"Die letzte grosse Pollenschleuder der Saison, der Gewöhnliche Beifuss (Artemisia vulgaris), ist aufgeblüht. Sein Pollenflug setzt soeben ein", habe ich in einer Pollenwarnung Mitte Juli 2002 bei www.muenster.org/pollen gelesen. Das tönt ja schrecklich. Ist der Beifuss wirklich so schlimm?
L. W. H., D-48127 Münster
Antwort: Ich ärgere mich ebenfalls über diese Pollenwarnungen, die jeweils so tun, als ob ein Luftangriff bevorstehen würde und sich die ganze Bevölkerung am besten in die Luftschutzkeller zurückziehen sollte. Die Pflanzen, denen die zivilisierte Menschheit ohnehin den Kampf angesagt hat, werden damit zusätzlich verunglimpft. Dabei gibt es nichts Normaleres in der Natur als den Pollenflug, mit dem sich windbestäubte Pflanzen das Überleben sichern; Pollen verbreiten das männliche Erbgut über weite Distanzen, und daran ist ja wohl nichts auszusetzen. Hätten wir noch normale Verhältnisse, könnten wir in Pollenflugphasen Gewehr bei Fuss stehen statt Warnsalven gegen "Pollenschleudern" abzufeuern.
Dabei möchte ich nichts gegen die Pollenexperten von Münster D sagen, die eine heroische und kompetente Leistung vollbringen und die Pollenlage bei nicht weniger als 100 mit Hilfe des Windes bestäubten Pflanzen verfolgen (andere Pflanzen, die von Insekten bestäubt werden, verursachen kaum Allergieprobleme). Sie leisten eine vortreffliche Arbeit.
Da wir ja dabei sind, immer mehr Pflanzenarten auszurotten und die Pflanzenstandorte laufend zu dezimieren, müssten logischerweise Pollenallergien rückläufig sein, nach der einleuchtenden Gleichung "Weniger Pflanzen = weniger Pollen". Doch das Gegenteil trifft zu; bereits für etwa 16% der deutschen Bevölkerung (in anderen Ländern ist es ähnlich) beginnt jeweils im Frühling eine Zeit des Horrors mit Augenbrennen, Bindehautentzündungen, Niesattacken, Heuschnupfen usw. Daraus kann man schliessen, dass nicht die Pollen an der Ausbreitung der zunhemenden Allergieseuche schuld sind. Vielmehr sind die menschlichen Immunsysteme in einem derart desolaten Zustand, dass sie nicht einmal mehr mit den an sich harmlosen, altehrwürdigen Pollen fertig werden.
Die ersten Desorientierungen der Abwehrmechanismen des menschlichen Organismus verursachen die in wirren Kombinationen erfolgenden Impfungen der Kleinkinder. Unserem Nachwuchs belässt man nicht einmal mehr die normalen Kinderkrankheiten, an denen der kleine Körper erstarken könnte. Die Ärzte verdienen an der Impferei, und die Mütter haben anderes zu tun als die Kinder zu pflegen. Dann geht es mit Kuhmilch, Medikamenten und synthetisierten Zusätzen in der Fertignahrung weiter, die oft Allergene sind, und Bauchemikalien gasen aus. Plastikzusätze in Kleidern irritieren die Hautfunktionen, und am Schluss ist das Immunsystem derart irritiert und lädiert, dass selbst Pollen zur Katastrophe werden. Die Pollen können nichts dafür.
Der Beifuss aus der Compositae-Familie (Korbblütler), dem Ihre Frage im Speziellen gilt, ist eine Wermut-Art. Früher dienten seine Blätter zum Würzen und Konservieren von Bier, bevor der Hopfen diese Aufgabe übernahm. Beifuss ist nicht ganz so bitter wie Wermut, fördert aber wie dieser die Verdauung nach dem Verzehr von fettem Fleisch. Es handelt sich zudem um eine Heilpflanze, die als allgemeines Stärkungsmittel, als Nervenstärkungsmittel sowie zur Anregung und zum Schwitzen (Schweisstreibung) eingesetzt wird. Der Beifuss fördert auch das Eintreten der Monatsblutung. Beifuss stimuliert zudem das Rückenmark und reguliert den Blutandrang zum Gehirn; er gilt als Gehirnstärkungsmittel. Solch eine Gehirnstärkung hätten genau jene Menschen und vor allem jene Fachleute nötig, welche angesichts der sich ausbreitenden Pollenallergien nicht hellhörig werden. Aber es gehört zum System, sich nicht um Ursachen zu kümmern.
Beifusstee kann aus getrockneten Blättern und Blüten zubereitet und nach Lust mit Honig gesüsst werden. Auch als Badezusatz wirkt Beifuss kräftigend. Solche Pflanzen sollten wir ehren statt darin nur eine "Pollenschleuder"“ und eine "Belastung" zu sehen. Es scheint, dass wir schon etwas verkehrt in den Schuhen stehen. Freundlicherweise machen uns die Pollen darauf aufmerksam.
Walter Hess
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