Der Erdgeist hat gesprochen
Grollend erhob er sich von seinem steinernen Bett, der Erdgeist, und knallte mitten in der Nacht seine harte Faust gegen die Decke seines Schlafgemachs. Er war wütend über die Umtriebe der Menschen auf der Erdoberfläche. Sie raubten ihm den Schlaf mit ihrem Getue und Geplapper, mit ihrem Schreien und Kreischen, mit ihrem dröhnenden Lärm, den sie Musik nannten, und dem unaufhörlichen Pulsieren ihrer rhythmischen Instrumente.
So entschloss er sich, diese unerträgliche Bande wieder einmal zur Ordnung zu rufen, und sein Schlag gegen die Felsendecke erschütterte den Teil des Planeten, der sich über seinem Schlafgemach befand, und hallte über ein ganzes Land donnernd nach. Alle Häuser erzitterten, und die in ihren Betten schlafenden Menschen zitterten auch. Oder sie unterbrachen, wenn sie noch nicht in ihren Betten lagen, ihre lauten Konzerte, legten die Instrumente zur Seite und lauschten in schweigender Angst dem plötzlichen Krachen oder krochen unter Tische und Stühle, um sich zu schützen; denn sie glaubten, die Häuser würden jetzt gleich über ihnen zusammenstürzen und sie unter ihren Trümmern begraben.
Kurz, es herrschten ein grosses Chaos und eine grosse Panik.
Befriedigt über den Erfolg seines Zornausbruchs, über die Ruhe, die jetzt über ihm herrschte, legte sich der Erdgeist wieder zum Schlafen nieder und schnarchte bald so laut, dass die immer noch schweigend wartenden Menschen auf der Erde es hörten und voller Furcht auf das nächste Beben warteten. So hatte der Erdgeist für eine Weile seinen Frieden. Nur für eine Weile, denn bald vergassen die Menschen ihre Angst vor dem Erdbeben, und das Getue, Geplapper und Lärmen setzte von neuem ein.
So musste der Erdgeist von Zeit zu Zeit immer wieder Ordnung schaffen auf seinem Planeten. Schliesslich wurde es ihm zu dumm. Er kletterte durch einen Spalt seiner unterirdischen Behausung auf die Oberfläche, umfasste die Erdkugel mit beiden Händen von Pol zu Pol und schleuderte sie mit einem mächtigen Schwung ins All. Niemand weiss, was aus dem Erdgeist, der Erde und allem, was darauf kreucht und fleucht, geworden ist.
Lislott Pfaff
21.6.2004
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