Philippinen: Beschreibung eines unbeschreiblichen Archipels
Erinnerung an eine Reise im Januar 1992 von Walter Hess
Sie waren zuerst da: Ifugao-Angehörige im Gebiet Banaue (Luzon) [Fotos: Walter Hess]
Bohol ist eine der 7107 Inseln, die zusammen die südostasiatische Republik Philippinen ausmachen; davon sind 1195 besiedelt, 4000 namenlos und hauptsächlich von Meeresvögeln bevölkert. Allerdings: Was im philippinischen Sinne eine „Insel“ ist, habe ich auch an Ort und Stelle nicht herausfinden können.
Im Zentrum dieser Ansammlung von Erhebungen vulkanischen Ursprungs befinden sich die Visayas; die Mehrzahl des philippinischen Archipels gehört dazu. Und im Süden der Visayas wiederum befindet sich die erwähnte Insel Bohol. Dieses Stück Erde, das im Südchinesischen Meer zu schwimmen scheint, mit seiner üppigen tropischen Vegetation ist nicht allein von unzähligen Inselchen, sondern auch von zahllosen Sandbänken und Korallenriffen umgeben und wird aus diesem Grund von der Schifffahrt gemieden. „Gottes kleines Paradies“ nennen die rund 800 000 einsamen Boholaños ihren 4117 km2 (entsprechend der doppelten Fläche des Kantons St. Gallen) umfassenden Lebensraum bezeichnenderweise; denn auf dieser hügeligen, zehntgrössten Insel des Landes und an ihren Rändern sind die vielfältigen Reize der philippinischen Inselwelt dicht versammelt: wunderschöne, kaum berührte Sandstrände, von Kokospalmen gesäumt, wild bewaldete Berghänge, pittoreske Fischersiedlungen und wuchtige architektonische Relikte wie zerfallende barocke, altspanische Gotteshäuser, die an mittelalterliche Festungen erinnern, an die Zeit der Unterjochung durch Spanien und durch die katholische Kirche, die im Lande noch heute die den Alltag bestimmende Macht ist. Die spanische Krone verteilte Ländereien an prominente Clans, die sich vielfach bis heute halten konnten. Man spricht von 200 Familien, die das politische Geschehen noch heute massgeblich beeinflussen.
Widerstand gegen die spanischen Eroberungsgelüste: Lapu-Lapus Getreue kämpfen gegen Fernão de Magalhães (Magellan) auf Mactan (Gemälde)
Schon weit vor der spanischen Kolonialzeit hatten chinesische Handelsdschunken die benachbarten Länder erreicht. Im Laufe der Zeit wanderten mehr und mehr Chinesen aus den verarmten chinesischen Küstenprovinzen nach Südostasien aus. Durch ihren Arbeitseifer und sparsame Lebensweise konnten sie die Wirtschaft dieser Länder beherrschen. Die so genannten Überseechinesen sind heute eine unglaubliche Wirtschaftsmacht. Der Wucher ist sicher eine Folge dieser Entwicklung. Die einheimische Bevölkerung war hauptsächlich malaiischen Ursprungs; sie lebte in äusserst fruchtbaren Umgebungen und musste nicht ums Überleben kämpfen wie es für die Einwanderer aus China gewohnt waren. Anstatt hart zu arbeiten und Güter aufzustapeln, freuten sie sich des Lebens und tun dies heute noch.
Symbolträchtige Kokospalme
Die überall vorhandene Kokospalme, dieser „Baum der Mannigfaltigkeit“, mit der Gleichzeitigkeit von Blüte, Reife und Vergehen, ist bezeichnend für die zyklische Lebensart der genügsamen Filipinos: Junge und alte Menschen leben in den Dorfgemeinschaften friedlich zusammen; es gibt kaum Rollen und trennende Elemente. Sie lieben das Herden-Verhalten und kennen keine Kontaktarmut - nichts, was einfacher ist, als mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Voller Bewunderung für den wunderschönen Archipel: Magalhães Ankunft (Gemälde im Hotel „Bohol Beach Club“)
Die Kokosnüsse sind für sie eine wichtige Nahrungsquelle und zugleich ein Exportartikel (sie werden z. T. als Tierfutter verwendet). Das Innere (Buko Juice), ein wichtiges Getränk, besonders dort, wo das Trinkwasser nicht über alle Zweifel erhaben ist und in rostigen Zisternen herangekarrt werden muss. Bei Reisen in Tropenländern benutze ich deshalb jede Gelegenheit, das wohlschmeckende, mineralstoffreiche Nusswasser statt chemische, künstlich gefärbte und aromatisierte Softdrinks zu konsumieren und das weiche süsse Nussfleisch auszulöffeln: Das Kokosnuss-Wasser ist sehr rein, ja keimfrei, so dass es im Notfall selbst als Infusion benutzt werden kann; die ayurvedische Medizin hat die Kokosnuss schon längst entdeckt. Ihr Wasser enthält einen Elektrolyten, der den Körper vor dem Austrocknen bewahrt.
Die Kokosmilch wird folgendermassen gewonnen: Das zerriebene markige Kernfleisch wird mit dem Nusswasser vermischt und durch ein Tuch gedrückt). Diese Milch wird auch gern für das berühmte Piña-Colada-Mixgetränk verwendet: je 1/3 Kokosmilch, Ananassaft und Rum. Kokosmilch kann auch als Haar- und Hautpflegemittel benutzt werden.
Die unterdrückte Freiheitsliebe
Die Boholaños hegten und hegen neben ihrer Glückseligkeit unter Kokospalmen seit je eine tief sitzende Freiheitsliebe und dementsprechend einen ausserordentlichen Zorn gegen die spanische Bevormundung in weltlichen und religiösen Belangen. Weil man sie nicht in Frieden liess, scharten sie sich 1744 um Francisco Dagohoy und wehrten sich gegen die aufsässigen Spanier, allerdings nicht eben mit durchschlagendem Erfolg. Auf der Insel Mactan (neben Cebu, siehe unten) hatten schon am 27. April 1521 der Stammeshäuptling Lapu-Lapu , ein Datu, den portugiesischen Eroberer Fernão de Magalhães (Ferdinand Magellan) , der dann Spanier geworden war, umgebracht. Magellan war voller Bewunderung für den Archipel gewesen, was durchaus verständlich ist, und taufte ihn „Philippinen“ - nach dem spanischen König Philipp II. Trotz philippinischer Revolten konnten sich die Spanier jahrhundertelang halten und den Filipinos ihr Recht, ihren König und den katholischen Glauben aufzwingen.
Die katholische Kirche hat nach wie vor eine unheimliche Macht: Vor der Mai-Abstimmung 2004 war in einer lokalen Zeitschrift zu lesen, wie eine Frau, die für ein Amt im Cebu um Stimmen warb, wohl keine Chance habe, denn die Kirche halte die Mitglieder an, nicht für sie zu stimmen, weil sie vor ein paar Jahren für ein Gesetz Ja gestimmt hatte, das ein Abtreibungsmedikament gestattet hätte…
Die Philippinen haben eine der höchsten Bevölkerungswachstumsraten in Südostasien; rund 23 Jahre genügen beim heutigen Vermehrungstempo für eine Verdoppelung. Die Einwohnerzahl betrug während meiner Exkursion 63 Millionen, heute (2004 sind es über 80 Millionen). Es wimmelt förmlich von jungen Menschen, die eine Existenzmöglichkeit, ein Auskommen suchen.
Die Geschichte wirkt nach: Der Erfolg der Eroberer hatte mit der guten technischen Ausstattung ihres Repressionsapparates zu tun. Der philippinische Historiker Teodoro A. Agoncillo kam zudem zu folgender Einsicht: „ Es war nicht die militärische Überlegenheit oder die wirkungsvolle Kolonialherrschaft, die, um tatsächlich effektiv zu sein, Hunderte von Verwaltungsbeamten erfordert hätte; es war vielmehr die Anwesenheit des Klerus, der die Eingeborenen fügsam machte und in niederster Unterwerfung hielt.“
Unterdrückungswaffen
Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Die auf ihre Macht bedachten katholischen Mönche setzten die üblichen klerikalen Unterdrückungswaffen ein; sie drohten laut Agoncillo mit Höllenstrafen, Exkommunikation, erliessen Verbote und forderten blinden Gehorsam. Der Historiker Renato Constantini zu diesem trüben Kapitel Religions-Weltgeschichte: „Die Mönche haben Gott auf der Seite des Kolonialismus eingesetzt (...). Als die eigentlichen Architekten des kolonialen Gebäudes gestalteten die Priester eine theokratische Gesellschaft mit der Religion nach spanischem Zuschnitt als Mittelpunkt.“
Die Verbindung von kirchlicher und weltlicher Macht ermöglichte ein besonders effizientes Ausbeutungssystem. Auf diese Weise wurden die Philippinen zum einzigen mehrheitlich katholischen Land in Asien, erzwungenermassen. Das widerspenstige Bohol bildet da keine Ausnahme. Die Kolonisatoren aus Spanien und ihre Nachfolger, die Amerikaner (ab 1898), sind inzwischen ebenso abgezogen wie die Japaner, die sich 43 Jahre später an die Macht gebombt hatten. Der Klerus aber und die kirchlichen Machtstrukturen sind geblieben, ebenso der US-amerikanische Einfluss.
Die Fahrer der Tricycles (zu dreiplätzigen Dreirädern erweiterte Mofas) sind verpflichtet, fromme Sprüche auf die Heckwand zu malen (Leseprobe: „Read, live, share the Bible”).
Die Schokoladen-Seiten
Das gesamte Inselinnere von Bohol ist ein landwirtschaftlich intensiv genutztes Plateau: Kokosnüsse, Rattan für Möbel und Nipa-Palmen. Diese Palmenart besitzt einen kurzen Stamm und gefiederte Blätter. Nipa-Palmen sind vielseitig verwendbar: als Bedachungsmaterial, Zigarettenpapier, Zuckerbonbons, Tee-Ersatz, Haarfestiger, und aus dem Saft werden Wein und Spirituosen zubereitet.
Bohol fällt im Norden sanft, im Süden dagegen abrupt zum westlichen Pazifik ab. Im Zentrum dieser zentral gelegenen Insel befinden sich die berühmten Chocolate Hills , ein geologisches Kuriosum. Die bis 100 m hohen, mit Gras bewachsenen Hügel, die sich wie Halbkugeln, wie überdimensionierte weibliche Brüste, die alle schönheitschirurgischen Ausdehnungen um Grössenordnungen übertreffen, aus einem weiten, etwa 500 m ü. M. liegenden Plateau erheben, sind einzigartig auf der Welt. Sie sehen wie eine aufgeblasene Ausgabe der Hügelgräber auf Bahrain aus. An Riesenpralinen aus Schokolade erinnern sie in Zeiten von Trockenheit, wenn das Gras dürr und braun ist. Bohol kennt allerdings keine ausgeprägten Regen- und Trockenperioden; mit etwas Regen kann jederzeit gerechnet werden, ein Segen für die Menschen und die Natur.
Nach den bis heute aufgetauchten Theorien handelt es sich bei den Chocolate Hills entweder um kleine Vulkankegel oder aber um Korallengebilde, die sich im Meer gebildet hatten und durch Meeresströmungen ihre runde Form erhielten, worauf sich die Erdkruste anhob. Vielleicht war es auch anders.
Ein Wohltäter von Format: Alfonse L. Uy
Bekanntschaft mit Alfonso L. Uy
Mein Bruder Rolf P. Hess und ich waren am 20. Januar 1992 um die Mittagszeit auf dem Flughafen Tagbilaran, der Hauptstadt von Bohol, gelandet, um diese Insel zu erforschen. Über einen Freund hatte Rolf, der seit Jahrzehnten in Asien (Hongkong) tätig ist, Kontakt zum chinesischen Geschäftsmann Alfonso L. Uy gefunden.
Uy empfing uns am Flugplatz-Ausgang, begleitete uns zu seinem Auto, das von einem pockennarbigen, freundlichen Chauffeur gesteuert wurde. Uys zurückhaltendes, bescheidenes und ruhiges Wesen deutete in keiner Weise an, dass es sich bei ihm um den einflussreichsten Mann der Insel handelte. Er trug ein wohlfeiles, Glück verheissendes, rotes T-Shirt und begleitete uns in ein pfahlbauartig über dem Wasser erstelltes Restaurant, das sich auf Meeresfrüchte spezialisiert hat.
Bankinhaber Uy hatte zu unseren Ehren das gesamte Direktorium seines Unternehmens, angeführt vom Präsidenten Argeo Melisimo , eingeladen, lauter gebildete und interessierte Herren. Es wurde munter über das philippinische Land und die Leute gesprochen, auch über den Verlust der vorkolonialen malaysischen Kultur, insbesondere wegen der ü ber 300-jährigen spanischen Kolonialepoche sowie wegen der mehr als 50 Jahre dauernden Kolonialherrschaft der USA. Und: „Die Spanier haben die Filipinos dazu erzogen, Siesta zu machen“ , warf einer unserer in ökonomischen Fragen versierten Gesprächspartner ein. Die Sonne brannte und verlockte zum Nichtstun. Der Mittelmeerraum schien nicht weit zu sein.
Die Filipinos bestanden vor der Ankunft der Spanier im 16. Jahrhundert aus teilweise nomadischen Volksgruppen, die damals muslimischen Einflüssen unterworfen waren, die im Süden des Landes noch heute dominant sind. Die geografische Lage hat die Inselgruppe jahrhundertelang zum Kreuzungspunkt der Ausbreitungswege der morgen- und abendländischen Kultur gemacht; das Gesicht des Archipels wurde andauernd umgestaltet.
Romantische Winkel: Dorfrand von Sagoda
Crevetten aus der Farm
An unserem Tisch wurden Fische und Crevetten (Garnelen) in Mengen aufgetragen, grosse Teller voll und dampfend, und wir wurden aufgefordert, tüchtig zuzugreifen: „Seafood kostet hier nicht viel.“ Frische Fische und Krustentiere aus sauberem Wasser: Das schmeckte vortrefflich.
Allerdings fiel uns anschliessend bei der Besichtigung der riesigen Prawn Farm (Crevetten-Mastbetrieb, eine Aquakultur), in deren Bassins je 200 000 Tiere lebten, wie Schuppen von den Augen, dass die industrialisierte Nahrungserzeugung auch hier schon grosse „Fortschritte“ gemacht hatte. Die junge Betriebsleiterin Ma Perpetua B. Paid erwies sich als auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die auf Produktivität beziehungsweise Massenproduktion ausgerichtet sind.
Arbeiter schöpften Algenfetzen aus den rechteckigen, an Kaffeebrühe erinnernden Weihern. Das vor allem aus Fisch- und Sojamehl bestehende und mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherte Futter für die Krustentiere war mit „Attractants“, welche die Fresslust förderten, ferner mit Antioxidantien und Antibiotika versehen. Meine eigene Prawns-Fresslust wird seither im Zaume gehalten . . . es sei denn sie kommen nachweislich aus biologischer Produktion, wie es sie in Vietnam, Ecuador usf. gibt.
Folge der Überbevölkerung: Wohngebiet der Armen unter der Brücke Cebu-Mactan
Hausgemachte Entwicklungshilfe
Uy hat 1989 auf Bohol die „FCRB Livelihood Foundation, Inc.“ gegründet, die an seine First Consolidated Rural Bank angegliedert ist. Diese gemeinnützige Stiftung zur Finanzierung des Lebensunterhaltes von anderen Leuten ist exakt auf die Bedürfnisse der Insel-Bevölkerung zugeschnitten.
So hat die Stiftung beispielsweise nach einem Taifun 78 Personen zu einer neuen Existenz verholfen. Genossenschaftliche Vereinigungen, welche das Los der Landwirte verbessern, werden ebenfalls unterstützt; 10 der 47 Bohol-Gemeinden hatten damals noch keinen solchen Zusammenschluss. Existenzverbessernde Projekte wie eine Meersalzgewinnungsanlage und die entsprechende Salz-Vermarktung lagen vor.
Laut Dionisio Baseleres , der die Stiftung im Auftrag Uys mit Sp ü rsinn f ü r den Schutz von Natur und Kultur leitete, werden auch Einzelhändler unterst ü tzt, die ihr Geschäft oft auf Kreditbasis mit Wucherzinsen (um 20%) angefangen haben und sich immer mehr verschulden; sie werden aus dieser Kostenspirale befreit. Das Geldleihgeschäft hat sich fast überall in Asien zu einer wahren Land- und Menschenplage entwickelt; dieser Wucher hat neue Formen von Sklaverei hervorgebracht (so auch in Indien). Denn bei allen möglichen Gelegenheiten wie Hochzeiten, Taufen, Geburtstagen und Todesfällen werden opulente Feste gefeiert, die sich die armen Menschen eigentlich gar nicht leisten können. Das ist ein wichtiger Grund für die anschliessende unlösbare Verstrickung in feudale Zwänge. Allerdings wird die Schuldenwirtschaft auch in wohlhabenden Ländern ausgebaut; immer mehr Menschen mit Pomp leben auf Pump.
Die Händler auf Bohol, die Kredite benötigen, müssen der FCRB-Stiftung vorerst 10% Zinsen bezahlen, wovon sie bei Rückzahlung des Kredites schliesslich 8% zurückerhalten; effektiv verlieren sie nur 1% als Zins und ebensoviel für die Verwaltungskosten; unsere Banken könnten sich daran ein Vorbild nehmen. Auf diese Weise wird subtil versucht, kleine Strukturen zu erhalten.
Auch ökologische Massnahmen werden von der Stiftung unterstützt wie z. B. die Anpflanzung von Mangroven in seichten Uferzonen, womit die Fische neue Laichgründe erhalten und die Fischerei-Erträge verbessert werden. Diese Mangrovenwälder mit ihren spinnenartigen Wurzeln wirken überdies als Wellenbrecher und fangen die gefürchteten Sturmwellen ab. Ihr Laub dient im Lebensraum Meer als Energiemotor; von den nährstoffreichen Partikeln profitieren Seegraswiesen, Korallen, Algen und Fische sowie Krustentiere.
Die Mangrovenwälder sind vielerorts vernichtet oder als Kehrichtdeponien missbraucht worden; sie wurden fälschlicherweise lange als wertloses Terrain eingestuft.
Besuch beim Gouverneur von Bohol: Von links Rolf P. Hess , Gouverneur Constancio Tarralba und Walter Hess
Die selbstlose und seriöse Art des Geschäftsmannes Uy, der in seinen reifen Jahren einen Teil seines Vermögens und sein ökonomisches Talent der einheimischen Bevölkerung zugute kommen lässt, ist beeindruckend. Es ging ihm nicht um Ruhm. Er hielt sich auch diskret im Hintergrund, nachdem er Rolf und mich in die Residenz des Gouverneurs von Bohol, Major Constancio C. Torralba , gef ü hrt hatte; es war der reinste Staatsempfang.
Als Wandschmuck diente eine Fotografie der damaligen philippinischen Präsidentin Corazón Cojuangco Aquino , die 1986 den verhassten Diktator Ferdinand Marcos abgelöst und einen wirtschaftlichen Aufschwung versprochen hatte; doch das Wachstum war ausschliesslich bevölkerungsmässig. Frau Aquino befand sich während unseres Philippinen-Besuches in der letzten Phase ihrer Amtszeit, und Imelda Marcos , Diva der Zerstreuung und Zerstörung und ehemalige Plünderin der Staatskassen, kämpfte erfolglos um die Präsidentschaft, ein tropisches Shakespeare-Drama vor dem Hintergrund von Intrigen, Habgier und Vetternwirtschaft. Der ehemalige Verteidigungsminister Fidel „Eddie“ Ramos gewann die Wahl, wohl weil er eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten schien und nicht als Angehöriger des traditionellen Machtklüngels galt. Er betrieb bis 1998 eine hartnäckige Reformpolitik.
Im Gouverneurspalast von Tagbilaran herrschte eine unbeschwerte Stimmung; auf dem Balkon im 1. Stock gaben sich einige farbenfroh gestaltete, lebensgrosse Heilige aus Karton ein Stelldichein, von der Strasse aus gut sichtbar. Ich hoffte, in dieser Residenz etwas Gescheites und Sympathisches von mir zu geben, als ich improvisierend festhielt, wir seien nicht in einer zivilisatorischen Mission hierher gekommen, sondern vielmehr, um von der Bescheidenheit und Herzlichkeit des philippinischen Volkes zu lernen. Der Gouverneur verstärkte sein strahlendes Lachen. Seine Laune war ausgezeichnet, ging es doch um eine Repräsentationsaufgabe von der unbeschwerten Sorte. Lokale Presseleute wie Bob Galero, Lito Responte und Tibbs Bullocer sowie 2 Protokollführer hielten das offenbar doch lokal bedeutende Ereignis in Wort und Bild fest.
Runde Formen, naturgeschaffen: Cocolate Hills
Wohnstile für Touristen
Bei einem Fruchtsaft im „Gie Garden Hotel“ lernten wir anschliessend den quicklebendigen, ständig zu Spässen aufgelegten Geschäftsmann George C. Lao und seine Frau, eine Ärztin, kennen. Sie versucht, mit Gebeten und den billigsten Medikamenten Heilungen herbeizuführen; andere Möglichkeiten stehen ihr nicht zur Verfügung.
Die philippinischen Geistheiler sind ihrer Ansicht nach Scharlatane mit Ausnahme des verstorbenen „Toni“, womit sie Antonio Alcantara meinte, der in Baguio tätig gewesen war.
Frau Lao zeigte uns dann nach einer gut halbstündigen Autofahrt über viele Naturstrassen das von ihr und ihrem Mann geschaffene „Momo Beach Resort“ auf der Insel Panglao , die Bohol vorgelagert ist: Eine Reihe von offenen, luftigen, geschmackvoll eingerichteten Bambushäusern, die über Bambusstege erreichbar und feinfühlig in die Natur eingegliedert sind, ein Lehrstück in Baubiologie und in Permakultur. Die Feriensiedlung befindet sich direkt an einem einsamen, zauberhaften Sandstrand.
Sie unterscheidet sich wohltuend vom Bohol Beach Club , in den wir uns zum Logieren verirrt hatten: Trostlose, bunkerartige Wohnklötze im protzig-phantasielosen Marcos-Stil, die den ganzen paradiesischen Eindruck, den die Umgebung und der lebendige Strand mit den Seesternen, Meeresschnecken von der Bischofsmütze bis zur Wendeltreppenschnecke, mit den Seeigeln und dem vorgelagerten Korallenriff vermitteln, verderben.
Das Restaurant aber darf sich sehen lassen. Dort trugen uns beiden an einem lauen Abend 4 Filipinos wohlgelaunt einheimische Lieder vor, da wir beinahe die einzigen Gäste waren. Sie sangen u.a. das herzergreifende Lied vom Eroberer Magellan, der nach der Überwältigung geweint und darum gebeten haben soll, dass man seiner Mutter nichts von seinen Tränen sagen möge. Beim Stand der damaligen Kommunikationstechnologie bestand diesbezüglich wohl wenig Gefahr.
Besuch auf Cebu
Es waren nicht die Spuren Magellans, die uns von der zehntgrössten Insel (Bohol) auf die neuntgrösste lockten: nach Cebu . Diese langgezogene, in Nord-Süd-Richtung verlaufende Insel, zwischen Leyte, Negros und Bohol eingeklemmt, ist ein Handelszentrum mit intensivem Schiffsverkehr seit den Zeiten vor Magellan.
Rolfs Netz von Beziehungen und sein Wissen um historische Zusammenhänge (die Philippinen wurden von Cebu aus von den Spaniern kolonisiert) legten die Landung auf Cebu zwingend nahe. „Wir werden dort erwartet“, sagte er zu mir ich hatte bisher nichts davon gewusst.
Der Flug von Tagbilaran nach Cebu, gut 50 km, war kurz und schmerzlos. Auf dem Flughafen Mactan Island , etwa 10 km von Cebu City entfernt, wurden wir von John M. Taylor in Empfang genommen, nahe bei der Endstation von Magellans erster Weltumsegelung, der ersten ü berhaupt.
John war ein schlanker, sich elegant bewegender, selbstbewusster Mitfünfziger mit einer glasklaren Stimme und einer makellosen Ausdrucksweise, wie man sie von Sprechern der Voice of America kennt. John stopfte uns in die Kabine eines etwas baufälligen Lieferwagens, auf dessen Ladebrücke während der Fahrt einige Zuchtpflanzen die Bewegungsfreiheit ausnutzten. Wir fuhren an einem überlebensgrossen Denkmal für den muskulösen Lapu-Lapu, an einfachen Behausungen der Einheimischen und an unendlich vielen jubelnden Mädchen vorbei, hoffentlich keine künftigen „Mail-order brides“ Bräute aus dem Versandgeschäft und erreichten den Coralpoint .
Ein zupackender Unternehmer: Efrain T. Pelaez („Jun“)
Im Hauptgebäude einer im Entstehen begriffenen Wohn- und Feriensiedlung nahm uns Efrain T. Pelaez in Empfang, ein wohlgenährter, unkomplizierter Manager und Lebenskünstler mit am Hinterkopf zusammengebundenem Haarschopf und einer Baumschere in der Hand. „Call me ‚Jun'“, sagte er. Wir waren uns alle sofort gegenseitig sympathisch.
Der Generalunternehmer Jun führte uns bei strahlender Tropensonne durch sein erst teilweise verwirklichtes Ferienparadies, wo viele Einheimische Arbeit und ein Auskommen finden. Der Uferbereich war teilweise im Naturzustand belassen, und im Übrigen gab es organisch geformte Mauern aus unregelmässig behauenen Natursteinen, die millimetergenau ineinander gefügt waren. Die langen, terrassenartig angelegten Kalksteinkunstwerke mit ihren Nischen und den kleinen Plätzen mit Sonnendächern aus Schilf waren üppig mit leuchtenden Bougainvilleen überwachsen, diesen Wunderblumengewächsen.
Ein flaches Vordach auf schweren, vierkantigen Säulen leitete zum Schwimmbecken ü ber. Modelle von luxuriösen Wohnbauten mit mehrstöckigen Wintergärten für anspruchsvolle Menschen mit dem Drang nach ewigen Ferien liessen den Fortgang der Bauarbeiten vorausahnen. An der gleichen Ostküste von Mactan, wenige 100 Meter entfernt, krempelte gerade die „Shangri-La“-Hotelkette die felsige Uferpartie im Hinblick auf einen Neubau um. Diese Anlage hat sich inzwischen zum grössten und luxuriösesten Resort Hotel auf den Philippinen entwickelt. Die Ostküste von Mactan veränderte sich bis zum Nordende, dem Punta Engaño (was soviel wie „Punkt des Betrugs, des Irrtums, der Täuschung“ heisst), durch Tourismusbauten immer mehr. Investoren waren und sind dort willkommen.
Agar-Agar-Quelle
Wir tranken ein wahrscheinlich nach dem Vorbild des thailändischen „Singha Biers“ mit Formaldehyd für tropische Haltbarkeitsansprüche stabilisiertes „San-Miguel“-Bier aus einheimischer Produktion, erfrischten uns im Schwimmbad des Beach-Clubs und suchten dann unser Mittelklass-Hotel „La Nivel“ auf. Anderntags chauffierte uns John Taylor zur 1966 gegr ü ndeten Shemberg Marketing Corporation in Cebu City, die natürliche Gelier- und Verdickungsmittel produziert und als Pionier in der Algenverwertung gilt. Mein lebhaftes Interesse war geweckt.
Wir wurden von Generaldirektor Jerome John L. Motoomull und 2 Geschäftsleitern, Tony N. Yap und Terumasa Endo, nett empfangen. In diesem Riesenunternehmen im Industriezentrum Mandaue City , das sich nahtlos an Cebu City anschliesst, wird die Seepflanze Carrageenan , die vor allem in den Gewässern um Tawi-Tawi verbreitet ist und seit mehreren Jahren in den mittleren und südlichen Philippinen angebaut wird, verarbeitet. Daraus werden Zusatzstoffe für die Nahrungsmittelindustrie, Pharmazie und technische Anwendungen (wie Nährböden für die Bakteriologie) gewonnen. Das aus den pektinartigen Zellwandbestandteilen verschiedener Rotalgenarten gewonnene Trockenprodukt, das nach Aufkochen und Abkühlen eine steife Gallerte ergibt, ist bei uns unter dem Namen Agar-Agar bekannt.
Auf den Philippinen werden vor allem die Algentypen Eucheuma (speziell Eucheuma cottonii und spinosum ) von ehemaligen Fischern, Seeräubern und Rebellen angebaut, wie uns erklärt wurde. Sie sind jetzt Algenfarmer, die wie Pfahlbauer wohnen, die Unterwasserkulturen in seichten Gewässern (1 bis 2 m tief) hegen und pflegen; kranke Pflanzen werden frühzeitig entfernt. Insgesamt leben heute 400 000 Menschen von der Algenproduktion und -verarbeitung.
Eine Video-Show führte uns in die Herstellung (alkalisches Kochen, Filtration, Konzentration, Gefrieren, Offen-Intensivtrocknung, Mahlen und Mischen) und Anwendung der verschiedenen Algenprodukte ein: Wasserbindung in Hamburgern und in Fertigkost für den Mikrowellenofen, Bindung der Inhaltsstoffe in Futter für Fische und Krustentiere (wobei das Algenpulver auch die unerwünschte Blaufärbung der Krevetten aus Mastbetrieben verhindert), Schaumstabilisierung in Schlagrahm, Zahnpasten und Shampoos, Gelierung von Sauermilchprodukten und Dosen-Tierfutter, Fettstabilisierung in Schinken und Wurstwaren, Suspension von Milchgetränken, Konsistenzsteuerung in Salben und u.a.m. Pro Jahr werden etwa 60 000 t von dem Allerweltsmittel aus den Philippinen exportiert. In den USA wird Carrageenan als Geschmacksverfeinerer eingesetzt.
Algen und somit auch Produkte davon (Werbeausdruck: „The Wonder Powder“ ) sind der menschlichen Gesundheit durchaus zuträglich. Sei langen sind sie insbesondere Hilfsstoffe beim Food Design; sie leisten also wichtige Dienste bei der industriellen Veränderung und Umgestaltung von Naturprodukten. Aber diese Entwicklung ist nicht unbedingt erfreulich; das Convenience Food (Bequemlichkeitsfutter) hat gegenüber Frischprodukten einen deutlich verminderten Gesundheitswert.
Bei Shemberg sahen wir Berge von Plastikampullen mit Rüsseln, die mit gelierfähigen, in allen Kunstfarben leuchtenden Flüssigkeiten gefüllt waren: „Snowtime“ steht darauf – farbenfroher Schnee aus geliertem Zuckerwasser. Man braucht sie nur noch in den Kühlschrank zu stellen, insofern man einen hat, und die Kinder werden sich darauf stürzen, auch auf den Philippinen.
Draussen wachsen die Kokosnüsse mit ihrem wohltuenden Saft. Die armen Familien, die keine Kühlanlagen haben und sich den philippinischen Kunstschnee nicht leisten können, sind im Vorteil, wenn mans genau nimmt.
Stimmungsvoll: Sonnenuntergang und Mangroven bei Tagbilaran
Manila
Zum Abschied assen wir in Juns Japan-Restaurant Frischprodukte auf japanisch hohe Schule. Anderntags flogen wir nach Manila auf der grössten Insel des Landes, Luzon . Die Einwohnerzahl kann nur geschätzt werden; sie liegt zurzeit zwischen 11 und 12 Millionen. Manila ist eines der grössten Ballungszentren der Welt, eine Megastadt, wie man heute sagt. Manila („may nilad“) bedeutet „wo Nilad (eine Mangrovenpflanze, die eine natürliche Seife enthält) wächst“; doch hier wächst vor allem noch die Menschenzahl, was zu einer uferlosen Ansammlung billiger Unterkünfte gef ü hrt hat. Althergebrachte Strukturen sind aufgeweicht.
Hier gibt es alle Ausprägungen von Armut und Reichtum, und man kann eben das sehen, was man sehen möchte. Wer Lust hat, kann sich in einem klimatisierten Taxi ins moderne Geschäfts- und Wohnviertel Makati , wo seit der Amerikanisierung der Beton wuchert, oder ins weiträumige Regierungs- und Universitätsviertel Diliman fahren lassen. Man kann einen Besuch in den Slums und Squattersiedlungen, z. B. im Gebiet Tondo unternehmen, dem Armenhaus der Stadt, und zu den Smoky Islands , wo in den Abfallhalden die Ärmsten der Armen offiziell „poorest of the poors“ nach Verwertbarem suchen. Wo zwischen der Masse von farbenfrohen Jeepneys noch ein paar Quadtratdezimeter frei sind, zwängt sich das Taxi hupend hinein.
Die Jeepneys sind vergrösserte, bunt bemalte und dekorierte Jeeps, die jetzt aus Japan kommen, Beispiele f ü r angepasste Technologie voller Lebensfreude; auf den Motorhauben stehen Figuren wie Pferde aus Aluminium. Allein in Metro-Manila soll es mehr als 60 000 solcher Personentransporter geben; man trifft sie im ganzen Land, selbst bei Naturstämmen, bei den Igorot und den Ifugao (siehe unten).
Nächtlicherweile wird wohl kaum ein Manila-Tourist einen Augenschein in der touristischen Nachtclubzone Eremita verpassen wollen, wo sich hübsche Mädchen mit braun-goldener Haut wie in glaslosen Aquarien auf Augenhöhe zu lauter Musik mit allerhand eindeutigen Verrenkungen provozierend präsentieren; bis zur Frühmesse bleibt ihnen noch genügend Zeit. Sie hoffen auf ein gutes Geschäft, das ihnen und ihrer Familie das Überleben in den nächsten Tagen sichern könnte. Wenn sich Kinder prostituieren müssen, wie das in armen Länder häufig vorkommt, wird das Elend, das die Menschen-Massenproduktion begleitet, auf dramatische Art offenbar: Ein Leben ohne Perspektive und Trost. Arme Menschen müssen sich ein Einkommen verschaffen, wie immer es nur geht, um im Falle der Filipinos zu einer Schale Reis, vielleicht mit etwas Gemüse und einigen würzigen sprottenähnlichen Fischen zu kommen.
Das Alltagsessen ist auf den Philippinen auch in besser gestellten Familien anspruchslos: Reis, gekochter oder gebratener Fisch, Gemüsegerichte, gebratenes oder geschmortes Fleisch mit Kartoffeln, Krustentiere wie Krabben. Jede Küche setzt Gewürze grosszügig ein: Nelken, Pfeffer, Paprika, Knoblauch, Toyo (Sojasauce), Patis (Fischsauce) und grobes Salz.
Eine Art von Permakultur: Ifugao-Dorf im Reisanbaugebiet Banaue
Bei den Ifugao
Einen markanten Kontrast zum Siedlungsbrei Manila, „keine Stadt, sondern ein Zustand“ , wie man sagt, bietet ein Besuch bei einem Bergvolk wie den Ifugao , im Norden der keulenförmigen Insel Luzon, eine Tages-Autoreise von Manila entfernt, eine durchaus lohnende. Auf der Fahrt dorthin ist zu erkennen, was aus den Wäldern der Philippinen, einst ein führendes Holzausfuhrland, geworden ist: Über 80 % der Urwälder sind vernichtet; etwa 800 000 Hektaren Urwald sind noch hinterblieben; weitere Abholzkonzessionen sind bereits erteilt.
Wo früher auf den vulkanischen Böden kraftvolle Tropenbäume, darunter Teak-, Eben- und Eisenholz, gern wuchsen, gibt es jetzt kahle Bergrücken, Erosion, Bergstürze, Überschwemmungen - und dies in einem Land, das einst zu den botanisch am besten ausgestatteten gehörte. Die fruchtbare Ebene von Zentralluzon, die sich nördlich an Manila anschliesst, verliessen wir bei San Jos‚ City, wo die Zentralen Kordilleren beginnen. Wir folgten dem Fluss Magat, der 1991 fürchterlich gewütet haben muss, Strassen und Häuser wegschwemmte und Hänge ins Rutschen brachte, nach Bayombong bis Banaue .
Sobald man die verwüsteten verwestlichten Gegenden verlassen hat und ins Land der Ifugao kommt, sind wieder vielfältige, intakte Wälder, stabile Hänge an den Tafelbergen, Kannenpflanzen und unversehrte Landschaften anzutreffen: Ein frappanter Unterschied im Umgang mit dem Lebensraum, wie ich ihn in dieser Diskrepanz noch kaum erlebt habe.
Sogar die weltberühmten Reisterrassen, an denen die Bergstämme der Ifuago, der Bontoc und der Kalinga ü ber 2000 Jahre gebaut haben, sind ein vollständig naturintegriertes „Manhattan der Agrikultur“. Man könnte von einem Bio-Design sprechen: Die Landschaft mit den Kurven und Schwüngen, die wie von einem talentierten Landschaftskünstler modelliert sind, bietet ein majestätisches Panorama.
Die Terrassen sind teilweise in Fels gehauen. Durch ein ingeniöses Bewässerungssystem werden die Bergwässer vollständig ausgenützt. In diesen Terrassen leuchtet oft die feuerrote Blüte der Delonix regia , deren scharfkantige Blätter wie blutige Lanzen aussehen. Sie erinnert an die Zeit der Kopfjagd, an den gewaltsamen Tod eines Mannes.
Günstige Wachstumsbedingungen: Arbeit in den Reisterrassen (Banaue)
Die bescheidenen Leute, die für jedermann ein Lächeln ü brig haben, ernähren sich von Reis, Süsskartoffeln und Haustieren wie Hängebauchschweinen, die auch ein Statussymbol sind. Aus diesem einzigartigen Lebensraum wollte seinerzeit die plündernde und brandschatzende Marcos-Armee die Einheimischen vertreiben, weil unter den Reisterrassen Bodenschätze wie Gold und Kupfer vermutet werden. Die Bergvölker schlossen sich zur New Peoples Army zusammen und verteidigten, oft mit Hilfe des Klerus, ihre Heimat, was ihnen bisher Gott sei Dank gelungen ist.
Wir besuchten ein Ifugao-Dorf in den gebirgigen Höhen in der Nähe von Banaue bei Nebel und Regen wertvolles Wasser für die Reisterrassen, die im Januar bepflanzt werden. Trotz missionarischer Einflüsse, erkennbar an überproportionierten Kirchenungetümen, ist hier ein animistisches Weltbild erhalten geblieben alles ist beseelt und wird dementsprechend mit Ehrfurcht behandelt. Es wird versucht, alle Kräfte mit einem Gefahrenpotenzial zu besänftigen, und den „anito“, den Geistern der Verstorbenen, kommt dabei eine Mittlerfunktion zu.
Eine ältere Frau packte die in ein handgewobenes, rotes und zerfetztes Tuch eingepackten Gebeine eines Vorfahren aus, um sie uns zu zeigen. Die Knochen werden zwischen dem erhöhten Boden der auf Pfählen sitzenden Einraum-Häuser mit den pyramidenförmigen Dächern aufbewahrt. Dann tanzte die ganze Dorfbewohnerschaft für uns: Männer mit einfachen, über die Lende gekreuzten Stoffbinden und Frauen mit roten Pullovers und einem gestreiften, zum Jupe geschürzten Kattun bekleidet. Die Männer bewegten sich vor den Frauen und ahmten den Vogelflug nach.
Über die Bergprovinz, wo die Bontoc meist in Blechhäusern leben, zur Abwechslung Gemüse auf Terrassen anbauen und wo die „Rebellen“ besonders aktiv sind, fuhren Rolf und ich über Myriaden von Schottersteinen und Schlaglöchern ins Erdbebengebiet Baguio, Geistheilern auf der Spur.
Die Philippinen: Das ist ein Archipel, wo sich Ost und West umarmen und gleichzeitig abstossen und wo die normalen Gesetze der Logik nicht zu gelten scheinen.
Vielleicht ist es ein unbeschreibliches Land.
Landschaftsprägende Nahrungsproduktion: Reisterrassen bei Ambayaon (Provinz Bontoc)
Dank
Mein Bruder Rolf P. Hess , hat die Reise in verdankenswerter Weise im Einzelnen organisiert und mich begleitet. Seine umfangreichen Asien-Kenntnisse und -Erfahrungen haben zum Gelingen dieser Exkursion das Wesentliche beigetragen. Rolf hält mich heute wie seit Jahren über die Geschehnisse auf den Philippinen und Umgebung in Wort und Bild ständig auf dem Laufenden; denn er hat sich zusammen mit seiner Frau Alice fest auf Cebu niedergelassen. Der Buko Juice ist inzwischen zu ihrem Hauptgetränk avanciert.
Der Routenvorschlag für die beschriebene Philippinen-Reise stammte von Niklaus E. (Nick) Weibel , der seinerzeit Geschäftspartner von Rolf war. Dieser aus der Schweiz stammende Geschäftsmann stellte auch die Kontakte in Bohol und Cebu her. Nick Weibel verbrachte nach 1963 viele Jahre in Hongkong und auf den Philippinen, wo er für die Schweizerische Handelsfirma Edward Keller AG (heute DKSH Diethelm Keller Siber Hegner) tätig war. Heute lebt er mit seiner Gattin grösstenteils bei der Tochter und deren Familie in England. Er ist nach wie vor in Asien tätig, aber nicht mehr an der vordersten Front. Für seine kompetenten Bemühungen und die kritische Durchsicht und Ergänzung dieser Reportage mit wesentlichen Erkenntnissen aus seiner grossen Erfahrung heraus danke ich auch ihm recht herzlich.
Zum Manila von 1963 schrieb Nick Weibel: Damals war der Lebensstandard in den Philippinen höher als derjenige von Taiwan, Korea, Thailand, Malaysia. Das Land hatte keine Auslandsschulden, die Währung war gesund (der Peso war bedeutend mehr wert als der Schweizer Franken). Das Erziehungssystem war vorbildlich und Makati war die Musterstadt in Asien. Die reichen Familien liessen sich von Dienstboten aus Hong Kong bedienen. 1967 verliess ich die Philippinen. Marcos und seine Frau Imelda übernahmen die Macht. Zusammen mit ihren Vertrauensleuten raubten sie das Land dermassen aus, dass am Ende der Marcos-Ära die Auslandsschulden über 30 Milliarden USD betrugen. Das Land hat sich seither von der Korruption und Überschuldung nicht mehr erholen können. Der Niedergang ist nur verzögert durch die Überweisungen der Millionen von Filipinos und Filipinas, die im Ausland arbeiten und regelmässig Geld an ihre Familien überweisen. Ich erwähne noch, dass Kardinal Sin massgeblich dafür verantwortlich war, dass Marcos gestürzt wurde.
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