeln.
Der heutige Neokonservativismus, der solche Rückgriffe ermöglicht, bringt die Religionen vermehrt ins Spiel – mit den Vorbetern George Bush Jun. oder Silvio Berlusconi, der sich selber als „Gesalbter“ (Christus) bezeichnete. Dadurch kann ein kriminelles Verhalten wie die Missachtung des Völkerrechts überspielt werden; es braucht weniger Tarnung. Auch das Eingeständnis von Gesetzesbrüchen gehört zu den neokonservativen Gepflogenheiten – die Ziele der Guten rechtfertigen alles, auch den Einsatz von Streubomben, Folterungen usf. Die Staatsmacht wird zur Durchsetzung von Ruhe und Ordnung mit allen Mitteln in der beunruhigten, demonstrierenden und randalierenden Bevölkerung wieder aufgebaut; das Abhören und das Abschaffen der Privatsphäre gehören dazu. Alle diese Aspekte wären einen eigenen abendfüllenden Vortrag wert.
Fusionieren und wachsen
Dieser von Menschen gemachte Globalisierungsprozess als Grundlage für ein schnelles, unbegrenztes ökonomisches Wachstum, das alle natürlichen Beschränkungen negiert, ist also die zentrale Kraft für gesellschaftliche Veränderungen – sie ist kein Naturereignis. Man hätte ebenso gut eine Ökologisierung anstreben können: Ökologische Moral statt Eigeninteressen.
Zur Globalisierung gehören Zwischenstufen wie Zusammenschlüsse von kleinen Einheiten von Alpgenossenschaften bis zu Konzern-Fusionen und Länderzusammenschlüssen nach dem Beispiel EU. Diese EU enthält alles, was einen Staat ausmacht, mit Ausnahme der demokratischen Gepflogenheiten, die es in der Schweiz vorläufig noch gibt. Dieser Prozess der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Einebnung unter amerikanischer Vorherrschaft im Interesse von multinationalen Grosskonzernen ist in einem rasanten Tempo im Gange. Kein Wirtschaftszweig wird von diesen Vorgängen verschont. Die Folgen dieser neoliberalen, vom Kapital bestimmten Penetration (Durchdringung aller Lebensbereiche) sind täglich deutlicher zu spüren und führen zunehmend zu Protestreaktionen, verständlicherweise auch unter Bauern, die sich zwar als anpassungsfähig erwiesen haben, im Grunde aber doch traditionsbewusst sind. Der Zug rollt auch über Wiesen und Äcker, und das Mitreisen wird immer ungemütlicher.
Bauern protestieren auch
In der 2. Novemberhälfte 2005 haben in der Schweiz die Bauern gegen die Folgen der Unterwerfung unter die Vorgaben der von den USA gelenkten Welthandelsorganisation (WTO) protestiert, die den erwähnten rücksichtslosen Freihandel durchzusetzen hat. Dieser Freihandel – ein beschönigendes Wort – ist das zentrale Globalisierungsübel. Wo der Wille zum Mitmachen nicht vorhanden ist, wird eben wirtschaftliche Gewalt angewandt. In der Schweiz verschwinden im Durchschnitt täglich etwa 2 bis 3 Bauernbetriebe, ausgerechnet jene übrigens, die noch mit der Natur zusammengearbeitet und für eine ökologische Vielfalt gesorgt haben. Der Bundesrat fördert solche ungeheuerlichen Vorgänge mit seiner vollständig entgleisten Landwirtschaftspolitik noch.
Der Zugang zu den lukrativen Exportmärkten steht nur denen offen, die über ausreichend Produktionskapazitäten, komplexe Logistiksysteme sowie Verträge mit wichtigen Abnehmern verfügen und die Rohstoffe billiger als die Konkurrenz einkaufen oder produzieren können. Der Löwenanteil der Profite landet auf den Konten weniger Konzerne, welche die Mittel haben, die Belegschaft wegzurationalisieren. Die viel beschworene Rolle der Landwirtschaft für die Armutsbekämpfung wird so aufgeweicht. Dabei wäre gerade die Arbeit in einer diversifizierten Landwirtschaft, die sich in die Kreisläufe einfügt und die Bodenfruchtbarkeit erhält, nicht nur anspruchsvoll, sondern auch befriedigend.
„Heilmittel“ Gentechnik
Vor allem durchrationalisierte Landwirtschafts-Grossbetriebe haben noch eine Überlebenschance. Sie räumen die Landschaft aus, produzieren grossflächig. Weil die Natur mit Seuchen und Plagen aller Art auf Monokulturen, die keine Selbstregulationskraft haben, reagieren muss, braucht es enorme Mengen von Agrogiften. Doch diese sind der Biosphäre allmählich nicht mehr zumutbar, so dass Zuflucht zu gentechnologischen Abänderungen von Pflanzen und Tieren genommen wird, auch auf das Risiko einer kompletten ökologischen Katastrophe hin. Das Schweizervolk hat am vergangenen Wochenende vom 27. November 2005 bremsend eingegriffen; doch genveränderte Produkte dürfen aus dem Ausland bereits eingeführt werden.
In der Schweiz, die ihr Selbstbewusstsein auf der Schlachtbank des Welthandels geopfert hat, sind bis anhin 1 gentechnisch veränderte Sojasorte und 3 ebensolche Maissorten für den Import als Lebens- und Futtermittel zugelassen. Als Futtermittel dürfen zudem etwa Maiskleber und Sojaschrot von allen Gentech-Sorten eingeführt werden, die entweder in der EU, den USA oder Kanada zugelassen sind – wir wollen gleich alles haben, was irgendwo zugelassen ist ... Das sind Freihandelsfolgen.
In der industrialisierten Landwirtschaft geht es ohne Gentechnologie nicht mehr, will man nicht zu naturangepassten Anbaumethoden zurückkehren; denn die Natur funktioniert nur, wenn dank einer ökologischen Vielfalt die Ausgleichsmechanismen funktionieren können. Und wiederum bieten die USA via Monsanto ihre guten Dienste an: Gentechnologie heisst das Zauberwort. Wer weiss, was menschliche Naturabänderungen (Klimaveränderung, Gewässerbegradigungen, Hochzüchtung von Pflanzen und Tieren, Verseuchung von Luft, Wasser und Böden, Isolation von heilwirksamen Stoffen aus Pflanzen) bis jetzt bewirkt haben, erschrickt vor der Möglichkeit, auch Lebewesen nach menschlichem Mass in ihrer Grundstruktur zu manipulieren; da könnte wirklich alles ausser Kontrolle geraten. Das ökologisch und gesundheitlich verhängnisvolle, abgeänderte Genzeug wird der Welt aus den USA förmlich aufgedrängt. Eine Durchseuchung ist bereits vorhanden. Wer dagegen ist, schadet dem Vereinheitlichungsprozess.
Die Krankheiten von Menschen und anderen Lebewesen, denen man im letzten Jahrhundert noch „Zivilisationskrankheiten“ sagte, breiten sich zunehmend aus, und selbstverständlich werden auch sie nach neoliberalren Grundsätzen verwaltet und ausgewertet. Dazu kommen noch die neu erfundenen und neu konstruierten Krankheiten, vor allem eine wachsende Zahl von chronischen Leiden. Die Krankheitskosten machen bereits gut die Hälfte der Aufwendungen für die Nahrung aus. Über einen unendlichen Behandlungsmarathon werden die durch falsche Lebensweisen begründeten Leiden meistens in eine chronische Form übergeführt. Chronischkranke sind die besten Kunden des Krankheitsgewerbes.
Die meisten Menschen – und auch die an der politischen Front Tätigen – sind nicht in der Lage, das Beziehungsgefüge von Ursache und Wirkung zu durchschauen. Sonst wäre dieser Prozess wohl längst in eine vernünftigere Richtung abgedrängt worden. Man verfolgt die Kind-im-Brunnen-Politik: Zuerst werden neue Technologien wie die Gen- und die Kommunikationstechnologie entwickelt und verbreitet. Und erst dann, wenn das verletzte Kind im Brunnen bereits um Hilfe schreit, beginnt das Nachdenken über allfällige Gefahren und Folgen. Doch unter dem Fallbeil von getätigten Investitionen und feststehender Tatsachen muss heruntergespielt und Zuflucht bei weiteren Heftpflastern gesucht werden, die noch mehr Schaden anrichten.
Tägliche Schadenmeldungen
Auf unserer Webseite www.textatelier.com publizieren verschiedene Autoren täglich Blogs (Tagebuchblätter). Und weil wir uns bemühen, neben alltäglichen Beobachtungen auch die wesentlichen Themen zur Sprache zu bringen, hat etwa jeder 15. Beitrag irgendwie mit der Globalisierung zu tun. Denn es treten immer neue Facetten zutage, auch die Unruhen in den französischen Städten und Vorstädten gehören dazu. Man müsste täglich mehrmals auf neu entdeckte Schäden hinweisen wie auf das Verschwinden von Dorfläden, die Weckung von Verkehrs- und Kommunikationsbedürfnissen, Elektrosmog usf. Die Protestkultur nimmt in allen Völkern zu, die Diskrepanz zwischen Regierenden und Regierten ebenfalls.
Die moderne Industrie ist nicht auf Bedarfsdeckung ausgerichtet, sondern auf Bedarfsweckung. Man trichtert uns ein, was wir alles haben müssen, um „in“ zu sein. Schon die Kleinkinder werden für die Konsumgesellschaft tauglich gemacht und in die Vermassung eingebunden. Damit solch erschreckende Vorgänge weniger auffallen, sorgt eine medial geförderte Spasskultur, zu der ich auch den unglaublichen Rummel rund um den Spitzen- und Spritzensport zähle. Diese Ablenkungen sind ihrerseits Grundlagen für Geschäftemachereien. Bei all dem Rummel sind die Menschen nicht mehr in der Lage, die Vorgänge, die ihr Leben bestimmen und die sie mitbestimmen sollten, überhaupt wahrzunehmen. Und wenn sie sich irreführen, anlügen und ausbeuten lassen, hört der Spass dann bald einmal automatisch auf. Aber sie merken das meistens zu spät.
Spass, Sex und Unterhaltung dürfen sein. Und die Menschen sollen sich vergnügen so viel sie wollen, und auch die Art und Menge der Mittel, die sie dafür einsetzen, ist ihre Sache. Aber wer nicht gerade Zirkusclown von Beruf ist, sollte das Allotria nicht zum Lebensinhalt machen. Es darf so etwas wie ein Dessert sein, aber sicher nicht die Hauptspeise.
Vergrösserung der Armut
Der Freihandel, der auch den Unterhaltungssektor erfasst, ist die Triebkraft der Globalisierungsgeschichte und das zentrale Übel. Er ermöglicht, dass sich eine Elite auf Kosten der Massen bereichern kann. An ihm wollen alle teilnehmen, aber nur die grossen Einheiten besitzen die Voraussetzungen dazu. Er funktioniert nur dank innerstaatlicher Deregulierungen, dank Transportkosten, welche die Umweltschäden nicht abgelten, und ständig intensivierten, grösstenteils nutzlosen Informationsprozessen, die ihrerseits zu einem wachsenden Geschäft werden.
Der Freihandel betrifft alle Waren inklusive Schadstoffe, auch das Trinkwasser, Dienstleistungen (einschliesslich Vermarktung der geförderten Krankheiten), Kapital, Arbeitskräfte. Daraus ergibt sich eine erzwungene Mobilität, die totale Mobilmachung, und weil alles zusammenwächst, werden auch die Risiken ins Unendliche ausgedehnt. Selbst die vor allem durch die USA finanzierte und gelenkte OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) bezeichnet Globalisierung als einen „Prozess, durch den Märkte und die Produktion verschiedener Länder durch die Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen sowie durch die Bewegungen von Technologie und Kapital immer abhängiger voneinander werden“. Daraus erklärt sich auch die Anfälligkeit dieses Systems, das für Kettenreaktionen wie gemacht ist.
Die Globalisierung öffnet auf dieser Basis die Schere zwischen reichen und armen Ländern und Menschen zunehmend, ein allgemein anerkannter Umstand. Das geschieht über die aktiv geförderte Zunahme der Arbeitslosigkeit. Dadurch entstehen neue Formen von Völkerwanderungen, also von transnationalen, transkulturellen Massenbewegungen, und daraus ergibt sich eine unfreiwillige Durchmischung der Kulturen. Das Leben der Aus- und Einwanderer findet nach der Flucht und der Heilssuche in kleinen Parzellen in einem Niemandsland statt. Die Integration gelingt selbstverständlich nicht oder bestenfalls in Zeitspannen, die nach Generationen zu bemessen sind, wenn alles gut gegangen ist. Auch die Eingliederung der Jungen in die ohnehin rationalisierten Produktionsprozesse ist chancenlos. Da nützt das ganze kosmopolitische Gerede nichts. Es entsteht ein Jahrmarkt des Elends für immer mehr Menschen, die nicht zu den Nutzniessern der neoliberalen beziehungsweise neokonservativen Veränderungen gehören. Da bleibt nur noch das Randalieren.
Gewaltfrei randalieren
Da ich zu einem anständigen Menschen erzogen worden bin, lehne ich Anschläge auf jede Form von Leben ab – auch Tiere und Pflanzen mit ihren Lebensräumen haben gleich viele Rechte wie wir Menschen. Sachbeschädigungen, die immer auch mit Umweltschäden verbunden sind, können ebenfalls nicht gutgeheissen werden. Aber dennoch bin ich zu einem Randalierer, zu einem Rebellen geworden. Meine Werkzeuge sind das geschriebene Wort, Druckmedien und neuerdings das Internet. Von „Waffen“ mag ich da nicht sprechen, weil ich keinen Krieg führen, sondern mich einfach mit Hilfe meiner bescheidenen Möglichkeiten aufklärerisch betätigen will, im vollen Bewusstsein, die Erdkrümmung nicht geradebiegen zu können.
Bildungs-Freiheit
Aber wird denn noch gelesen? Zu den verhängnisvollsten Vorgängen, die heute festzustellen sind, gehören die allmähliche Abschaffung der Bildung und damit die Verhinderung des kritischen Denkens. Wahrscheinlich ist das eine Voraussetzung für die weltweite Gleichmacherei. Denn dieser Prozess wäre enorm erschwert, wenn die Menschen entwicklungspolitische Zusammenhänge begreifen und deren Folgen abschätzen könnten. Eine gleichgeschaltete Masse auf tiefem Bildungsniveau, der das kritische Denken abgewöhnt worden ist, kann leichter geführt werden als eine Ansammlung von Individualisten, die ihr Gehirn noch zu gebrauchen wissen. Wer alle Fussball-Resultate aus den vergangenen 10 Jahren im Kopf hat und jeden Balltreter mit Namen kennt, stört die politischen Abläufe in Richtung Amerikanisierung der Welt weniger als einer, der den Wahrheitsgehalt politischer Aussagen ergründen will und der die Lügen erkennt, mit denen die Menschen gegängelt und unterdrückt werden – auch Kriege werden so motiviert. Sie werden mit vielen Bomben, aber einem minimalen Einsatz von Wahrheit geführt. Die Welt wird betrogen und zerstört, und wer die Betrüger und Zerstörer durchschaut und kritisiert, ist ein Störenfried.
Der amerikanische Filmstar Rock Hudson sagte einmal, Individualismus bedeute heute, alles zu tun, was alle anderen auch tun – bloss einzeln. Offensichtlich ist das Angepasstsein zur Maxime der modernen Massengesellschaft geworden. Es gibt eine geistige Elite, die den Tendenzen zur Vermassung widersteht. Ich selber bin vermassungsuntauglich; das ist nicht mein Verdienst, sondern einfach meine Eigenschaft. Und so habe ich es denn auch als grosses Kompliment empfunden, dass eine Verlagsleiterin, als ich noch Chefredaktor des „Natürlich“ war, hintenherum einmal sagte, ich sei „nicht teamfähig“. Die Dame hatte Recht. Besonders Nonsens mochte ich nicht mitmachen. Wenn es zum Beispiel darum ging, in der von mir geleiteten Zeitschrift weiteren Text abzuschaffen – zugunsten von mehr und grösseren Bildern und mehr Weissraum, legte ich mich quer. Der wachsende Weissraum in den Druckmedien signalisiert geistige Leere. Und im Innern schrieb ich ohnehin ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die in die Globalisierung eingebetteten Medien von sich gaben. Ich hatte einen enormen Auflageerfolg, und weil nur die Quote zählt, so liess man mich gewähren.
Die Informationskatastrophe
Eigentlich habe ich das Rebellentum nie gesucht, sondern ich bin ungewollt da hineingerutscht, schlicht und einfach darum, weil mein Bild von der Aufgabe eines ernst zu nehmenden Journalisten seit je darin bestand, die Wahrheit über das Wesentliche zu verbreiten. Selbstverständlich gibt es keine Wahrheit, denn es kommt immer auf den Standort an. Aber es gibt Lügen, Verdrehungen, die oft auf ein Ziel ausgerichtet sind. Und zu den Lügen gehört das Totschweigen von unbequemen, nicht ins Konzept passenden Sachverhalten. Der Journalismus dürfte dazu nicht Hand bieten.
Was meines Erachtens ein Journalist tun sollte und auch tun kann: Sich um Ehrlichkeit bemühen, die Bedürfnisse seiner Leser wahrnehmen und erkennen, den Dingen auf den Grund gehen, so dass er kompetent berichten und kommentieren kann, auch über komplexe Vorgänge wie die Globalisierung. Und er sollte sich selber einbringen und erkennen lassen, wieso oder auf welchen Grundlagen er zu seiner Erkenntnis gekommen ist. Man mag ihm dann widersprechen – Diskussionen sind immer erwünscht und nötig, auch heute Abend –, aber er macht sich wenigstens nicht eines billigen Mitläufertums schuldig.
Beim Bemühen, die wesentlichen Vorgänge zu erkennen, erschrickt man immer wieder darüber, dass diese in den Medien nur randständig bis überhaupt nicht behandelt werden. Viele Menschen leiden unter der Arbeitslosigkeit. Und viele ältere Menschen (über 42) können es kaum überwinden, dass sie vorzeitig aus dem Arbeitsprozess ausrangiert wurden und ihre Fähigkeiten nicht mehr gefragt sind. Man sieht ferner zu, wie in der Weltpolitik unter der ökonomischen Dominanz der USA grossformatige Feindbilder gemalt werden, Propagandamittel für die Einleitung des nächsten Krieges zur Rohstoffsicherung und Machtvergrösserung, und verbreitet sie unkommentiert. Ohne weiteres ist zu erkennen, dass der Naturschutz – ebenfalls nach den Vorgaben des ökologischen Schandflecks USA – abgeschafft wird. Der Schutz der Natur als Wert an sich und die Bewahrung unseres Lebensraums ist kaum noch ein Thema. Und man tut so, als ob all das ein unabänderliches Schicksal sei.
Was ist zu tun?
Die Frage, was unter solchen Voraussetzungen denn zu tun sei, beantwortet sich eigentlich von selbst: Man müsste einfach alles ins Gegenteil verkehren: Weg von der Globalisierung und hin zum Regionalismus. Weg vom Grössenwahn, weg von der Vereinheitlichungsmanie und Rückkehr zum Kleinen, zum Individuellen, Kleinräumigen.
Man sagt ja immer, es gebe Pendelausschläge, gegenläufige Entwicklungen. Und so spricht man denn bereits von Glokalisierung – der Ausdruck geht auf den britischen Soziologen Roland Robertson zurück. Damit ist eine Re-Lokalisierung gemeint, das heisst, man nimmt an, dass Homogenisierung und Heterogenisierung oft Hand in Hand gehen.
Die Heterogenität, also die Verschiedenartigkeit, ergibt sich aus dem Umstand, dass Güter weltweit ausgetauscht und in anderen Räumen mit neuen Bedeutungen und Funktionen versehen werden. Es sind also Multikulti-Aspekte, wenn man die Sache auf einen einfachen Nenner bringen will, und dabei werden selbstverständlich die überlieferten typischen Eigenschaften einer Region, was auch immer man darunter verstehen mag, aufgeweicht, das heisst das angestammte Regionale wird mit Einflüssen aus der Ferne durchmischt. Das ist eine Kreolisierung – das Kreolische ergibt sich im sprachlichen Bereich, wenn Menschen mit verschiedenen Sprachen zusammenleben – es ist eine vereinfachte Mischsprache, eine Behelfssprache. In der Karibik (etwa auf Martinique und Gouadeloupe) sind solche Regionalsprachen bereits anerkannt.
Diese Kreolisierung ist mittlerweile auch zu einem festen Bestandteil globaler Kulturangebote geworden. Wiederum sind es homogenisierende Tendenzen, die auf Vereinfachung und Massentauglichkeit ausgerichtet sind. Auch industriell erzeugte Produkte möchten aus Absatzgründen immer die Bedürfnisse von möglichst vielen Menschen befriedigen können.
Hier kann nur durch eine bewusste, auf die Bevorzugung des Individuellen ausgerichtete Konsumkultur Gegensteuer gegeben werden. Sie sollte sich vermehrt dem Kleinräumigen, Lokalen, Überschaubaren zuwenden – statt dem Globalen, Ortlosen, Unübersichtlichen.
Man beginnt wieder, die lokale Küche mit ihren Spezialitäten statt die internationalisierte mit ihrem Einheitsbrei zu schätzen. Kulturgüter tragen vieles zur Identität von Regionen bei – sie haben sogar eine stabilisierende Rolle – wie umgekehrt die Globalisierung destabilisierend wirkt. Regionale Güter begründen die Vergemeinschaftung, bekunden die Werte einer Region, die so als Lebensraum aufgewertet wird, und auf dieser Grundlage haben auch Schutzbemühungen die eindeutig besseren Voraussetzungen.
Interessant, dass in der kommunistischen Planwirtschaft die Konsumgüter nach universellen Regeln gestaltet worden sind. Regionale Betonungen wurden als reaktionär, kapitalistisch und imperialistisch beschimpft. Und nun sind wir auf dem Weg, genau das herbeizuführen, was zum Niedergang des Kommunismus beigetragen hat: Wir vereinheitlichen, machen gleich, tendieren zum Universalistisch-Genormten und haben das Gefühl, fortschrittlich zu sein.
Die Nivellierung und die Langeweile sind hoffentlich Ansporne für eine Umkehr. Mit meinem Verlagsprogramm versuche ich, solche Trends ein bisschen zu unterstützen. Ich habe im ersten Buch „Kontrapunkte zur Einheitswelt“ mit der Globalisierung abgerechnet. Im 2. Buch „Richtig gut einkaufen“ zeigt Heinz Scholz, was im Lebensmittelsektor abläuft und welche Vorzüge regionale Produkte aus einer überschaubaren, naturnahen Produktion haben. Und im Buch „Bözberg West“ wird eine ländliche Region zwischen Basel und Zürich dargestellt – es zeigt aufmüpfig, wie solch eine Region funktioniert und welche Kräfte auf sie einwirken und sie zum Teil auch verunstalten.
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