Per Zufall habe ich einen Teil der ARD-Ausstrahlung über die Aloe-vera-Pflanze und deren Möglichkeiten mitbekommen. Jetzt habe ich nur ein Problem: Es gibt Aloe-vera-Produkte, die nach einer Art Schneeballsystem (im so genannten Pyramidenverkauf) abgesetzt werden. Diese Getränke kosten per 1 Liter zirka 30 bis 40 CHF; wenn ich mich in die Vertriebsstruktur einreihe, bekomme ich sie rund 30% billiger. Dann gibt es andere Produkte von einer Naturkosmetik-Firma, bei der kosten 0,75 Liter 75 CHF. Nach meiner Meinung ist das zweitgenannte Produkt ökologischer gepflanzt und verarbeitet, eventuell von der Art her reiner und damit besser.
Über die Vertriebsstruktur die Zusammensetzung der AloeVera-Getränke mache ich mir Gedanken. Eines besteht aus dem Saft aus Blattmark (89%), Fruchtzucker, Stabilisator (Sorbit), Preiselbeer- und Apfelsaftkonzentrat, Antioxidanz (Ascorbinsäure), Säuerungsmittel (Zitronensäure), Konservierungsmittel (Natriumbenzoat), Verdickungsmittel (Xanthan), Antioxidanz (Tocopherol), Farbstoff E 129. Ich bin nun verunsichert und hätte gerne von Ihnen einen Rat.
Ernst Lüdi-Schnellmann, CH-8854 Siebnen
Antwort: Das Geschäft mit Aloe-vera-Produkten boomt, vor allem in den USA, wo und von wo aus alle möglichen Heilpflanzen knallhart vermarktet werden, gnadenlos und weltweit, meistens eben im Schneeballsystem. Insbesondere in Phönix (Arizona) wird die Aloe vera im grossen Stil angebaut. In Südspanien gibt es ebenfalls Aloe-vera-Plantagen, und in Südafrika werden Wildformen geerntet und damit hoffentlich nicht in ihrem Bestand dezimiert.
Persönlich habe ich ein vertrautes und positives Verhältnis zur Aloe vera. Wir besitzen etwa 15 Pflanzen in Tontöpfen, die im Sommer im Freien und im Winter in der kühlen, hellen Orangerie (Wintergarten) stehen: eine lebenserfüllte Hausapotheke, die wegen der rosettenartig angeordneten Blättern der Aloe-vera-Pflanzen schon beim Anschauen Freude bereitet. Im Frühjahr bekommt die pralle Sonne diesen Pflanzen aus der Familie der Liliengewächse (Liliaceen) nicht gut; man muss diese "Wüstenlilien" langsam an starkes Licht gewöhnen und ihnen vorerst einen halbschattigen Platz zuteilen.
Die erwähnte Topfkultur reicht uns für unsere Bedürfnisse vollumfänglich aus. Wir nehmen gelegentlich ein äusseres, unteres und damit ausgereiftes, gelhaltiges Blatt ab, legen es im Badezimmer in einer länglichen Porzellanschale auf und verwenden das heilsame Gel nach Belieben zur Hautpflege. Dieses Gel eignet sich vor allem zur Behandlung von Insektenstichen, Hautausschlägen, Brand- und Schnittwunden; es ist sogar bei Verstauchungen und Sehnenentzündungen heilwirksam. Es kann durch Verdünnung mit Wasser oder Säften selbstverständlich auch zu einem Gesundheitsgetränk verarbeitet werden, ganz wie es beliebt. Der Flüssigkeitsgehalt im Blatt liegt bei etwa 95%.
Man kann Stücke von Aloeblättern auch als Tee, eventuell zusammen mit etwas Fenchel und Wacholderbeeren, zubereiten, was Verdauungsstörungen mildert. Eine Aloe-Tinktur kann wie folgt hergestellt werden: Zerquetschte Aloeblätter werden mit 45%igem Trinkspiritus versetzt, täglich gut geschüttelt und nach 3 Wochen abfiltriert. 10 bis 25 Tropfen werden dann mit Wasser verdünnt, vor den Mahlzeiten eingenommen; das lindert Reizhusten, Kitzelhusten und Reizungen im Hals und im Rachenraum.
Der Eigenanbau macht von Industrieprodukten mit ihrem abenteuerlichen Zusatzstoffe-Cocktail unabhängig. Das Schneeballsystem amerikanischer Art, an dem sich mehrere Zwischenhändler beteiligen, muss zwangsläufig zu überhöhten Preisen führen; etwas logische Überlegung genügt für diese Feststellung vollauf. Für Handelsprodukte müssen notgedrungen Konservierungsstoffe eingesetzt werden, damit die Haltbarkeit ausreichend lang ist; 1991 warnte die Gesundheitsbehörde von Kanada Aloe-vera-Verbraucher, die gegen Sulfitverbindungen (zur Konservierung) allergisch sind.
Ende der 1950er-Jahre gelang es Bill C. Coats, einem texanischen Apotheker, den frischen Pflanzensaft haltbar zu machen, indem er den Saft 3 Tage lang unterschiedlichen Temperaturen aussetzte und mit den Vitaminen C und E sowie mit Sorbitol versetzte. Die Temperatur-Torturen dürften wohl nicht allen Inhaltsstoffen gut bekommen sein. Abgeraten wird von der Einnahme von Aloe vera für Menschen, welche ein transplantiertes Organ besitzen. Auch Schwangere und Diabetiker sollten vorsichtig sein, auch wenn die Nebenwirkungen im Normalfall minim sind.
Es gibt tatsächlich Aloe-vera-Produkte, denen das Allurarot AC (E 129), ein künstlich hergestellter Azofarbstoff, beigefügt ist. Das verstösst zwar nicht gegen die Gesetze, ist aber in einem Naturprodukt mit seinen rund 160 natürlichen Wirkstoffen doch höchst unsympathisch eine Verunreinigung.
Seit 1981 gibt es den IASC (International Aloe Science Council). Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss verschiedener Anbauer, Aloeproduzenten und Vertreiber, die einen gewissen Standard in Bezug auf Anbau, Ernte und Verarbeitung der Aloe-vera-barbadensis-Pflanze aufrechterhalten wollen, aber der Verpanschung mit allerhand Zusatzstoffen und zweifelhaften Vertriebssystemen offenbar tatenlos zuschauen. Es ist immer schwer zu beurteilen, inwieweit mit einem "Gütesiegel" die Aspekte der Konkurrenz-Niederhaltung und/oder der Qualitätsförderungen mit der damit verbundenen, entsprechenden Vertrauensbildung im Vordergrund stehen. Es muss in solchen Fällen jedenfalls gewährleistet sein, dass strenge Qualitätsanforderungen von unabhängiger Seite überwacht werden. Wenn ich ans US-Hormon-Fleisch denke, das uns Europäern aus handelspolitischen Gründen aufgezwungen wird, ferner an den saloppen Umgang mit den Möglichkeiten der Genmanipulationen in den USA usf., dann ist bei mir die Zuneigung zu US-Landwirtschaftserzeugnissen nicht besonders gross, ehrlich gesagt.
100%iges Vertrauen aber habe ich zu meinen eigenen Topfpflanzen. Solche können bei spezialisierten Gärtnereien gefunden werden. Für Heilzwecke eignen sich ausschliesslich die Aloe vera L. (Synonym: Aloe barbadensis Mill. oder Barbados-Aloe[1], die Aloe ferox Miller (ferox = wild) und die Aloe socotrina.
Diese Aloe wird seit etwa 1650 auf Barbados kultiviert.
wh.
Hinweis: Eine grosse Zahl von wunderschönen Aloe-Gewächsen sind in der Zürcher Sukkulentensammlung am Mythenquai 88, CH-8002 Zürich, täglich von 9 bis 11.30 und 13.30 bis 16.30 Uhr zu bewundern (Telefon: +41 1 201 45 54).
*
* *