Hecken zwischen Experten und Rambos
Ein brutales "Naturschutz-Kapitel"“, dargestellt von Heiner Keller
"Hecken mit Krautsäumen und ökologische Ausgleichsflächen fördern die Lebensraumqualität im Kulturland." Solche Allgemeinplätze werden täglich in Presse, Broschüren, Wissenschaft, Verwaltung und Politik als "Naturschutz" verbreitet. Die Botschaft wird stereotyp wiederholt. In der Bevölkerung gibt es kaum mehr Zweifel "über die grosse ökologische Bedeutung von Hecken". Sie bieten angeblich "verschiedenen seltenen Pflanzen, typischen Heckenvögeln, aber auch andern Tierarten Lebensraum als Nahrungs-, Nist- und Rückzugsgebiete". Die Sache ist so selbstverständlich und unbestritten, dass sich bezüglich Hecken niemand mehr zu kritischen Fragen verleiten lässt.
In der Kulturlandschaft des Mittellandes und im Jura waren Hecken noch nie überall vorhanden. Wenn man ältere Bilder betrachtet, waren es vielmehr die kleinen Parzellen und die grosse Anzahl der Hochstamm-Obstbäume, die über weite Strecken Siedlungsränder und Kulturland prägten. Auf den alten Ansichten weniger erkennbar sind die regionale Vielfalt der Kulturen, der Böden, des Klimas und der Mangel an Nährstoffen. Mit viel Handarbeit, wenig Dünger und in Absprache mit dem Nachbarn (nicht jeder hatte eine Strasse zu seinem Land) wurde dem Boden ein karger Ertrag abgerungen. Das war naturschützerisch "die gute alte Zeit", wo ohne "Naturschutz" Feldlerche, Gartenrotschwanz, Braunkehlchen, Baumpieper, Neuntöter und an klimatisch günstigen Orten sogar Steinkauz, Wendehals und Wiedehopf lebten.
Heute dominieren ausufernde Siedlungsflächen, Bauten ausserhalb der Bauzonen, Strassen und Wege über Ebenen und Hügel, metergenau abgegrenzte Waldränder, funktional rationalisierte Aussiedlungshöfe ohne erkennbaren Bezug zur Landschaft, grosse Parzellen, die dank modernster Maschinentechnik mit minimalem Personalaufwand innert Stunden gepflügt, gesät, geerntet und verändert werden können, die Landschaft. Alle Böden sind drainiert, die Bächlein, die Feuchtstellen, die kleinen Unebenheiten sind wegplaniert, aufgefüllt. Das Saatgut ist normiert, die Erwartung an Ertrag und Produktqualität ist riesig. Dünger versauen Böden, Gewässer, Waldränder und die frühere Artenvielfalt nährstoffarmer, ausgepowerter Landschaften[1]. Wer das anhaltende Bauernsterben und den Übergang zur Marktwirtschaft vorläufig überleben will, muss wachsen, Unternehmer werden, sich mehr Land und einträgliche Nebenverdienste sichern.
Aus der früheren Kulturlandschaft gibt es nur wenig Vorbilder für Hecken. Hecken entstanden nach und nach überall dort, wo sich die Nutzung der kleinen Parzellen nicht mehr lohnte: auf alten Lesesteinhaufen, auf aufgelassenen Flächen, an Böschungen, an vorwachsenden Waldrändern, in ehemaligen Rebgebieten und auf Weiden mit reduzierter Nutzung. Alte Hecken sind immer Ausdruck von Grenzen und eines nicht allzu starken oder abnehmenden Nutzungsdruckes. Mit Hecken war kaum Geld zu verdienen, selbst wenn das Holz zum Kochen und Heizen verwendet werden konnte. Normalerweise waren es ältere Leute auf dem Land, welche die Hecken nutzten und ihr kontinuierliches Vorwachsen verhinderten. Wo Rebflächen oder der Ackerbau wieder zugenommen haben, sind die Hecken wieder verschwunden.
Seitdem Naturschutzvereine und Umweltkommissionen auf Restflächen der übernutzten und überpflegten Landschaft Hecken neu pflanzen und seitdem Landwirte für Hecken "als ökologische Ausgleichsflächen" Direktzahlungen aus Bundes- und Kantonskassen geltend machen können, braucht es Anleitungen für das Pflanzen, für die Pflege und die Beurteilung des "ökologischen Wertes". Schliesslich müssen die öffentlichen Gelder und das Tun der Experten mit „ökologischen Leistungsnachweisen“ gerechtfertigt werden. Das formalistische Ausfüllen von Formularen dokumentiert die betriebsame Aktivität des Naturschutzes und vermittelt ein gutes Alibi, dass Gesellschaft und Wirtschaft ruhig weiterwachsen können. Dabei hat die teure, vom Naturschutz unterstützte "Ökologisierung" der Landschaft (Landwirtschaft) bisher weder mehr Markt noch mehr Natur, sondern hauptsächlich neue Subventions-Tatbestände geschaffen.
Weil man eine Vorstellung hat, wie eine artenreiche Hecke aussehen muss, kann man der Natur nicht einfach ihren Lauf lassen. Hecken sind nichts anderes als Vorstufen zum Wald auf kleinster Fläche. Weil im Mittelland und im Jura ohne Zutun des Menschen sowieso alles Wald wäre, ist es logisch, dass bei Verzicht auf Nutzung an jedem Ort zwangsläufig eine Hecke, "eine mit verschiedenen Gehölzarten bewachsene und von einem Krautsaum umgebene Landfläche" ("Aargauer Zeitung"/"AZ", 1. März 2002), entsteht. Diese hat sogar noch die Tendenz, zu wachsen. Weil die Natur eine andere Vorstellung von Vielfalt und Nachhaltigkeit hat als die Menschen, hat sie nicht allen Pflanzen an jedem Ort gleich viel Durchsetzungsvermögen mit auf den Weg gegeben. Eschen, Haselnuss, Brennnesseln, Quecken und andere Arten wachsen bei den heute meist überdüngten Böden schneller als das, was "dem Naturschutz" als vielfältige Hecke vorschwebt. So muss der Mensch nachhelfen, um langsam wachsenden, benachteiligten Straucharten ihren Raum zu verschaffen.
Die gängige Doktrin lautet: Nichtstun ist bei dieser Art Natur-Biotop "das Falscheste". Eine Hecke ist nämlich kein kleiner Urwald. Wie bei der Waldbewirtschaftung oder im Garten braucht es gezielte Eingriffe, mit denen man minderwertige oder übermässig vorhandene Gewächse eliminiert, um den "wertvolleren"Lieblingssträuchern des Naturschutzes an jedem Standort zu genügend Licht zu verhelfen. Alle haben zu tun: Die Experten, die sagen wie, diejenigen, die der hilfsbedürftigen Natur helfen wollen und die Unternehmer, welche die aufwändige Handarbeit mit PS und Knopfdruck erledigen. Als „Umweltbildung“ bietet das Naturama CH-5001 Aarau unter dem Modul 11 "Praktische Heckenpflege" einen öffentlichen Kurs an, der von Theorie über das ordnende Aufschichten von Ästen bis hin zur "professionellen, maschinellen Niederheckenpflege mit dem Schlegelmäher" alles vermittelt.
Während des Kurses vereinigen sich bei den Kursleitern und -teilnehmern die Erinnerung an die frühere Landschaft, die Geisteswelt der eingesetzten Experten, die Hilfswilligen und die Unternehmerprofis, die uns flächendeckend die maschinengerechte Landschaft bescheren. Der Herbst ist die Zeit zum Aufräumen, zum Saubermachen, zum Abrasieren von Wegrändern, Waldrändern, Böschungen, Brachflächen, Hecken und Bachufern.
Der Schlegelmäher ist eine Erfindung der technischen Landbewirtschaftung. Es wird nicht mehr einfach sauber abgeschnitten, sondern zur rascheren Austrocknung oder zur Verkleinerung des Schnittgutes gleichzeitig abgeschlagen und zerquetscht. Ein haushoher Traktor mit klimatisierter Kabine dient als Trägerfahrzeug für montierbare Zusatzmaschinen. Mit dem Schlegelmäherarm werden Gras, Büsche, Äste und Bäume so zerschmettert, dass nur noch kleinste Teile übrig bleiben. Ob 30-jähriges Pfaffenhütchen, armsdicker Weissdorn, Kirschbaum, Waldrebe, junge Eschen, Haselnuss oder Brombeere macht für die Maschinen keinen Unterschied. Alles wird über einen Leisten geschlegelt, egal, ob die Pflanze an diesem Standort rasch oder langsam wächst. Per Knopfdruck, fein steuerbar, kann jede Höhe und Breite der "Pflege" gefahren werden. Das ist natürlich besonders bequem bei Niederhecken entlang von Wegen. Sie geben Geld, brauchen wenig Platz und machen keinen Schatten. Sie können so nieder und so schmal gemacht werden, dass sie den Ertrag angrenzender Felder kaum mehr reduzieren. Zurück bleibt die wüste Spur malträtierter Natur, bestehend aus zersplitterten Stamm- und Aststummeln und einer Schicht aus zermantschter Biomasse. Experten und Unternehmer demonstrieren ihre von der Öffentlichkeit bezahlte Natur. Die Aktivitäten des Naturschutzes richten sich wie selbstverständlich nach den neuesten Maschinen aus. Wer kann es dem Unternehmer verargen, wenn er bei der Arbeit weder die Besonderheiten der gewachsenen Hecken noch die einzelnen Arten erkennen und berücksichtigen kann? Was hier unter dem Deckmantel des offiziellen Naturschutzes abgeht, hat weder mit Natur noch mit Kulturlandschaft etwas zu tun. Es ist nicht einfach alles Natur, weil es dank öffentlicher Gelder in der Landschaft gemacht wird. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Sträucher wieder ausschlagen.
Der Anblick einer so behandelten Niederhecke ist für Spaziergänger gewöhnungsbedürftig... Damit man Telefonen oder Leserbriefen empfindsamer Einwohner entgegnenwirken kann, werden die professionellen Heckenbewirtschafter angehalten, die Bevölkerung mit Tafeln über ihren Einsatz für "mehr Pflanzen und Tiere" zu informieren. Laien, Uninteressierte und Naturschützer werden wortreich mit den neuen Errungenschaften und Techniken der Heckenpflege beglückt.
Ich ärgere mich grün und blau, wenn ich an meinen traditionellen Orten nach Holzäpfeln und Holzbirnen suche und statt dessen Verwüstungen und Belehrungen finde. An die Kühe ohne Hörner, an viele hässliche Aussiedlungen, das mehrmalige Abschlegeln ("Mähen") des Grünlandes, den regelmässigen Tod und das Einpacken unzähliger Kleintiere, Heuschrecken, Amphibien in die Siloballen, daran haben wir uns ja schon gewöhnt oder wir haben es gar nicht gemerkt.
Es ist nichts als folgerichtig, wenn sich die Steuerzahler jetzt auch noch an die Spuren des Naturschutzes gewöhnen. Wenn die Kursleitung durch den Chef Unterhalt kantonale Schutzgebiete, Werkhof Rottenschwil und Mitarbeiter des Naturama im Auftrag des kantonalen Naturschutzes erfolgen, muss das Ganze ja Naturschutz sein. Und wenn das der Kanton Aargau als Naturschutz bezahlt, wieso sollen dann nicht auch andere Kantone, Unterhaltsdienste, Landwirte, Förster und Gemeinden von den Möglichkeiten des Abschlegelns, des Zerschlagens und Zersplitterns unerwünschter und zu grosser Pflanzen profitieren? Auftraggeber und Kursleiter laden sich mit den Kursen eine grosse Verantwortung auf. Sie fördern mit ihrer Propaganda die Weiterverbreitung dieses Unfugs über die Grenzen hinweg. Die Art und Weise des Vorgehens gilt es ganz klar zu hinterfragen und zu diskutieren. Schweigen Sie deshalb nicht, sondern mischen Sie sich trotz Experten und belehrenden Informationstafeln in die Diskussion ein. Wo ist das Vorbild der Natur? Hat es vor unserer Zeit je so etwas gegeben? Müssen wir das heute als Naturschutzmassnahme einfach akzeptieren, weil auch in Land- und Forstwirtschaft so mit der Natur umgegangen wird?
Was bringen die neuen Hecken der Natur? Die Mitteilungen, wie sich die Vogelwelt in der Landschaft entwickelt, sind je nach Sichtweise, Auftrag und Betrachtungsausschnitt sehr unterschiedlich. Frohlockend behauptet die Abteilung Landschaft und Gewässer bezüglich der Vogelwelt in der Aargauer Landschaft: Es geht aufwärts (www.ag.ch/natur2001). Statistisch wird nachgewiesen, dass Mönchsgrasmücke, Bachstelze, Kleiber, Singdrossel, Eichelhäher, Ringeltaube, Sumpfmeise, Feldsperling, Misteldrossel, Elster, Distelfink, Girlitz, Grauschnäpper, Haubenmeise und Waldbaumläufer, alles Arten der Wälder oder der ausufernden Siedlungsränder, zugenommen haben. Erstaunt Sie das, wenn Sie die Entwicklung der Landschaft betrachten? Es wäre eher komisch, wenn es nicht so wäre. Für die seltenen Arten (z.B. die früheren Heckenvögel) lassen sich aufgrund ihres Fehlens oder der geringen Zahlen leider keine Statistiken mehr machen. Also spricht man nicht im Titel, sondern nur im Kleingedruckten von ihrem Verschwinden. So wie es der Aargau kommuniziert, ist Naturschutz immer ein Erfolg. Teile werden herausgegriffen, die Gesamtsicht wird ausgeblendet, die Skala wird laufend der Entwicklung angepasst. Man macht und vergibt Arbeiten nach schematischen, weder den Regionen noch den Besonderheiten der Landschaft angepassten Rezepten. Eine klitzekleine Hecke hat schliesslich überall Platz, auch wenn daneben riesige Felder sind.
Die Vogelwarte Sempach, die sich in der Regel sehr diplomatisch äussert, diagnostiziert im Jahre 2001 (Avifauna Report Sempach, 2001) eine Zunahme von "einigen wenig anspruchsvollen Vogelarten" und eine nach wie vor "schwierige Situation" für Arten der ausgeräumten Kulturlandschaften. Damit der landwirtschaftliche Gesetzesauftrag einer "ökologisch verträglichen Nutzung des Kulturlandes" erfüllt werden kann und sich die bedrohten Kulturlandarten von ihren Bestandesrückgängen erholen können, "müssen die Extensivierungsmassnahmen von Naturschutz und Landwirtschaft gemeinsam grossflächig und in hoher Qualität umgesetzt werden". Mit dieser Formulierung kommt die Vogelwarte den tatsächlichen und immer weniger erfüllten Bedürfnissen der einheimischen Pflanzen und Tieren nahe: Nur auf grossen Flächen, nur auf grossen ungedüngten Flächen, und nur auf Flächen, die sich während langer Zeit bei entsprechend angepasster Nutzung harmonisch entwickeln konnten, entsteht eine vielfältige Kulturlandschaft. Für den neuerlichen Aufbau der Artenvielfalt braucht es eine sanfte und überlegte Weiterentwicklung der bestehenden Landschaft. Die Massnahmen müssen dort beginnen und konzentriert werden, wo es noch Arten zum Erhalten hat.
Hecken sind immer nur Teil einer Gesamtlandschaft, in dem die Tiere des Waldes sind verstecken und verschieben können und wo die Tiere der offenen Landschaft Deckung und Niststandorte finden. Baumpieper und Goldammer nisten am Boden ausserhalb von Hecken. Neuntöter nisten in Dornbüschen und suchen sich ihre Nahrung in den angrenzenden Wiesen und Weiden. Hecken sind nie eine eigene Landschaft, sondern sie sind gleichsam die Weinbeeren in einem Kuchen. Wenn der Kuchen überdüngt, versalzen und ohne Vielfalt an Aromen ist, schmecken auch die Weinbeeren nicht mehr.
So ist auch bei den Hecken: Das Drumherum ist für die Effekte auf die Vögel und die Landschaft viel wichtiger als die schematische Pflege und die Einteilung in Kategorien. Darauf muss auch in einem Heckenkurs das Schwergewicht gelegt werden wenn man sich im Endeffekt nicht aus Bequemlichkeit und purem Opportunismus mit den wenig anspruchsvollen Vögeln der Normallandschaft zufrieden geben will.
Heiner Keller
Quellen
www.naturama.ch
Schweizerische Vogelwarte Sempach: "Die Schweizer Vogelwelt an der Jahrhundertwende. Bericht 2001", www.vogelwarte.ch
Baudepartement Aargau: "Die Vogelwelt in der Aargauer Landschaft. Prospekt 2002", Abteilung Landschaft und Gewässer, 5001 Aarau. www.ag.ch/natur2001
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[1] Dieser Satz hat 2 widersprüchliche Bedeutungen: Die Leute hatten Hunger, übernutzten ihre Landschaft, malträtierten und "saugten" die Böden aus und schufen damit gleichzeitig die entscheidenden Voraussetzungen für die (unnatürliche) Vielfalt an Pflanzen und Tieren ausserhalb des Waldes. Der heutige Bodenschutz und der Überschuss an Nährstoffen ruinieren die Voraussetzungen für die durch menschliche Eingriffe bedingte Artenvielfalt und die extrem nach Untergrund differenzierten Lebensgemeinschaften (Pflanzensoziologie). Ausgepowert und nährstoffarm sind nach heutigem Verständnis durchaus negativ. Der Unterschied zu übernutzten US-Industrieäckern bestand wahrscheinlich lediglich darin, dass sich das Ganze (die Entwicklung) bei uns in einem sehr kleinflächigen Mosaik von Grundbesitz und rasch wechselnden Standortsbedingungen und über eine relativ lange Zeit abspielte.
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