Aargauer Rezept für den Auen-Bau
Der Aargau macht seinem Namen alle Ehre. Eine Reportage von Walter Hess
Wasser ist immer willkommen: Bauarbeiten bei Regenwetter im Rohrer Schachen (Aarschächli) [Fotos: Walter Hess]
Man nehme eine grundwasserhaltige Talsohle neben einem kanalisierten Fliessgewässer, die bei grösseren Niederschlägen überschwemmt wird, rode den Wald, häcksle die Baumstrünke, trage das Erdreich zum Teil bis hinunter aufs Grundwasser ab, sorge für hinreichend Wasserzufuhr und warte auf die Artengarnitur, welche diesen Lebensraum freudig beziehen wird. Das Rezept ist verhältnismässig einfach, die politischen Vorbereitungen schwieriger. Es braucht eine einsichtige Bevölkerung.
Der Start zu einem solchen Auenlandschaftsbau ist im Oktober 2003 im Rohrer Schachen (Gemeinde Rohr AG, östlich von Aarau) erfolgt, und wenige Monate später war hier bereits ein kleiner See entstanden, die „Krönung“ der bisherigen Bemühungen um den Auenschutz im Schweizer Kanton Aargau, wie es hiess, und gleichzeitig das grösste Gewässerprojekt seit der Erstellung des Flachsees Unterlunkhofen im Jahr 1975.
Ein Altarm als kleiner See
Im so genannten „Aarschächli“ in Rohr AG (Bezirk Aarau) ging es um die Wiederherstellung und teilweise Neuanlage eines über 300 m langen Aare-Altarms, der heute als 2 Hektaren grosser See mit einer Tiefe von maximal 3 m Tiefe in Erscheinung tritt und allmählich von Pflanzen und Tieren besiedelt wird, sowie um den Bau von 3 Kleingewässern im Rahmen des „Auenschutzparks Aargau“.
Der neue Altarm-See entwickelt sich langsam, aber sicher zu einem artenreichen Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Biber, von denen es im Aargau bereits weit über 60 kräftige Exemplare gibt und die unter anderem im Bereich Rohr – Biberstein mit gefällten Bäume wie Silberweiden markante, landschaftsgestalterische Spuren hinterlassen, sodann Laubfrösche, Eisvögel, Pirole, Äschen und Nasen werden sich unter unzähligen anderen Arten hier allmählich einfinden. Ein Holzsteg am östlichen Ende des Altarms ist der auf menschliche Exkursionsbedürfnisse ausgerichtete Zugang zu einem aufgeschütteten kleinen Hügel. Von hier aus werden den Besuchern attraktive Ausblicke auf die Röhrichtzonen und über die offenen Wasserflächen ermöglicht. Im Übrigen ist der direkte Zugang zum Seelein verboten; es gilt zu verhindern, dass hier ein Rummelplatz entsteht.
Warten auf Besiedelung: Der neu erstellte „Aare-Altarm“ im Gebiet Aarschächli in Rohr
Wie es dazu kam
Der Wiederherstellung von Auenlandschaften im grossen Stil hatte das umweltbewusste Aargauervolk am 6. Juni 1993 zugestimmt. Damit liess sich die Aargauer Kantonsregierung verpflichten, 1% der Kantonsfläche innerhalb von 20 Jahren dafür zu reservieren. Dieses Mengenziel ist mit gut 1600 Hektaren planerisch gesicherter Fläche für Auen bisher sogar um 0,14% übertroffen worden. Das Projekt umfasst Gebiete an Aare (zwischen Aarau und Brugg, im „Wasserschloss“, dem Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat unterhalb von Brugg also, und am Klingnauer Stausee), an der Limmat (Neuhard in Spreitenbach und Chlosterschür in Würenlos), an der Reuss (Reussebene und unteres Reusstal) und am Rhein (6 Projekte zwischen Mellikon und Rheinfelden). Es wird Schritt für Schritt verwirklicht: ein Zurück zu ursprünglichen, naturbelassenen und dynamischen Lebensräumen. Mehr als ein Viertel davon ist bereits an die Natur zurückgegeben worden. Mit Fug und Recht darf der Aargau als ökologisches Vorbild bezeichnet werden, dies sogar in der Zeit der Globalisierung, in der weltweit die Ökobremser Oberhand erhalten.
Grundwasser führender Bach: Giessen im Rohrer Schachen (Bezirk Aarau)
Das grösste Auenprojekt wurde Wirklichkeit
Die Wiederherstellung der Auen im Gebiet Rohr-Rupperswil (östlich von Aarau), wo sich der erwähnte See (eigentlich ein mit Baggern geschaffener Altarm-Ersatz) befindet, ist mit seinen 317 Hektaren das grösste Aargauer Auenprojekt. Die Arbeiten begannen im Herbst 2003 im Aarschächli (östlicher Teil des Rohrer Schachens) mit der Rodung des teilweise standortfremden Waldes. Der Aushub belief sich auf insgesamt 50 000 Kubikmeter Erdreich, die abtransportiert wurden. Sofort bildeten sich Stillgewässer, die ohne Verbindung zur Aare sind und ausschliesslich aus reinem, klarem Grundwasser bestehen. An einem der neu entstandenen Kiesufer war bald einmal ein Ponton für die Bauarbeiter vertäut.
Das neue Stillgewässer wird ohne Verbindung zur Aare ausschliesslich mit Grundwasser gespeist; der Aaredamm aus dem 2. Weltkrieg wurde nicht angetastet. Leider war nicht zu vermeiden, dass einige Giessen diesen umfangreichen Veränderungen zum Opfer fielen. Giessen sind grundwassergespeiste Gewässerläufe, nährstoffarm, sauerstoffreich und gleichmässig kühl mit Trinkwasser von bester Qualität. Die Giessen im Rohrer Schachen sind im Aargau ebenso faszinierend wie einzigartig.
Wie es zur Aare-Kanalisierung gekommen war
Im betreffenden Gebiet war die Aare während des 2. Weltkrieges im Zusammenhang mit dem Bau des Flusskraftwerks Rupperswil-Auenstein hinter einem Damm kanalisiert worden; linksufrig (nördlich) bildet der Jurasüdfuss die Begrenzung (Gemeinden Biberstein und Auenstein). Damit wurde das trockengelegte Flussbett der einst mäandrierenden Aare für die Land- und Forstwirtschaft nutzbar; auch die letztere richtete sich eher auf wirtschaftliche denn ökologische Kriterien aus. Diese Veränderungen werden nun zum Teil wieder rückgängig gemacht, wobei selbstverständlich der ursprüngliche Zustand mit dem praktisch unbegrenzten Aare-„Auslauf“ nicht mehr erreicht werden kann.
Das Projekt zur teilweisen Wiederherstellung der Auenlandschaft im Gebiet Aarau –Rohr – Rupperswil steht im Zusammenhang mit dem geplanten Staffeleggzubringer zur Entlastung der Aarauer Innenstadt (Ostumfahrung) und des Dorfzentrums Küttigen AG. Damit sollen die im Zusammenhang mit dem Strassenbau unvermeidlichen Eingriffe in die Natur, vor allem auch im idyllischen Horenbachtäli in Küttigen, einigermassen kompensiert werden. Dieses Strassenbauprojekt war sehr umstritten; doch im Sommer 2004 fuhren die Bagger im Gebiet Kirchberg/Wissenbach (Gemeindegrenze Küttigen/Biberstein) auf; die juristischen Hindernisse waren beiseite geräumt.
Opfer des Altarmbaus: Giessen im Rohrer Schachen
Ökologische Aufwertung
Das Ziel der gewässerbaulichen Tätigkeiten im Rohrer Schachen (Rohrerschachen) bestand in einer ökologischen Aufwertung dieses Gebietes zwischen Aarau und Rupperswil; denn Auenlandschaften sind die artenreichsten Lebensräume überhaupt. Diese Idee geht auf den Geografen, alt Kantonsschullehrer und ehemaligen Präsidenten des Aargauer Bundes für Naturschutz, Dr. Gerhard Ammann, Auenstein, zurück. Er hat sich immer wieder für Gewässerrenaturierungen eingesetzt, eine enorme Aufklärungsarbeit geleistet und tut es noch heute unter grossem persönlichem Einsatz.
Der ehemalige Aargauer Baudirektor Thomas Pfisterer, der das Projekt ebenso tatkräftig und mit politischem Einfühlungsvermögen wie seine Nachfolge vorantrieb, sagte einmal treffend, man könne nirgends mit so wenig Aufwand so viel für die Natur tun wie mit der Wiederherstellung von Auen. Das Wesentlichste ist die Sicherung des nötigen Landbedarfs. In der Kantonsverwaltung des Kantons Aargau ist bemerkenswert viel Verständnis für ökologische Zusammenhänge vorhanden, eine hervorragende Voraussetzung für praktizierten Naturschutz.
Förderer naturnaher Gewässer: Gerhard Ammann an der durch Störsteine belebten Suhre zwischen Attelwil und Moosleerau AG
Der umweltbewusste Wasserkanton
Die Auen-Biotope gehören übrigens zu den weltweit gefährdetsten Lebensräumen. Mehr als 10% der bedeutenden Auen der Schweiz befinden sich im Aargau (Reussebene, Wasserschloss im unteren Aaretal, Klingnauer Stausee usf.).Dieser „Wasserkanton“ zeigt sich seit je umweltbewusst, und das in reichem Masse vorhandene Lebenselement Wasser, ob es in Form von Fliess- oder Stillgewässern beziehungsweise als Grundwasser auftritt, wird heutzutage seiner Bedeutung entsprechend geehrt und geschützt, ebenso die Lebensräume für Pflanzen und Tiere, die auf wasserreiche Biotope angewiesen sind: Zwergtaucher, Wasserrallen, Ringelnattern, Kleinspecht, Pirol und viele andere. An allen Flüssen werden Auen renaturiert. Auch die kleineren Fliessgewässer werden allmählich wieder aus ihren Korsetts befreit und mit Störsteinen belebt, wodurch die Erholungsqualität der Aargauer Landschaft enorm aufgewertet wird. Der Aargauer Art entsprechend, geschieht das mit wenig Getöse.
Der Name Aargau (Aare-Gau) stammt aus dem Alemannischen und bedeutet „Land am Wasser“. Er bezeichnet also ein Gebiet, das durch die Dynamik und die gestaltende Kraft von Flüssen und Bächen geprägt ist. Eine Zeitlang herrschte die Ansicht vor, man müsse diese Fliessgewässer unbedingt bändigen. Sie wurden gezähmt, eingedämmt, und Staumauern verlangsamten ihren Lauf – der Aargau wurde zum „Energiekanton“. Seit wenigen Jahrzehnten aber ist die Tendenz vorhanden, die erstarrten Landschaften wieder zu beleben, Hochwasser zu begrüssen (Wässermatten) und dafür zu sorgen, dass bei starken Niederschlägen das Wasser nicht auf schnellstem Wege abfliessen und in besiedelten Gebieten zu Überschwemmungen führen kann. Es ist ein teilweises Zurück zur ursprünglichen Natur.
So wird aus dem Wasserkanton Aargau ein Auenkanton, ein Begriff, der sein Ansehen mehren wird. Der Bundesauftrag aus der am 29. Oktober 2003 veröffentlichten, geänderten Auenschutzverordnung wird hier offensichtlich erfüllt: „ Die Kantone sorgen dafür, dass bestehende Beeinträchtigungen, insbesondere der natürlichen Dynamik des Gewässer- und Geschiebehaushalts von Objekten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit soweit als möglich beseitigt werden“ (Artikel 8).
Walter Hess
Hinweis
Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch die Miniatur „Die Aue“.
Mehr Bundesschutz für Amphibien und Auen In der Schweiz sind insgesamt 282 Auengebiete mit einer gesamten Fläche von 22 618 Hektaren unter Schutz (Stand 2004). Der Bundesrat hat das Bundesinventar zum Schutz der Auengebiete von nationaler Bedeutung entsprechend Ende 2003 ergänzt; insgesamt wurden 55 neue Objekte ins Inventar aufgenommen. Damit nähert sich dieses Inventar dem Ziel an, möglichst alle wichtigsten Auengebiete der Schweiz unter nationalen Schutz zu stellen. Ebenfalls ist das Inventar der Amphibienlaichgebiete um 72 Objekte auf total 770 Laichgebiete erweitert worden, wobei der grösste Zuwachs in den Kantonen Bern und Thurgau erfolgte. Neue national bedeutende Gebiete findet man in Agglomerationsnähe (z.B. die „Wehrliau“ an der Aare in Muri bei Bern) und auf Alpen (z.B. auf der grossen Scheidegg). Die offizielle Mitteilung aus dem Bundeshaus verwies auf die alarmierende Lage der Amphibien (95% der Arten sind auf der Roten Liste) und der Auen (90% Verlust im letzten Jahrhundert) mit ihrer sehr hohen Artenvielfalt und den dringenden Schutz. Geschützte Gebiete sollen gefährdeten Arten den für ihr Überleben notwendigen Lebensraum sichern. Der Schutz darf nicht nur auf dem Papier bestehen, wie das in landschaftsschützerischen Belangen sonst vielfach der Fall ist. |
Hinweis
Bilder und Texte zu den Auengebieten und Gewässerrenaturierungen im Aargau können jederzeit von Textatelier bezogen werden (Kontakt).
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