Mit halbem Ohr habe ich am Radio etwas über Ginsenganbau im schweizerischen Emmental gehört - oder täusche ich mich da? Gibt es denn sowas?
V.H., CH-9028 St. Gallen
Antwort: Jeremias Gotthelf würde seinen Augen nicht trauen: Im Emmental gedeiht Ginseng (Panax ginseng C.A. Meyer), wie in Korea, Japan, China und Kanada tatsächlich auch, und nicht einfach der Ginster (Genista) mit dem ähnlichen Namen. Im Rahmen der landwirtschaftlichen Abkehr von der Milchüberschussproduktion waren in den vergangenen Jahren Ideen gefragt. Eine weitere gefällig? Wir regen einen Emmentalerkäse mit Ginsengzusatz an, den so genannten Gintaler (bzw. Panemmen)...
Wenn etwas im Emmental Tradition hat, ist es die Innovationskraft, wie man schon im 2. Kapitel über die "Naturgeschichte der Käsereien" gekäst wurde ursprünglich nur auf den Alpen in Jeremias Gotthelfs bodenständigem Roman "Die Käserei in der Vehfreude" nachlesen kann: "Nun hat der liebe Gott dem Menschen einen Verstand gegeben, welcher in jeder Not, sei es in einer des Mangels oder des Überflusses, eine Abhülfe sucht wie eine Maus in der Falle ein Loch zum Entrinnen. Man kam auf den Gedanken, ob die Milch von Kühen, welche mit Gras in Ställen gefüttert würden, nicht ebenso gut zum Käsen tauge als die Milch von Kühen, welche auf Alpen zur Weide gingen. Da Gedanken unsichtbar sind, so kann man nicht sagen, wem er zuerst kam. Es ist übrigens ein Wunderbares mit den Gedanken und der Ausdruck 'Es kam mir ein Gedanke' herrlich. Es ist mit den Gedanken wie mit den Winden: wer kann mir sagen, woher sie kommen und wohin sie gehen?".
Die Gedanken fliegen heute scheller denn je um den Erdball. Deshalb ist bekannt, dass die menschenähnlich geformte Ginsengwurzel (chinesisch: renshen = Menschenwurzel) eine vitalisierende, stärkende Wirkung hat: nicht auszudenken, was aus dem Emmental deshalb noch alles auf uns zukommen wird! Walter und Ursula Schindler, Oberrinderbach bei Affoltern, und Daniel und Marianne Senn, Burgdorf, haben Impulse gegeben, um die asiatische Naturheilkunde auf Schweizer Boden besser zu verankern.
In Oberrindenbach sind 2 Parzellen mit Ginseng bepflanzt. Auf dem einen Feld wächst seit 1997 der amerikanische Ginseng (Panax quinquefolium); es dient als Versuchsfläche für den Anbau des asiatischen Panax ginseng, welcher auf der anderen Parzelle 1999 gepflanzt worden ist. Die Bekämpfung von Ginseng-Liebhabern wie Mäusen, Schnecken und Drahtwürmern ist eine Herausforderung ebenso wie vorbeugende Massnahmen gegen den Pilzbefall. Möglicherweise führt eine Mischkultur zusammen mit Waldweidenröschen (Epilobium angustifolium) und Knoblauch (Allium sativum) zu einer erhöhten Widerstandskraft. Knoblauch ist schlisslich ebenfalls ein Gesundbrunnen!
Vorerst war einmal Risikobereitschaft gefragt, denn der Ginsenganbau ist ein Geduldspiel mit ungewissem Ausgang: Zwischen Anbau und Ernte verstreichen 4 bis 7 Jahre; die Wurzeln sind dann maximal 20 cm lang und etwa 2 cm dick; sie weisen mehrere Verzweigungen auf. Pro Are können dann etwa 30 kg Wurzeln (Trockengewicht) geerntet werden (Preis pro kg: 150 CHF), wenn alles geklappt hat.
Die leicht saure Erde muss vollkommen gesund sein. Der Acker braucht ein leichtes Gefälle, damit das Regenwasser abfliessen kann; hügelige Landschaften sind deshalb für den Gingsenganbau bestens geeignet. Nach dem Auspflanzen der kleinen Samen im Herbst müssen die Hochbeete mit Stroh sorgfältig abgedeckt werden, und im nachfolgenden Frühjahr beginnen die Samen zu keimen. Es entwickeln sich kleine Blätter. Im nächsten Herbst stirbt der oberirdische Pflanzenteil ab, und die Wurzel braucht den Frost, um im nächsten Frühjahr wieder keimen zu können, wie unter www.panax.ch im Internet nachzulesen ist. In der Folge wird die Pflanze zunehmend grösser und robuster. Sie kann älter als ein Mensch werden, wenn man ihre Wurzeln nicht vorher ausgräbt.
Nach den Phasen der Keimung wird ein leichter Sonnenschutz fällig, da der natürlich vorkommende Ginseng (vor allem in Nordostasien, wo die wertvollsten Wurzeln wachsen: in Korea und China, insbesondere in der Mandschurei) im schattigen Unterholz gedeiht; er gehört zur Familie der Efeugewächse (Araliaceae). Konkurrenzierende wild wachsende Pflanzen müssen von Hand entfernt werden; agrochemische Keulen kommen hier schon gar nicht in Frage.
Aber wenn der Anbau auch noch so viel Stress bereitet: Man hat ja Ginseng mit seinen kräftigenden Ginsenoiden, denen die Ostasiaten neben der Belebung der Gehirntätigkeit auch eine aphrodisische Wirkung zuschreiben. Man kann die Wurzel kauen oder klein hacken und daraus einen bitter-süssen Tee zubereiten; man sollte ihn 10 bis 15 Minuten ziehen lassen, um möglichst viel vom wertvollen Inhalt aus der zerkleinerten Wurzel herauszuholen.
Um die Geschichte der Ginsengwurzel ranken sich viele Sagen, spielte sie doch in Zauberei, Alchimie und Naturheilkunde eine wichtige Rolle. Aus ihr wurden auch Unsterblichkeitselixiere gebraut; doch offenbar hat das noch in keinem einzigen Fall vollständig funktioniert, wenn wir uns nicht täuschen.
wh.
Nach dem Winterfrost: Spriessen des 4-jährigen Panax ginseng
Foto: Projekt Emmentaler Ginseng
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