Kurzgeschichten von Emil Baschnonga
Das Mullah-Trio
Der Geschäftsvorstand meines Arbeitgebers wurde umgekrempelt. Bald roch ich die Lunte: mein neuer Vorgesetzter mochte mich nicht leiden und schob mir seinen Favoriten vor die Nase. Ich war auf dem Abstellgeleise und schaute mich nach einer neuen Stelle um.
Hoher und kaufkräftiger Besuch aus Arabien wurde erwartet und erschien in Gestalt von 3 bärtigen Mullahs. Sie sprachen weder deutsch noch englisch, und so kurzfristig war kein Dolmetscher aufzutreiben.
In dieser peinlichen Situation wurde ich als ‘Sprachgenie' ins Sitzungszimmer beordert, wiewohl ich kein Arabisch spreche. “Sie werden den Rank schon finden” , meinte mein Chef mit gequältem Ausdruck.
Dreimal sagte ich ‘Salam Alaikum!' und schüttelte die Hände der 3 vermummten Mullahs, die höflich ihre Turbane senkten. Dem folgte das zweite und letzte Wort meines Sprachschatzes. „ Inschallah“ , wiederholte ich rasch mehrmals. „Inschallah“ , erwiderten sie ihrerseits mehrmals. Die andalusische Mundart, erinnerte ich mich zum Glück in der Not, klingt ganz arabisch. So legte ich einfach los und quatschte ins Blaue. Das belebte die 3 Mullahs ungemein, und sie gaben mir in ihrer eigenen Sprache tüchtig zurück.
So verlief dieser erste Antrittsbesuch glänzend. Dank Zeichensprache und Armbanduhr konnte ich ausmachen, dass die 3 Mullahs anderntags um 10 Uhr ihren zweiten Besuch abstatten werden.
“Es steckt mehr in Ihnen, als ich annahm”, meinte mein neuer Vorgesetzter. Der Vorsitzende der Geschäftsleitung klopfte mir erfreut und energisch auf den Rücken.
Der Besuch der Mullahs wurde verlängert. Ab dem dritten Tag gewann ich die 3 Mullahs lieb, wie mein Stellenwert in der Firma hochschnellte.
Die Mullahs brachten Dokumente, diesmal auf Englisch von der Botschaft aufgesetzt. Diese wurden wacker revidiert mittels Kugelschreiber meinerseits im Sinne der Firma. „Inschallah“ , der Vertrag wurde allseits unterzeichnet! Nach der Sitte des Landes überreichten mir die 3 Mullahs ein Abschiedsgeschenk: den Koran, arabisch auf Goldblatt handgeschrieben. Ich würdigte und verdankte das Geschenk auf andalusisch.
Die Firma bot mir die Stelle meines Vorgesetzten an und einen Sitz im Vorstand.
Mein arabischer Sprachschatz hat sich inzwischen erweitert.
(August 2002)
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China im Anzug
Jemand klopft an der Türe eines Hotelzimmers in Hongkong. Der Hotelgast, ein Geschäftsmann aus Boston, liegt erschöpft auf dem Bett. Sein Magen ist verstimmt. Nichts ausser Ruhe will er haben. Aber schliesslich muss er dem hartnäckig andauernden Klopfen nachgeben. Er öffnet die Türe. Ein sprenzliger Chinese steht Miniatur im Türrahmen.
Er sei Schneider, schlägt dieser geschäftig zum Beweis die Stoffmuster wie einen Bilderbogen auseinander.
Der Gast lehnt verärgert ab, sagt, er brauche kein Kleid.
Ob er es brauche oder nicht, spiele keine Rolle, meint der Chinese und mustert den Geschäftsmann entzückt wie ein Leibgericht. Er habe ganz einfach Lust, ihm einen Anzug zu machen. Ihm.
„Ausserdem bin ich krank”, versucht der Heimgesuchte den aufdringlichen Schneidergesellen von seinem Vorhaben abzubringen.
Allein die unheimliche Lust des Schneiders gewinnt Schritt für Schritt Zimmerfläche. Schon nimmt er dem verdatterten Opfer Mass längs und rund um den Bund und will ihm die Musterkollektion reichen. „Ich verstehe schon”, nickte der Schneider nachsichtig, „selbstverständlich können Sie sich ruhig auf meinen guten Geschmack verlassen.“
Anderntags bringt ihm der Schneider den Massanzug. Der Gast kann nichts gegen die gute Arbeit einwenden. Tadellos sitzt der Anzug.
Zurück in Boston prahlt der Geschäftsmann unter Bekannten: „So spottbillig, nur x Dollars, wenn man sich ein bisschen im Osten auskennt.“
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Epilog: Die Welt ist China. Im Reich der Mitte leben heute rund 1,3 Milliarden Menschen auf annähernd 10 Millionen km 2 , in 21 Provinzen aufgeteilt. Hinzu kommt als 22. Provinz die Übersee mit ihren „China towns“ überall und vorderhand noch sehr aufs Kulinarische ausgerichtete Zellen. Im Gegensatz zum Abendland trägt der Chinese seine Geschichte stolz und sendungsbewusst durch die Gegenwart in die Zukunft. Der Taoismus als objektiver Idealismus verkraftet den Kommunismus auf seine Weise. Somit wäre es kurzsichtig, in China bloss einen weiteren Absatzmarkt zu sehen, jetzt da diese Welt ihre Tore öffnet.
(1979, aktualisiert)
Zur Person
Emil Baschnonga, 1941 in Basel geboren und aufgewachsen, lebt seit 1970 im Londoner Vorort Wimbledon. Neben seiner beruflichen Arbeit als Berater auf dem Lebensmittelbereich (Strategie, Markteinstieg, M&A) in seiner 1989 gegründeten Praxis schreibt er Aphorismen, Kurzgeschichten, zeitkritische Essays. Seine Vorliebe gehört der Kunst der knappen Form. Im September 2004 hat er sein Manuskript “EMMA Eine altertümliche Liebesnovelle aus der Gegenwart“ beendet.
Er beabsichtigt jetzt, sich seinem Steckenpferd mit uneingeschränkter Schreiblust in seiner angestammten Sprache zu widmen.
Nebst dem spielt Emil Baschnonga recht und schlecht Geige, sammelt beflissen Druckgrafik (Jugendstil, Art Deco), hauptsächlich französischer Provenienz. Aus dieser Sammelleidenschaft ist wiederum dieses Jahr ein Manuskript entstanden: „Art Nouveau Art Deco: Illustrated Music Sheet Covers in Europe Post ers in Miniature.“ Demnächst wird er sein eigenes Netz zum Vertrieb seiner Sammlung einrichten.
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