Das Hubertus-Wunder
Zum 3. November werden von den katholischen wie auch von den reformierten Kirchen alljährlich überall Hubertus-Messen und Hubertus-Gottesdienste für Jäger und/oder Jagdfanatiker abgehalten. Dabei wird die Wandlung des Grafen Hubertus vom leidenschaftlichen Jäger zum Beschützer des Wildes von den christlichen Glaubensgemeinschaften als Bekehrung eines Heiden zu einem Christen dargestellt. Seit dem frühen Mittelalter und bis heute wird Hubertus als Jagdheiliger vereinnahmt, obwohl die Legende in Wirklichkeit nicht die Jagd, sondern den Schutz des Wildes vor dem Jäger verherrlicht. Ein französischer Schriftsteller hat die alte Legende wie folgt überliefert (kurze Zusammenfassung der Erzählung von Louis Pergaud ):
„Graf Hubertus war ein leidenschaftlicher Jäger, vor dem kein Wild sicher war. In einer mondhellen Nacht im Herbst frönte er wieder einmal der Hetzjagd im fast undurchdringlichen Dickicht eines Waldes und verfolgte mit seinen Treibern und der Hundemeute einen in Panik flüchtenden Hirsch. Der Hirsch erreichte eine Waldlichtung, als in der Dunkelheit plötzlich eine ganz in Licht gehüllte Eiche wie eine brennende Fackel aufflammte, ohne dass sie vom Feuer verzehrt wurde. Der Hirsch näherte sich dem Baum und neigte sich vor dem glühenden Stamm. Als er sich wieder aufrichtete, leuchtete zwischen den Sprossen seines mächtigen Geweihs ein Kreuz aus fauliger Waldrebe.
Nun erreichte auch die Jagdmeute die flammende Eiche und den Hirsch mit dem Feuerkreuz. Sogleich brachen die vorwärts preschenden Hunde stumm zusammen, und die Treiber sanken wortlos vornüber auf den Hals ihrer Reittiere. Schliesslich tauchte Graf Hubertus auf, sah die Feuereiche und den verzauberten Hirsch. Auf seinem sich bäumenden Hengst sitzend, spürte er eine Macht, die ihn daran hinderte, dem Hirsch ein Leid anzutun. Er sprang vom Pferd und fiel vor dem Wunder im Wald auf die Knie.“
So endete die Hirschjagd, und so entstand die Geschichte vom Hubertus-Wunder. Es gibt unzählige bildliche Darstellungen dieses Wunders. Neben anderen Künstlern hat Albrecht Dürer (1471-1528) auf einem Kupferstich die Szene mit dem vor der Eiche und dem Hirsch knienden Hubertus sehr wirklichkeitsnah dargestellt. Heute gibt es keine Jäger mehr, die sich in gewaltlose Heilige verwandeln - leider. Trotzdem kann es nicht schaden zu wissen, dass schon im dunklen Mittelalter Legenden entstanden, die sich kritisch mit dem erbarmungslosen Tun der Menschen gegenüber der Natur und ihren Geschöpfen befassen und zugleich die Vision eines besseren Einvernehmens zwischen Mensch und Tier vermitteln.
Lislott Pfaff
Quelle: „Das Wunder des heiligen Hubertus“ von Louis Pergaud, französischer Schriftsteller, in „Legenden“, Manesse Verlag, Zürich 1990.
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