Narrengeschichte
Ein armer Flickschuster, dessen Geschäfte ihm nur trockenes Brot einbrachten, verzehrte eines Tages um die Mittagszeit sein kärgliches Mahl vor der offenen Türe einer Bratstube. Köstlicher Bratenduft quoll dickschwadig aus der Türe und ersetzte ihm den Brotaufstrich. Endlich strich er schweren Herzens die Hutkrempe glatt, wo Ahle und Zwirn angesteckt waren, wischte sich umständlich den Mund am Rockärmel ab, kratzte sich hinter den Ohren und dachte übel von seinem Handwerk.
Mit wachsendem Grimm hatte der Koch den Gesellen scheel angesehen und hielt jetzt seinen Augenblick für gekommen, um diesen Kostgänger dingfest zu machen. Entschlossen stürmte er hinter dem Schuster her und packte den Verbafften am Kragen, wobei er bedrohlich seinen Schöpflöffel schwang. „Bezahle für den Bratenduft“, herrschte er ihn an. Das war dem Schuster entschieden zu viel. Er zückte seine Ahle und drohte gegen den Nabel des gegnerischen Wanstes. Der Koch gab ihn frei, sein Bauch schien ihm zu schlecht abgeschirmt hinter der fettübersprenkelten Schürze. Durch den Lärm angelockt, umstand bald eine dicht gedrängte Schar die beiden Streithähne. Auch Hans, der stadtbekannte Narr, hatte sich mit den Ellbögen in die vorderste Reihe der Gaffer hindurchgezwängt. Hilfesuchend wandte sich der Koch an Hans: „Helft mir zu meinem Recht – auch für den Duft musste eine Sau bluten.“
Der Narr räusperte sich voll Wichtigkeit, gebot allseits Ruhe und stellte sich auf die Treppenstufe des nächsten Hauses. „Kläger rechts von mir, Angeklagter links“, sprach er. „Nun, Schuster, gebt mir einen Batzen.“ Geschickt fing Hans die Münze auf, wirbelte sie in die Luft, liess sie aufs Pflaster klingen, biss darauf und kratzte das Geldstück mit dem Daumennagel. „Wohl denn, das genügt. Hier fang dein Geld, Schuster.“
Feierlich begann er sein Urteil zu verkünden: „Hört Kläger und Angeklagter, was das Hohe Gericht verfügt. Des Schusters Geld ist echt. Auch der Bratenduft aus deiner Küche, Koch, ist echt. Somit hat der Schuster, der sein Brot im Duft des Spiessbratens verzehrt hat, den Koch redlich mit dem Klang seiner Münze bezahlt. Das Urteil ist gefällt. Gehet, Koch, und sehet, dass euch der Braten nicht anbrennt, und Ihr, Schuster, sohlt Eure Schuhe.“
Emil Baschnonga
(1969)
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