Mich plagen manchmal anfallsartige heftige Schmerzen im rechten Fussballen, die bis in die Zehen ausstrahlen. Ich vermute, es könnte sich um Gicht handeln. Allerdings bin ich erst 27 ist so etwas möglich?
S.W., CH-5001 Aarau
Antwort: Gicht ist eine vor allem ernährungsbedingte Zivilisationskrankheit, die durchaus auch junge Menschen befallen kann. Der Hintergrund ist eine Störung im Eiweissstoffwechsel, die zu einer Erhöhung der Harnsäure führt.
Die Harnsäure ist das Endprodukt des Eiweissstoffwechsels, insbesondere des Purinabbaus; Purine sind Bestandteile des Zellkerns. Es kommt in solchen Fällen zu einer Ablagerung harnsaurer Salze, vor allem im Bereich von Gelenken. In der Regel beginnen die starken Schmerzen an einer grossen Zehe; der von Ihnen erwähnte Fussballen ist ja nicht weit vom Grundgelenk der grossen Zehe entfernt, das in der Regel am schnellsten und häufigsten betroffen ist.
Später können sich an Fingern und Ohren so genannte Gichtknoten (Tophi) bilden, und es kann anschliessend zu Gelenkdeformationen kommen, vor allem am Sprunggelenk, Ellbogen und Handgelenk. Später kann sich die Gicht auch als Migräne oder Hautausschlag äussern. Häufig ist sie auch mit arthritischen und arthrotischen Veränderungen kombiniert.
Neben einer geringen erblichen Disposition, die eine untergeordnete Rolle spielt, ist das Übel vor allem auf einen übermässigen Fleischverzehr zurückzuführen. Zusätzlich kann ein Mangel an B-Vitaminen das Leiden vergrössern. Die inhaltlich verarmte, denaturierte Industriekost, die heute hauptsächlich verschlungen wird und oft in Kantinen und Restaurants anzutreffen ist, ermöglicht selbstverständlich keinen normal funktionierenden Stoffwechsel mehr. Wenn die Nieren den Harnsäureüberschuss wegen (eines vielleicht vererbten) schwachen Leistungsvermögens nicht zu bewältigen vermögen, wird die Lage allmählich dramatisch. Sobald die Fähigkeit des Blutes, die Harnsäure in Lösung zu halten, überschritten wird, lagern sich Harnsäurekristalle in Gelenkknorpel, Gelenkhaut, Sehnenscheiden, Schleimbeuteln, Ohrknorpeln und auch im Nierengewebe ab, worauf heftige Schmerzen aufmerksam machen.
Früher kam die Gicht praktisch nur bei Wohlhabenden vor, die genügend Geld hatten, um sich mit grossen Fleischmengen fehlernähren zu können; man nannte diese königliche Krankheit Podagra oder Zipperlein. Inzwischen ist das Fleisch durch Massnahmen zur Beschleunigung des Tierwachstums und rationalisierte, tierquälerische Haltung spottbillig und fast zu so etwas wie ein Grundnahrungsmittel geworden. Eine gesunde Ernährung mit vollwertigen, nicht denaturierten Produkten ist heutzutage die teurere Variante.
In alten Büchern ist der Harnsäurewert von Gesunden mit 2 bis 4 mg% (Milligramm pro Deziliter) angegeben; heute betrachtet man noch 6 mg% als "normal" und toleriert gelegentlich auch 8 mg%, der ernährungsbedingten Degeneration folgend. Eine krankhafte Erhöhung des Harnsäurespiegels wird Hyperurikämie genannt.
Im Menschen beläuft sich der Normalgehalt an Harnsäuren auf etwa 1 g; durch den körpereigenen Zellabbau werden täglich etwa 350 mg Harnsäure produziert und ohne weiteres ausgeschieden. Im Körper von Gichtkranken wurden schon Harnsäuregehalte von 30 g und mehr festgestellt. Wer in seinem Körper gesundheitserhaltende Verhältnisse schaffen will, kommt also nicht umhin, den Fleischverzehr ebenso wie den Genuss von Kaffee und Schwarztee zu verringern, deren Stoffwechselendprodukte ebenfalls Purine sind. Viele reagieren auch auf den Bierkonsum empfindlich. Anstelle von alledem ist die Umstellung auf viel Frischkost (grünblättriges Gemüse, Salate, frisches Obst und Früchte aller Art, faserstoffreiches Getreide usf.) angezeigt.
Schmerzen im Fussballen, die in die Zehen ausstrahlen, können unter Umständen auch von Spreizfüssen herrühren; ich erwähne dies, damit Sie auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen können. Wenn Sie aber keinen Spreizfuss haben, handelt es sich eher um Gicht. Im letzteren Fall haben Sie freie Wahl: Bequemlichkeitsfutter aus der Fabrik, Genussmittel und wachsende Schmerzen, oder viel wohlschmeckende und wohltuende naturbelassene Produkte und Wohlbefinden.
Ein Warnschuss im jugendlichen Alter muss ernst genommen werden. Ändern Sie Ihre Ernährungsweise, statt mit ständigem Medikamentenkonsum eine chronisch werdende Krankheit zu verschlimmern! Dabei werden Sie neue gastronomische Entdeckungen machen können.
Walter Hess
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