Kleideraffen und die Form eines „Kuchens“
Diesen Monat zeigt das Kalenderblatt 4 Affen, hinter Gitterdraht auf einem Ast sitzend. Vermutlich ziert dieser für Büromenschen bestimmte Geschäftskalender Büros international: Grossaufnahmen in Grossauflage.
Kleideraffen heissen sie, pygathrix nemaeus, und stammen aus dem südlichen Indochina. Der Text auf der Rückseite der Farbaufnahme teilt mit, dass sie in den oberen Etagen des primären Regenwaldes hausen. Wörtlich zitiert: „Auch unsere Kleideraffen erhalten täglich eine angemessene Grundration in Form eines ‚Kuchens'“ . . . Während die meisten andern Affen nur Markierungen des Kopf- und Analpols aufweisen, sind diese Tiere überall bunt. Sie wirken deshalb auf die Besucher sehr attraktiv und werden auch gebührend beachtet.
Ausdruckslos starren sie über die Pultlandschaften hinweg. Am Monatsersten ärgerten mich diese stillen Gaffer, und ich wollte sie von den Tagen trennen. Inzwischen habe ich mich an sie gewöhnt. Bald werden wir Freundschaft schliessen und einander gegenseitig lausen. Ich werde ihnen meinen vom Sitzfleisch markierten Pol hinhalten, vielleicht auch das fuchsrote Kreisbärtchen am andern. Ich möchte von ihnen wissen, was sie von ihrer Grundration halten. Meine erhalte ich in Form eines Monatskuchens scheinweise.
Die Form des Kuchens sei schlecht, gestand einer der Kleideraffen vorlaut, überhaupt zöge er Naturalien vor, vom Regen benetzt. Da rückten seine Artgenossen sofort von ihm ab. „Du willst über den Regen Bescheid wissen“, höhnte einer, „und wurdest wie wir im Gehege geboren!“
Der Leitaffe ringelte nachdenklich den Schwanz. Verstossen konnte er den Kuchenfeind leider nicht. “Zwangsläufig bleibt mir keine andere Wahl“, kam er innerlich seufzend zum Schluss, und brach eine Doppelration vom Kuchen ab. „Habt ihr nicht gemerkt“, wies er die Abgerückten zurecht, wie er dem allein Sitzenden das Stück Kuchen reichte, „dass er ein Poet ist? Der Regenwald ist abgeholzt.“
Emil Baschnonga
*
* *