Meine Handschrift hat eine Linksneigung; ich habe mir das irgendwann einmal so angewöhnt. Können Sie mir sagen, was das in der Graphologie zu bedeuten hat?
C.F., CH-5001 Aarau
Antwort: In der Graphologie als spezieller Methode der Ausdruckspsychologie kommt der Schriftneigung eine wichtige Bedeutung zu. In der Regel ist die Schrift mehr oder weniger nach rechts geneigt, was auf eine Extravertiertheit hindeuten soll; die Person ist also nach aussen gewandt, offen für äussere Einflüsse, kontaktfreudig. Zudem wird in diesem Zusammenhang vom Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung gesprochen, was ja eine normale menschliche Begleiterscheinung ist. Das Indiz der Rechtslage scheint mir allerdings nicht besonders stark zu sein, da sich diese Schriftlage auch aus dem Bemühen heraus, das Schreibtempo zu steigern, entwickeln kann, da wir ja von links nach rechts schreiben (anders als in der arabischen Sprache). Jedenfalls hat sich das bei mir so ergeben; meine Gedanken eilen dem Schreibtempo meistens weit voraus.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Schriftlage in der Graphologie (Schriftpsychologie) immer im Umfeld anderer Merkmale zu beurteilen ist. Und dann kann die Rechtslage auch mangelnde Selbstkontrolle, Unbeständigkeit, Manipulierbarkeit und Disziplinlosigkeit bedeuten.
Die nach links geneigte Schrift, der Ihre Frage gilt, ist seltener. Die Linksschräge gilt als Zeichen für Introversion und übertriebene Selbstbeherrschung; hier sind die seelischen Kräfte also betont auf die eigene Innenwelt gerichtet. Ist die Linksneigung besonders ausgeprägt, soll die Person die Tendenz haben, sich aufgrund von Kindheitserlebnissen von anderen Menschen abzugrenzen. In Ihrem speziellen Fall würde ich solche Feststellungen allerdings nicht überbewerten, da Ihre rückwärts geneigte Schriftlage offenbar aus Ihrem freien Willen heraus entstanden ist, wie Ihrer Frage zu entnehmen ist.
Der Schreiber oder die Schreiberin, deren Buchstaben nach rückwärts zu fallen scheinen, lässt sich angeblich mehr vom Kopf als vom Herzen leiten. Ganz im Allgemeinen wird die nach links geneigte Schrift überwiegend negativ gedeutet: Ablehnung, Zurückhaltung, Selbstbezogenheit. Auch solchen Interpretationen traue ich nicht ganz; denn links oder rückwärts sind Begriffe, die in vielen Bereichen unseres nach vorne gewandten Tuns gewissermassen als abnormal gelten; auch Linkshänder hat man früher umerzogen, ein vollkommener Unsinn. Die negative Einstellung zur Rückwärtsneigung kann also auch mit veralteten Ansichten zu tun haben, die heute nicht mehr aufrechtzuerhalten sind.
Ist die Schriftlage unregelmässig, das heisst willkürlich nach links oder nach rechts geneigt beziehungsweise auch senkrecht stehend, handelt es sich um eine wankelmütige, unausgeglichene Persönlichkeit, die hin und her gerissen ist, beziehungsweise sein soll. Das leuchtet einigermassen ein.
Zweifellos erzählt die Handschrift vieles über eine Persönlichkeit, und ihre Deutung ist nicht einfach. Graphologen haben schon oft über die berufliche Zukunft von Stellenbewerbern entschieden. Dabei wäre immerhin zu berücksichtigen, dass ein graphologisches Gutachten ebenso viel über den Graphologen wie über den Menschen verrät, der die Schriftprobe vorgelegt hat.
wh.
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