Können Sie mir mitteilen, ob es Zeitschriften mit konsequent ökologischer Ausrichtung gibt und wie man zu solchen kommt?
P.H.M., CH-9630 Wattwil
Antwort: Die meines Erachtens führende Zeitschrift aus dem wissenschaftlich-ökologischen Sektor ist "The Ecologist" (www.theecologist.org), die online abonniert werden kann [1]. Viele Beiträge sind auch im Internet zu lesen. Man stellt sofort fest, dass diese in London erscheinende Zeitschrift gründlich recherchiert und mit bemerkenswerter, vorbildlicher Ausführlichkeit informiert. Sie ist mutig und hat dementsprechend ein hohes Ansehen. Sie dient seit über 3 Jahrzehnten als publizistischer Beweis dafür, dass eine fundierte Berichterstattung aus einem begründeten Engagement heraus Ansehen und Glaubwürdigkeit bringt.
"The Ecologist" stellte in den letzten Jahren u.a. die Globalisierungsfolgen in aller Klarheit und Offenheit dar. Die Zeitschrift scheut sich auch nicht, sich mit fundierten Artikeln mit mächtigen Konzernen oder dem Medizin-Establishment anzulegen die Krebsforschung wurde der Lüge bezichtigt und die Folgen zu tragen. So musste die Ausgabe September/Oktober 1999 eingestampft werden die Sonderausgabe (Special issue) galt der "Akte Monsanto Können wir Gentechnik überleben?". In diesem Heft, von dem 18'000 Exemplare gedruckt waren, wurden die Geschäfte des weltweit präsenten amerikanischen Multis kritisch analysiert. Der einleitende Text "Seeds of Disaster" (frei übersetzt: Katastrophen-Saatgut) stammte von keinem Geringeren als Ihrer Königlichen Hoheit, dem Prinzen von Wales; der gleiche Artikel war zuvor im "Daily Telegraph" erschienen. Der britische Thronfolger hat in verdienstvoller Weise u.a. dafür gesorgt, dass die Gentechnik kritisch hinterfragt wurde, wobei die Auswirkungen bis anhin minim waren. Die Gentechnik nimmt ihren Lauf.
Die Vorgeschichte der Einstampfaktion: Im Frühjahr und Sommer 1998 hatte Monsanto in britischen Zeitungen eine millionenschwere Anzeigenkampagne lanciert, um die Akzeptanz für die Produkte der Genfood-Industrie zu erhöhen. Die Repräsentanten des Multis betonten dabei ausdrücklich, dass sie eine offene und faire Debatte über die Gentech-Nahrung und alle Hintergründe der modernen Biotechnologien wollen. Der "Ecologist" hat den Konzern beim Wort genommen und zusammen mit dem eigenen Redaktionsteam zahlreiche Journalisten für die erwähnte Sondernummer über Monsanto ("Die Akte Monsanto") gewonnen.
Die umstrittene Spezialausgabe befasste sich auf rund 70 Seiten mit den Geschäftspraktiken, den Einschüchterungs- und Vereinnahmungstaktiken, der Informationspolitik, den Vermarktungsstrategien, dem Auftreten in Entwicklungsländern und der Produktepalette des amerikanischen Monsanto-Konzerns: von den Polychlorierten Biphenylen (PCB), die sich als Umweltgifte in der ganzen Nahrungskette anreichern und zu Leber-, Milz- und Nierenschäden führen, über das Rinderwachstumshormon rBST bis zum Totalherbizid Round-up sowie den Gentechnologie-Artikeln. Während des Vietnam-Chemiekrieges lieferte das Unternehmen grösste Mengen des Entlaubungsmittels Agent Orange, das nicht nur die Natur zerstörte, sondern auch den unschuldigen Vietnamesen viele Krankheiten wie Leukämie und Missbildungen zufügte, ohne jede Schadenszahlungen durch die USA; nicht einmal eine Entschuldigung war diesem selbst ernannten "Weltpolizisten" abzuringen[2].
Besonders brisant war seinerzeit ein Beitrag von Chefredaktor Zac Goldsmith mit dem Titel "Who are the real Terrorists?" und jener von Jim Thomas: "Boycott: Brands and Products to Avoid", ein Wegweiser zu den Marken und Produkten, die nach Ansicht des Autors gemieden werden sollten. Relativierende Aussagen von Seiten der Produzenten lehnte die "Ecologist"-Redaktion ab, so dass der Verlag kalte Füsse bekam und die Auflage vorsorglich einstampfte.
Dafür gab es tatsächlich gewichtige Gründe: Die drakonische britische Gesetzgebung auferlegt dem Angeklagten die volle Beweislast, während der Kläger lediglich Informationen zu liefern hat. Deshalb ist die Ausübung der Meinungsfreiheit, ein uraltes englisches Recht, in Grossbritannien zu einer riskanten Angelegenheit geworden, die unendlich teuer werden kann. Es ist leicht möglich, mit Klagen und Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe Kritiker und Medien mundtot zu machen. Betroffen sind davon nicht nur Autoren, Redaktionen, Herausgeber und Drucker, sondern gerade auch noch Buchhandlungen, Kioske und andere Verteiler. Die neu produzierte Ausgabe von "The Ecologist" wurde nur an Abonnenten verbreitet; die Kioske hatten Angst, das Heft in Umlauf zu bringen; sie befürchteten Repressalien.
Die britische Zeitschrift ist dem so genannten Bioregionalismus zuzuordnen. Bis Ende der 80er-Jahre beschränkte sich die bioregionalistische Bewegung auf Nordamerika und ist dort zu einem der bedeutendsten Stränge der Alternativ- und Ökobewegung geworden. Sie fand dann aber auch Anhänger in Grossbritannien (u.a. den Öko-Theoretiker und Träger des Alternativen Nobelpreises Edward Goldsmith, Herausgeber von "The Ecologist"). Sie tauchte ab 1995 auch im deutschen Sprachraum auf und wurde hier insbesondere durch die beiden Österreicher Roman Schweidlenka und Eduard Gugenberger verbreitet.
Im weitesten Sinne geht es um Einsätze gegen die Globalisierung mit deren ökologischen und sozialen Folgen: "Free Trade: The Great Distroyer" lautet eine bekannte Schlagzeile von "The Ecologist". Viele Umweltschutzgruppen sehen den Freihandel als Feind und Zerstörer der Umwelt; hiefür fehlt es nicht an Gründen. Die ökonomische Theorie betont demgegenüber traditionell eher die positiven Aspekte des freien Welthandels. Handel ermögliche die Ausnutzung von Vorteilen der internationalen Arbeitsteilung: Jedes Land spezialisiert sich auf die Herstellung derjenigen Güter, für die es besonders prädestiniert ist, bei deren Produktion seine komparativen Vorteile liegen. Durch die Möglichkeit, zu relativ günstigen Preisen Waren auf dem Weltmarkt einzukaufen, die man entweder gar nicht oder nur mit hohen Kosten selbst herstellen kann, ergeben sich nach dieser Theorie Wohlfahrtsgewinne für die beteiligten Länder. Global gesehen kommt es zu einem effizienteren Einsatz der vorhandenen Produktionsfaktoren.
Die bisherigen Erfahrungen mit der Globalisierung haben fast ausschliesslich unerwünschte Wirkungen gezeitigt: Abbau der Naturschutzmassnahmen (u.a. Klimazerstörung als gravierendste Auswirkung der grassierenden Umweltkriminalität), USA-Dominanz, kulturelle Nivellierung auf tiefer Ebene (ganz unten), die Ausprägung des Nord-Süd-Gefälles ("The Ecologist" 1996: "Die Geschichte des Hungers ist immer auch die Geschichte von ungerechten Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen, welche die Armen marginalisieren und ihnen die Mittel, sich zu ernähren, vorenthalten") usw.
Im Visier der Globalisierungskritiker und Umweltbewussten steht zurzeit die Welthandelsorganisation WTO, deren gesetzgeberische und richterliche Macht nach US-Vorgaben zunehmend ausgebaut wird. Gesetze in einzelnen Ländern, die auf spezielle Situationen Rücksicht nehmen, werden ausgehebelt, wenn sie nicht im Sinne der Industrienationen ausgestaltet und als "handelseinschränkend" taxiert werden. Damit können auch demokratische Gesetzgebungen und Demokratien überhaupt wirkungslos gemacht werden. Die WTO kennt auch keine Minimalanforderungen, um Arbeit, Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards zu schützen. Im Moment sind Bestrebungen zu beobachten, die öffentlichen Dienstleistungen auf der ganzen Welt für die Privatwirtschaft aufzubrechen (GATS-Abkommen), was zu weiteren gravierenden sozialen Spannungen führen wird.
Es braucht zwingend Zeitschriften, die sich kritisch und mit dem gebührenden Verantwortungsbewusstsein mit solchen von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Vorgängen befassen, zumal sich die meisten Massenmedien, die in die globalisierte Konsumgesellschaft eingebunden sind, kaum noch getrauen, kritische Fragen in den Raum zu stellen.
h.
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[1] Adresse: "The Ecologist", Ecosystems Ltd, Unit 18 Chelsea Wharf, 15 Lots Road, London SW10 OQJ. Tel. +44 1795 414 963.
[2] Im Frühjahr 2002 behandelte die Zeitschrift "The Ecologist" die Frage, warum der vorherrschende Trend in den Medien die Toten in Afghanistan weitgehend ignoriere und welches die durch die Klimaerwärmung bedingten Kosten für die Menschen in aller Welt seien.
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