Ich habe Ihren Artikel über die Hanfschnur als Schmerzmittel gelesen. Was ich bräuchte, wäre effektiv dieses THC, das ja, wie Sie schreiben, in den heutigen Hanfprodukten fast nicht mehr vorhanden ist. Wie komme ich an diese "sündige" Substanz heran? Soll ich Weihrauch kaufen? Soll ich in meinem Garten Hanf ziehen, oder vielleicht in einem Blumentopf? Wie auch immer: die Vergesslichkeit wäre Hanf da wohl auch hilfreich? Wenn Sie mir da raten können, bin ich sehr dankbar.
B.T., D-88633 Heiligenberg
Ist Cannabis in der Schweiz nicht mehr strafbar?
L.F., CH-8021 Zürich
Antworten: Kürzlich habe ich in einem Laden, der auf Duftöle und Räucherwerk spezialisiert ist, 0,5 dl Hanfsamenöl (8 CHF) gekauft. Die freundliche Verkäuferin sagte mit beruhigendem Unterton, dieses Öl enthalte kein THC. "Eigentlich schade", antwortete ich spasseshalber und eine Reaktion provozierend. Und nun legte die Dame ihre Verkaufstüchtigkeit an den Tag: "Aber im Weihrauch ist THC vorhanden." Das Spezialgeschäft führt dieses Harz. "Beinahe ein Grund, wieder einmal in die katholische Kirche zu geben", sagte ich noch. Die Verkäuferin: "Aber, aber."
Der Erfolg mit einem Weihrauchnebel wäre zweifelhaft. Denn dieses THC (Delta-8-Tetrahyrocannabinol oder Dronabinol) ist bisher noch in keiner anderen Pflanze als im Hanf (Cannabis sativa) gefunden worden. Im Weihrauch (Olibanum Eritrea, der gut zur Hälfte aus Octylacetat besteht, oder im Olibanum Aden, in dem 43% X-Pinen neben anderen Inhaltsstoffen zu finden sind), konnte es nicht nachgewiesen werden; wir stützen uns dabei auf die entsprechenden Untersuchungsergebnisse des Basler Apothekers Michael Kessler. Allerdings erstreckten sich seine Analysen nicht auf andere psychotrope Stoffe, so dass die letzten Geheimnisse innerhalb des Weihrauch-Rauchs verschleiert bleiben.
Die oft zu hörende und zu lesende Feststellung, im Weihrauch sei THC enthalten, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass dem Kirchen-Weihrauch alter Sorte tatsächlich eine stimmungsaufhellende und berauschende Wirkung nachgesagt worden ist. Es sollen schon Fälle von Weihrauch-Abhängigkeit vorgekommen sein, was vielleicht zutrifft, vielleicht aber auch den christlichen Wundern zuzuordnen ist. In frühen Kindesjahren musste ich einige Monate als Ministrant (Messdiener) amtieren, harrte nahe an den "Bremenkesseln" aus (zur Vertreibung der Viehfliegen, der Bremsen, Tabanidae), wie wir unter uns mundartlich sagten, habe aber nie etwas von einem Weihrauch-Rausch gespürt; jedenfalls erinnere ich mich nicht an entsprechende Reaktionen. Auf die THC-Freiheit des Weihrauchs deutet auch der Umstand hin, dass die amtlichen Hanfjäger diesbezüglich nie aktiv geworden sind, es sei denn, höhere Mächte hätten sie von solchen Eingriffen abgehalten...
Bei der Verbrennung von Weihrauch- und Myrrhe-Harz, die natürliche Insektizide wie Terpentin enthalten und in Getreidespeichern eingesetzt wurden, werden unter viel anderem Phenoldämpfe frei. Diese Harze wurden von Ägyptern, Babyloniern, Persern, Griechen, Römern und Juden seit Jahrtausenden als Insektizide, Heilpflanzen und Stimulanzien angewendet; unsere seinerzeitige Anspielung auf die Bremsen-Vertreibung hatte also etwas an sich. Im Altertum wurde Weihrauch mit Gold aufgewogen. Die christlichen Kirchen lehnten ihn ursprünglich wegen seines kultischen Hintergrunds ab. Erst zwischen dem 4. und 14. Jahrhundert wurde er allmählich eingeführt, weil die damaligen Interpreten des Neuen Testaments olfaktorischen Genüssen offenbar alles andere als abgeneigt waren.
Bei einer Reise in die Dhofar-Provinz im südlichen Oman unmittelbar an der Grenze zum Jemen, wo das Mahrah-Gebirge mit dem Ausläufer Jabal al Qamar endet beziehungsweise sich in den Südjemen hinüberzieht, habe ich selber knorrige Weihrauchbäume (Boswellia sacra) gesehen und miterlebt, wie das milchig-weisse Gummiharz nach Anritzen der Rinde austritt. Der Saft hat die Aufgabe, die dem Baum zugefügten Wunden zu heilen. Weil er so wertvoll ist, war der Reichtum des Dhofar (Dhufar) mit dem Zentrum Salalah seinerzeit sagenhaft; denn die Nachfrage nach Weihrauch konnte kaum befriedigt werden. Die Römer gaben dem Gebiet deshalb den Namen Arabia felix. "Im glücklichen Arabien", so stellte ums Jahr 100 der Grieche Dionysos fest, "atmest du immer die süssesten Wohlgerüche herrlicher Würzen, sei es von Weihrauch oder wundervollen Myrrhen." In den Häusern wurde das Holz von wohlriechenden Bäumen wie Zeder und Myrte verbrannt.
Im Weihrauch findet sich der Wirkstoff Boswelliasäure, der als Mittel gegen Entzündungen (Antiphlogistikum) eingesetzt werden kann.
Das THC findet sich als ausschliesslich im Hanf (vor allem in den Blüten), oder aber es kann auch synthetisiert werden; allerdings werden die psychotropen Wirkungen des Syntheseproduktes angeblich als weniger angenehm empfunden, weil wichtige Begleitstoffe fehlen.
Die Vergesslichkeit kann mit THC nicht gemildert werden, es ermöglicht höchstens für eine Zeitlang das Vergessen... Die unterschiedlich wirkende Droge kann beruhigen, die Stimmung heben, aber auch Ängste und Verstimmungen auslösen. In vielen Ländern, so auch in Deutschland, fällt THC unter das Betäubungsmittelgesetz; meistens wird beim Eigengebrauch von kleinen Mengen von Strafandrohungen und Strafen abgesehen. Ärztliche Verordnungsbeschränkungen aber sind selten.
Wenn Sie versuchen wollen, Schmerzzustände mit dem Hanfwirkstoff zu mildern, muss das unter der Obhut Ihres Arztes geschehen. Dann sind Sie fein raus. In Deutschland können Ärzte das aus den USA stammende Medikament Marinol (von Unimed Pharmaceuticals) verschreiben, das allerdings synthetisch hergestellt und sehr teuer ist. Wenn Sie mit künstlichen Produkten nichts zu tun haben wollen, lassen Sie sich besser natürliches, aus Hanf gewonnenes THC verschreiben, welches von der Frankfurter Firma THC Pharm GmbH (www.thc-pharm.de) hergestellt wird; aber möglicherweise müssen Sie es selber bezahlen. Informationen dazu finden Sie unter http://www.thc-pharm.de/pressemitteilung.html.
Gute Informationen zur Situation in den verschiedenen Ländern finden Sie zudem unter http://www.acmed.org/german/2001/bulletin.htm.
Auch der Eigenanbau von Hanfpflanzen hat seine rechtlichen Tücken. Laut einem Urteil des Schweizerischen Bundesgerichtes vom 31. Mai 2001 fallen auch Samen und Setzlinge der Hanfpflanze unter das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19, Ziff.1, Abs. 1), wenn sie indirekt der Gewinnung von Betäubungsmitteln dienen: "Ein Hanfsetzling ist eine Cannabispflanze, und Hanfsamen sind Bestandteil der Cannabispflanze." Das gilt unter der bisherigen, in Revision begriffenen Gesetzgebung.
In den meisten Ländern sind Bestrebungen im Hinblick auf eine Hanf-Legalisierung im Gange. In der Schweiz geschieht das im Rahmen der Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG). Schon 1997 und 1998 haben die Kantone Basel-Landschaft und Zürich Standesinitiativen eingereicht, die das Ziel verfolgten, Cannabisprodukte im erwähnten Gesetz nicht mehr zu regeln. Der Handel aber soll kontrolliert werden; vor allem wurden Qualitätskontrollen angeregt, begleitet von Jugendschutzmassnahmen. Am 25. August 1999 wurde die Vernehmlassung über das BetmG eröffnet, wobei 5 Varianten mit unterschiedlichen Liberalisierungstendenzen zur Auswahl standen. Am 11. Dezember 2001 hat der Ständerat (Vertreter der Schweizer Kantone) die Revision des Betäubungsmittelgesetzes durchberaten, wobei es vor allem um die Straffreiheit des Cannabis-Konsums ging.
Neu sollen laut den ständerätlichen Beschlüssen der Konsum von Cannabis-Produkten sowie der Anbau und Besitz für den Eigenkonsum straffrei sein. Weiterhin nicht erlaubt wären Anbau und Handel von Mengen, die über das für den Eigenkonsum mögliche Mass hinausgehen. In der Debatte unter Standesvertretern setzte sich die Überzeugung durch, es sei an der Zeit, mit dem "scheinheiligen" Vorgehen gegen Cannabis-Konsumenten aufzuhören. Zudem gelte es, gesellschaftliche Tatsachen zu legalisieren, gehen Schätzungen doch von mindestens 600'000 Schweizern aus, die mindestens einmal Cannabis konsumierten. Gleichzeitig verglich eine Mehrheit der Räte den Konsum von Cannabis mit dem von Tabak oder von Alkohol. Deren gesundheitliche und volkswirtschaftliche Schäden seien ungleich höher, dennoch könnten diese im Gegensatz zum Cannabis straffrei konsumiert werden. Als nächste Instanz wird der Nationalrat das Gesetz behandeln.
Die Ergebnisse und die weitere politische Entwicklung werden an dieser Stelle publiziert werden. Dabei verhehlen wir unsere Hoffnung nicht, dass an chronischen Schmerzen leidende Menschen endlich legal zu Medikamenten kommen können, die ihnen weniger Begleitschäden zufügen als die üblicherweise angewandten schulmedizinisch verordneten Präparate wie Voltaren und Konsorten.
Walter Hess
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