Das Pyhra-Rätsel bleibt
Es wollte mir nicht gelingen, das Pyhra-Rätsel zu lösen – und ich fühle ein grosses Loch – oder wie die Römer gesagt hätten: „Gutta perpetua lapidem perforat.“
Im niederösterreichischen Mostviertel sind Pyhra-Ortsnamen keineswegs selten. Neben Pyhra stehen auch Pyhrabruck, Pyhrafeld, Hochpyhra, Pühring, Pühret und andere; Fohra beziehungsweise Fohregg scheinen sprachlich verwandt zu sein.
1) Die Verbreitung dieser Namen ist recht interessant. Die grösste Häufung fällt ins Voralpengebiet (Flyschzone und Molasse). In der Ebene kommen sie praktisch nicht vor. Mein eigenes Pyhra scheint als östlichster Eckpunkt auf – vorläufig, weil ich noch keine Gelegenheit hatte, die topographischen Karten durchzusehen. Pühret am Traunsee ist ein allerwestlichster Punkt. Südlich davon, in Salzburg, Kärnten und Steiermark, fand sich nichts. Dasselbe gilt gemäss dem Autoatlas für ganz Deutschland. Lediglich in Niedersachsen taucht viermal „Bühren“ auf.
Nördlich der Donau gibt es ein Dorf Pyhra in den Leiserbergen und Pyhrabruck bei Litschau.
Bemerkenswert bei unseren Pyhra-Namen ist das Dehnungs-„h“. Daher setzen sie sich von Namen wie Bad Pyrmont, Bad Pyrawarth (Weinviertel), Pyras und Pyrbaum in der Nürnberger Gegend und auch von den steirischen „Pirk“-Orten deutlich ab.
In Niederösterreich sind die Anlaute zu „p“ verhärtet oder zu „f“ verschliffen. Das entspricht durchaus den indogermanischen Sprachregeln und den mundartlichen Verhältnissen.
2) Wie kommen die Pyhra-Namen zustande? Ihr beschränktes Verbreitungsgebiet deutet eine autochthone Entstehung an, die vielleicht im Zuge der Kolonisation der Voralpen um 800–1000 n.u.Z. entstand. Da die Wurzel germanisch ist, liesse sich an die Awarenzeit und eine Rückzugsbewegung der damaligen Bewohner denken.
Sprachforscher („Niederösterreichisches Ortsnamenbuch“) deuten Pyhra als Birkach, Birket, Birkicht im Sinne von Birkenbach oder Birkengehölz. Obwohl es dafür gute Argumente gibt (siehe unten), wäre mir die Deutung mit „Feuer“ sympathischer. Man könnte bei den oft hochgelegenen und weithin sichtbaren Pyhra-Orten an Plätze denken, wo bei Bedarf grosse Signalfeuer entfacht worden waren. Auf solchen Brandflächen kommt immer Birkenwuchs sehr schnell hoch. Diesen an sich nutzlosen Jungwuchs pflegte man noch in meiner Kinderzeit zur Verschönerung der Fronleichnams-Prozessionen einzusetzen.
3) Ich denke als Alternative auch an „Pirus“ (Birnbaum). Dieses obskure Wort geistert schon seit der Römerzeit durch die Ostalpenlande. An der Donau gab es ein Kastell „Piro Torto“ (vgl. dazu den Fährplatz „Krummnussbaum“ bei Maria Taferl).
Ein möglicher regionaler Bezug zu Birnbäumen wurde mir erst vor 2 Jahren im Awarenlande im Kaukasus bewusst. Dort sind die Waldränder voller Birnwildlinge. Anfangen können die Leute damit nichts, weil sie ja Muslime sind und ihnen ein alkoholischer Most wohl ein Gräuel wäre. Könnte man sie auf niederösterreichische Mostbirnen umpfropfen, so hätte man dort auch etwas zu trinken. Und irgendwann müsste dies ja im Mostviertel geschehen sein – auch so ein Rätsel, das ich im Auge behalten will. Und da die Pyhra-Orte vornehmlich im Mostviertel liegen, allwo die „Landessäure“ reichlich konsumiert wird!
Zu Pirus möchte ich alle Namen ohne die Dehnung im deutschen Sprachraum stellen.
4) An die Deutung von Pyhra als „Birkach“ schliesst der Name unseres Bachs, der Perschling, an. Dieser wird aus einem slawischen Bersna, Berešna (analog zu Beresina) hergeleitet. Das bedeutet auch Birkenbach, obgleich Birken recht selten am Bachufer wachsen. Aber wie immer, Pyhra wäre dann einfache Übersetzung von Berešna.
Die Perschling wird in alten Dokumenten noch „Beršnika“ geschrieben, also „kleine Bersna“. Die grosse wäre dann der heutige Tullnbach, die ja beide fast gemeinsam in die Donau münden.
Es gibt aber noch ein viel stärkeres Argument, und dieses lässt mich an Birkach glauben. Der hinterste Winkel unseres Tals heisst nämlich „Perschenegg“, und dahinter verbirgt sich ein nahezu unverändertes slawisches „Beršnik“ oder, kärtnerisch geschrieben, „Beršnigg“. So weit mein bisheriger Forschungsstand.
Nachwort
Vor einiger Zeit stiess ich auf die historische Auswanderung der Veneter aus dem kleinasiatischen Paphlagonien nach Venetien im Gefolge des Trojanischen Kriegs. Zum Spass sammelte ich alle Nachrichten über dieses weit verbreitete Volk – von der Atlantikküste und Irland bis in die Gegend von Rom und an die südliche Adria, bis zur Nordsee und zur mittleren Ostsee, in den Donauraum und natürlich auch über die Ostalpen und das heutige Österreich. Nicht zu vergessen, dass sie vielleicht als „Philister“ (Name eines nichtsemitischen Volks an der Küste Palästinas) ebenfalls gegen Ägypten wanderten. Im Ostalpenraum wohnten sie gewiss lange vor den Kelten und der Nore als „Nyrax“. Und als eine Stadt schon um 500 v.u.Z. von Hekataios von Milet genannt wird, waren die Noriker mit ihrer Eisenindustrie sicher keine Kelten (die ja erst um 300 v.u.Z. auftauchen), sondern Veneter oder besser: „Windische.“ Die Oberschicht in Virunum hat wohl ein ebensolches Deppenkeltisch bzw. -latein gesprochen, wie sich bei uns heute das Deppenenglisch einbürgert.
Einige slowenische Sprachforscher, noch stark nationalistisch beeinflusst, haben sich auch dieser Frage angenommen und auch versucht, die antiken venetischen Inschriften mit Hilfe des Slowenischen zu verstehen. Wenn es nicht wahr sein sollte, so wäre es jedenfalls gut erfunden, und es wirkt plausibel.
Pyrit kann natürlich nichts mit Pyhra zu tun haben. Er kommt an keinem dieser Orte vor. Wohl aber findet man ihn in den Kalkklippen im Erlauftal bei Scheibbs, wo ich als Kind Pyritknollen aus den Steinen klopfte und diese dann sehr zum Ärger meiner Mutter im Kachelofen „abröstete“. Schliesslich gab es noch Pirene, die „älteste“ Stadt Deutschlands nahe der Donauquelle (Herodot), heute „Pfohren“ genannt.
Prof. Dr. Wigand Ritter
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